Vom Nachttisch geräumt

Der Stein des Asif Safdary

Von Arno Widmann
20.06.2016. Zur Ausstellung "Mobilität - 30 Dinge, die bewegen" im Technischen Museum Wien
Seit Ende November 2014 zeigt das Wiener Technische Museum (Mariahilfer Straße 212 in Wien-Penzing) die Ausstellung "Mobilität - 30 Dinge, die bewegen". Ich habe die Ausstellung nicht gesehen. Ich habe nur den Katalog gelesen. Die Form der Liste hat ihre Vorteile: Sie schafft Überblick, man kann sich die 30 Objekte, wenn man mag, leicht einprägen. Wie Vokabeln. Der Nachteil ist: Zusammenhänge lassen sich schwerer herausarbeiten. Man sieht das sofort. Alles in dieser Ausstellung hat ausschließlich mit menschlicher Mobilität zu tun. Und auch da nur mit einem sehr kleinen Ausschnitt von deren Geschichte. Das Pferd zum Beispiel fehlt. Es fehlen aber auch die Beine. Wir sind in einem Technischen Museum. Dieser Umstand prägt die Ausstellung und so auch den Katalog. Fast alles, das nicht Technik ist, fehlt. Es fehlt also auch die Technik der natürlichen Fortbewegung.

Seit wie viel Millionen Jahren gibt es Beine oder Kniegelenke? Roboterhersteller, Verkehrsplaner bauen nach der Natur, so wie die Maler nach ihr malten. Die Transportwege von Ameisen oder der Flügelschlag von Kolibris zum Beispiel werden längst erforscht nicht nur um uns über Ameisen und Kolibris zu belehren, sondern auch, um herauszufinden, was sich davon verwenden lässt zur Verbesserung der menschlichen Mobilität. Es ist also einigermaßen schwierig, "Mobilität" zu begreifen ohne ihre - sagen wir mal so - natürlichen Grundlagen. Darauf verzichtet die Ausstellung konsequent. Dafür Autos, Flugzeuge, Schiffe, Ampelanlagen, Bahnhofsuhren, Eisenbahnwagen, aber auch Sportschuhe, Auto-Schminkspiegel und Winglets. Bei denen findet sich allerdings der Verweis darauf, dass sie "den langen Schwungfedern von Vögeln nachempfunden" seien.


Elektrische Bohrmaschine, um 1900. Bild: Technisches Museum Wien

Das Bewegendste in dieser Mobilitätsausstellung ist ein Stein. Der Katalog erklärt: "Einen Stein dieser Größe benutzte Asif Safdary, um den LKW-Fahrer in Italien mit Klopfzeichen auf sich aufmerksam zu machen. Im Laderaum versteckt, hatte er die Überfahrt per Fähre von der griechischen Hafenstadt Patras nach Italien geschafft." Der Katalog erzählt von der Flucht des 14-Jährigen aus Afghanistan. Er erzählt auch, wie er in Österreich ankam. Wie er dort aufgenommen wurde. Es ist eine ergreifende Geschichte, die so endet: "Asif Safdary maturierte 2014 an der HTL Ottakring, Fachrichtung Informationstechnologie (der Stein!!!) und Telekommunikation mit Schwerpunkt Netzwerktechnik; seither studiert er berufsbegleitend Informationstechnologie mit Vertiefung IT-Security am FH Campus Wien und arbeitet in diesem Fachbereich in einer Wirtschaftsprüfungskanzlei. Nach sechseinhalb Jahren wurde er Anfang 2015 als Flüchtling anerkannt. Die Flucht seiner Eltern und Geschwister ging indessen weiter: Die eskalierende Gewalt, mit der sie sich in Pakistan konfrontiert sahen, zwang sie, in den Iran (sie sind schiitische Hazara) weiterzuziehen. Der Wunsch, gemeinsam mit seiner Familie in Sicherheit leben zu können, bleibt für Asif bisher unerfüllt."

Eine ganze Weile noch werde ich, wann immer ich einen etwas über faustgroßen, runden Stein sehe, an Asif Safdary, an seine Geschichte, an seine Kraft denken.

Mobilität - 30 Dinge, die bewegen, hrsg. vom Technischen Museum Wien, Czernin-Verlag, Wien 2015, 192 Seiten, mehr als 100 s/w und farbige Abbildungen, Format 18 x 27 cm, 39 Euro.