Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
19.08.2002. In L'Express zieht Pascal Bruckner eine positive Bilanz der sexuellen Revolution. L'Espresso bietet einen Vorgeschmack auf das Filmfestival von Venedig. Der Economist analysiert das deutsch-tschechische Verhältnis. Die New York Times Book Review stellt ein neues Buch von Haruki Murakami vor. Das Times Literary Supplement rechnet mit dem "Kult um die Kultur" ab.

Outlook India (Indien), 26.08.2002

Outlook bringt ein Interview mit dem pakistanischen Innenminister Moinuddin Haider, der die UN auffordert, Terrorismus zu definieren (keine schlechte Idee!) und Resolutionen in Sachen Kaschmir zu erlassen, weil Indien kein säkulärer, verhandlungsfähiger Staat sei. "It has demonstrated that it is very militant. They have this Shiv Sena. They are poisoning the people's ears with the caste system. They are intolerant towards the Muslims and Christians. And their actions in Gujarat, and their atrocities in Kashmir-and now I am told that they are bringing in people from these militant parties into Kashmir-I think these are not good signs ... I think India is headed towards a disaster. I sincerely advise that they should also control their extremists. They should get rid of the caste system that has suppressed their own people." Ein Vorbild für die erfolgreiche Bekämpfung des Extremismus fällt dem Minister natürlich auch ein: Pakistan.

Auf die kürzlich im Outlook dargelegten Verbindungen zwischen der indischen Filmindustrie und der Mafia bezieht sich ein Beitrag, in dem Anita Pratap ihre Solidarität mit den gebeutelten Filmstars bezeugt. Deren Leben sei nämlich alles andere als ein Zuckerschlecken: "Evidently, to get into showbiz, to remain there, and to revive sagging fortunes, some have had to sup with the mafia devil. If the star puppets don't do the bidding of the shadowy, underworld puppeteers, they are strangled or dropped. For filmstars addicted to money, fame and glamour, oblivion is as scary as death. Fear of losing is as gut-wrenching as the loss itself. To have tasted fame and wealth and then lose it, is much worse than never having it at all ... So if the only way to achieve or retain success is to have a pact with the devil, so be it."

Besprochen werden eine sehr subjektive Darstellung über Aufkommen und Ende des Terrorismus im Punjab, verfasst vom ehemaligen "deputy commissioner" von Amritsar, der wenig Gutes über die Verantwortlichen in Delhi, dafür um so mehr davon über seine eigenen Taten zu berichten hat. Und ein Band, der die nationalistischen Implikationen des von den Briten nach Indien importierten Cricket-Spiels untersucht, die Schlüsselfiguren und Clubs vorstellt und einen historischen Abriss bietet. Ein Buch nicht nur für Sportfans, sondern für alle Süd-Asien-Interessierten.
Archiv: Outlook India

Espresso (Italien), 22.08.2002

Im wie immer nicht freigeschalteten Kulturteil bringt das Magazin ein Special zu den kommende Woche startenden 59. Internationalen Filmfestspielen von Venedig. Zu lesen ist ein Interview mit der momentan heiß begehrten Schauspielerin Laura Morante über ihre langjährige Zusammenarbeit mit Nanni Moretti und ihre Doppelpräsenz am Lido (in "Dancer Upstairs" von John Malkovich und in Michele Placidos "Un viaggio chiamato amore").

Außerdem bietet das Dossier zwei einander widersprechende Einschätzungen zur künstlerischen und politischen Orientierung dieser Biennale: Kann ein allgemein gehaltener Überblick über das Programm den befürchteten Rechtsruck nicht erkennen und kaum Unterschiede feststellen zu den vorangegangenen und wegen ihrer avantgardistischen Neigung vom konservativen Lager schon mal als Schund beschimpften Spielen, kritisiert Roberto Silvestri die mit Moritz de Hadeln an den Lido geschwemmte Berliner Realpolitik: "Was Barbera in drei Jahren mühsam wiederaufgebaut hat - ein vorzeigbares, dynamisches Venedig, ein Refugium für couragierte Filmemacher -, hat de Hadeln in nur vier Monaten zerstört." Der "Cocktail de Hadeln" - für Silvestri schmeckt er zu sehr nach Hollywood und Miramax, nach einschläferndem "Großen Kino" eben. Der Perlentaucher wird übrigens trotzdem aus Venedig berichten.

Die Binsenweisheit, dass sich mit Wut im Bauch wenig gewinnen lässt, wendet Giampaolo Pansa in einem Online-Artikel an auf Italiens zornige Linke und die anhaltenden Demonstrationen gegen Berlusconi. Und in einem anderen Artikel staunt Margherita Acierno über die Wandlungsfähigkeit des Top-Models Carolyn Murphy, die mit ihrer Maskulinität einst den Frauen-Typ der Neunziger prägte und nun, mit "explosiver Sinnlichkeit", ihre Weiblichkeit wiederentdeckt. Zeichen der Zeit oder bloß Folge des Wechsels zu Estee Lauder?
Archiv: Espresso

Spiegel (Deutschland), 19.08.2002

Für die Hauptsache, den Titel zur Flut, muss man zahlen. Unter den freigegebenen Artikeln finden sich nur Themen wie "Telekom-Krise" und "Mazda-Sportwagen mit Wankelmotor"!

Ein weiterer Artikel immerhin befasst sich mit neuen Anschlägen auf die freie Warenwelt durch den Gates-Kraken aus Redmond. Der bläst gerade zum Generalangriff auf den Welt-Datenverkehr: Streckeninformationsprogramme für PKW, Software für Organizer, Handys, Spiele, Musik etc. etc."Die Methode ist so simpel wie effektiv: Microsoft sattelt einfach auf jede neue Version des dominanten Windows-Betriebssystems zusätzliche Software-Komponenten huckepack drauf; diese landen dann fast von selbst auf dem Kundenrechner. So gebiert ein Monopol das nächste." Und der Verbraucher freut sich. Bis er merkt, das er eigentlich keine Wahl mehr hat. "Dann nämlich bestimmt nur noch der Gigant aus Redmond Geschäftsbedingungen (vulgo: Preise) und technische Details."

Nur gegen Bares zu lesen ist wie gesagt das Titeldossier zur Jahrhundertflut. Darin ein Interview mit Joschka Fischer über den Aufwind, den die Wassermassen Rot-Grün im Wahlkampf bescheren, und ein Gespräch mit Klimaexperten über unseren Anteil an der Zunahme extremer Wetterlagen. Und nur im Print verreißt Marcel Reich-Ranicki Robert Musils Klassiker "Mann ohne Eigenschaften", und Bruce Springsteen promoted sein schwülstiges neues Album "The Rising".
Archiv: Spiegel

Economist (UK), 18.08.2002

Wer einmal lügt... Oder so ähnlich, denkt sich der Economist in der Cover Storty und findet, bei den Reparaturarbeiten am leckgeschlagenen amerikanischen Kapitalismus könnte ruhig etwas beherzter zugepackt werden, all der emsig hergezeigten weißen Westen zum Trotz.

Warum einige Tschechen eher auf den EU-Beitritt verzichteten als an den immer noch heißen Benes-Dekreten zu rütteln, stellt ein anderer Artikel fest: "In part because annulling the decrees would open the floodgates to property claims from Germans. But mostly for patriotic reasons: Czechs-like the Poles, who, with the Red Army, ruthlessly expelled 6m-8m Germans from what, after the war, became western Poland-feel those who began an appalling war have no claim to revise its effects." Fragt sich, was wird, wenn Stoiber gewinnt. Nicht nur, dass seine Frau eine Sudenten-Deutsche ist: "Sudeten Germans form an ageing but still influential part of his electorate."

Das Fürchten lehrt uns ein Science-Beitrag, der berichtet, wie eine US-Firma mit einem satellitengesteuerten "digitalen Engel" (man kann ihn sich implantieren lassen) die totale Überwachung vorantreibt. "Alte Menschen, Kinder und Hunde können damit beaufsichtigt werden. "The wearer's guardians define a perimeter beyond which they feel their charge should not wander, and receive alerts via mobile phone or pager when he has gone beyond these boundaries. The digital angel can also issue an alert when its wearer has fallen down, or when there has been an unexpected change in local temperature of the sort that might be caused, say, by someone falling into a pond." Oder durch unerlaubte Wechselbäder.

Weitere Artikel erläutern, wie die "Hollywood hype machine" mit ihrer neuen Obsession, die Kosten für einen Film möglichst gleich am Eröffnungswochenende einzuspielen, die Zuschauer unter Druck setzt, und stellen einen Essayband des Historikers David Cannadine vor, der in das typisch britische Genre der "decline studies" fällt und den Umgang mit dem nagenden Gefühl der verlorenen (territorialen) Größe zeigt, bei Leuten wie Churchill oder Ian Fleming.
Archiv: Economist

New York Times (USA), 18.08.2002

Jeff Giles stellt Haruki Murakamis neues Buch "After the Quake" (Auszug) vor, einen "unerwartet kraftvollen" Erzählband über die emotionalen Nachwehen des Kobe-Erdbebens von 1995, den Amerikaner auch als Metapher für den 11. September lesen dürfen (obgleich das Buch vorher entstanden ist). Und mit der den Rezensenten aufgrund ihrer Mischung aus Realismus und Fantasy begeisternden Geschichte "Super-Frog Saves Tokyo'' über einen sechs Fuß messenden Frosch, der unvermittelt im Haus des Bankangestellten Katagiri auftaucht. "The frog tells Katagiri that he needs his aid in the battle against an enormous worm, that lives beneath Tokyo and is planning to unleash a crippling earthquake" Es braucht eine Weile, schreibt Giles, um herauszufinden, wieviel diese Geschichte uns erzählt über das Gefühl der Machtlosigkeit und der Angst. Hier noch ein Feature zu Murakami.

Besprochen wird auch Alain de Bottons so gar nichts mit der Abenteuerlust und dem Humor traditioneller englischer Reiseliteratur gemein habendes Buch "The Art of Travel". De Botton, bedauert Alan Riding in seiner Besprechung, "seems to prefer the ritual of traveling -- the aller-retour on ships and trains and planes -- to actually being somewhere other than his London home." Nur gut, dass sich der Autor als Begleiter so unterhaltsame Figuren wie Baudelaire, von Humboldt, van Gogh und Ruskin ausgesucht hat: "He worries constantly about the problems he has left behind, and he is ever self-conscious about the otherness of the places he visits. And, to be frank, he can be something of a whiner. So it is often a relief when de Botton cedes his pages to his predecessors, describing their approach to travel and quoting from their books, letters and lectures." Lesen wir also besser gleich Wordsworth, anstatt das erste Kapitel.

Im Boox-Comic untersucht Mark Alan Stamaty den Harry-Potter-Hype, der selbst vor Plagiaten nicht Halt macht - in China zumindest. Und der auf Hebräisch schreibende Dichter Abba Kovner schickt folgendes Poem: "How little we need / to be happy: / a half-kilo increase in weight, / two circuits of the corridors / at Sloan-Kettering / in bedroom slippers / a morning without aspirin / silence gentle as a pit, / a distant / sand dune / behind the green bridge / a patch of lawn / and you beside me beginning / to knit a new sweater..."
Archiv: New York Times

Express (Frankreich), 15.08.2002

Pascal Bruckner erzählt Dominique Simonnet in einem langen Gespräch von der Liebe in den Sechzigern. Er erklärt, was "Erection" mit "Insurrection" zu tun hat und warum ein Orgasmus seinerzeit durchaus ein politischer Akt sein konnte. "Trotz allem ist die Bilanz positiv" resümiert er. "Die sexuelle Revolution, die wir angezettelt haben, wird für viele Länder in der Welt ein außerordentliches Ideal bleiben. Die Frauen haben hier unleugbar Rechte gewonnen... Aber wenn sich das Individuum seit dem Mittelalter nach und nach von feudaler, bürokratischer, sozialer und sexueller Bevormundung befreit hat, so entdecken wir heute im Westen, dass diese Freiheit auch eine Kehrseite hat: die Verantwortung und die Einsamkeit. Die Sexualität mag frei sein, aber sie ist mit Angst verbunden. Sind wir gute Liebhaber? Gute Gatten? Gute Eltern?"

"Elvis lebt!", da sind sich in diesen Tagen mal wieder alle Journalisten einig. Aber ob er deshalb gleich ein Messias ist? Einer des Rock n' Roll allemal. Pascal Dupont begibt sich auf die Spuren der Legende und hat dafür auch das Internet durchsucht. Virtuelles ist bei dem Suchwort Elvis schnell auch Spirituelles. In solchen Sphären bewegen sich zumindest Seiten wie die Presleytarian Church of Elvis the Divine, The Elvis Shrine, Not Elvis, Sacred Heart Elvis oder Ask the King. Elvis antwortet auf alle Fragen des Lebens garantiert. Um weitere Antworten zu finden, besuchen Sie auch "Elvis My Happiness" in Paris oder lesen Sie einfach unsere Post aus New York.

Die Bücherschau gibt sich in dieser Woche politisch: Romain Rosso bespricht ein politisches Pamphlet von Philippe Maniere, der darin kurzen Prozess mit den französischen Eliten macht, welche die Ursache für das Erdbeben "Le Pen" seien. Claude Allegre nimmt die Globalisierung in den Blick und hat dazu ein Werk des amerikanischen Ökonomen Joseph E. Stiglitz und anderes gelesen.

Und: Ein wenig hochommerlicher ist die Reportage über Hossegor an der französischen Atlantikküste, wo sich Anfang des Jahrhunderts nicht Surfer, sondern ein kleiner Kreis von Künstlern in der "Association litteraires des amis du lac d'Hossegor" trafen. Passend dazu legt Actes Sud eine kleine Geschichte des Schwimmens vor. Quel plaisir!
Archiv: Express

Times Literary Supplement (UK), 17.08.2002

Nur Gutes diesmal im TLS: Raymond Tallis empfiehlt allen, die vom Paradies träumen, Roger Sandalls "brillante, leidenschaftliche und sardonische" Abrechnung mit dem Kult um die Kultur, dem, wie Sandall es nennt, Designer-Tribalismus. Als Beispiel für diesen Gebrauch des Worts "Kultur" nennt Tallis ein Zitat des Präsidenten von Benin, der den Kinderhandel in seinem Land mit "unserer Kultur" rechtfertigte : "'The Culture Cult' explains among other things how the phrase 'in our culture' has come to be used to defend behaviour that would otherwise be seen as quite abhorrent?For adherents of what Sandall calls the culture cult, primitive culture is not inferior to modern civilization - it is different and quite likely better... Nothwithstanding their own doctrine of incommensurability, they take 'a sour view of modernity', forgetting, Sandall argues, that modern civilization not infrequently 'allows changes of government without bloodshed'... whereas most traditional cultures 'feature domestic repression, economic backwardness, endemic disease, religious fanaticism and severe artistic constraints'."

John Bailey hat mit ausgesprochener Genugtuung gelesen, wie Maeve Brennan in ihrer Philip-Larkin-Biografie den Dichter gegen seine politisch korrekten Kritiker verteidigt.

Noch mehr Lob gibt es nur in Auszügen: Jeremy MacClancy stellt Judith Heimanns Buch "The Most Offending Soul Alive" vor, in dem Heimann das bemerkenswerte Leben des begabten, revolutionären, chauvinistischen und frauenverachtenden Anthropologen Tom Harrison erzählt. Und Justin Willis bespricht ebenso freundlich C.S. Nicholls Biografie der Schriftsstellerin Elspeth Huxley.