Außer Atem: Das Berlinale Blog

Elegant: Nguyen-Vo Nghiem-Minhs 'Nuoc' (Panorama)

Von Lukas Foerster
06.02.2014. Der vietnamesische Regisseur Nguyen-Vo Nghiem-Minh setzt in seinem Film "Nuoc" die Welt unter Wasser und erzählt mit großer Behutsamkeit eine Liebe- und Rachegeschichte.


"Nuoc" setzt ganz langsam ein, als Beziehungsfilm: Sao lebt mit ihrem Mann Thi auf einem Hausboot; offensichtlich sind die beiden hauptsächlich Selbstversorger, pflanzen auf ihrer rot bemalten Unterkunft das eine oder andere an, legen Netze aus, in denen Fische hängen bleiben - freilich nicht allzu viele und, wie Sao meint, immer weniger. Der Beziehungsalltag ist, merkt man schnell, stumpf geworden, nicht nur wegen der erzwungenen Enge. Wenig mehr als Funktionales wird gesprochen, beim Sex legt er sie flach auf den Rücken und sich auf sie drauf, was ihr nicht gefällt. Dass sie bisher kein Kind bekommen hat, wirft sie halb ihm, halb der Welt vor.

So geht das eine Weile, der Film ist geduldig, die Kamera nie aufdringlich, das Meer schimmert blaugrün, auch die dunkle Haut der Menschen ist meist feucht, scheint ganz leicht zu leuchten. In einer schönen Szene löst sich Sao doch einmal von Thi und tritt, die Arme geöffnet in den Regen, der von ihren Armen perlt. Ganz nebenbei entwirft der Film seine Zukunftswelt: Im Jahr 2030 hat sich die Erde erwärmt, der Meeresspiegel ist rapide angestiegen, Südvietnam (wo der Mekong ohnehin jährlich Abertausende Quadratkilometer unter Wasser setzt) war einer der ersten Landstriche, der von den Landkarten verschwand (wobei andererseits die alten Besitzverhältnisse noch gelten... Viel mehr braucht Nguyen-Vo Nghiem-Minhs Film nicht, um seine Zukunft zu entwerfen: Wasser, fast soweit das Auge reicht. Am Horizont einige Hügel, irgendwo wohl auch eine Metropole, (vermutlich totalitäre) Staatlichkeit, an der schwimmenden Peripherie kehrt man dagegen wieder zum Tauschhandel zurück.

Plötzlich nimmt der Film Fahrt auf: Thi berichtet von einer neuen Arbeit, die ihm in Aussicht gestellt wurde, ist dann verschwunden, dann taucht seine Leiche auf (die schweigsame Wasserbestattung: eine der kraftvollsten Szenen des Films). Sao nimmt ihrerseits Arbeit an, bei einer schwimmenden Farm, die, so vermutet sie, mit This Verschwinden in Zusammenhang stehen dürfte - freilich bleibt das Motiv ambivalent, allzu schwer wiegt die Trauer nicht. "Nuoc" ist, zeigt sich jetzt, nicht nur ein visuell schöner und sinnlicher, sondern auch ein ungeheuer geschickt erzählter Film. Das Drama dringt in den Film nicht über Actionszenen oder ausgestellte Fantastik, nicht einmal allgemeiner über das Sichtbare, sondern über Ellipsen. Die Auslassungen, die der Film setzt, sind dabei keine bloßen Rätsel, die auf ihre spätere Lösung verweisen, sondern vollziehen den Kontrollverlust nach, den Sao an ihrem eigenen Leben erfährt; und schon, wird bald darauf klar, erfahren hat, lange bevor der Film einsetzt.



Denn gerade, als alle Zeichen auf Konfrontation stehen, schlägt der Film ein weiteres Mal um, springt zehn Jahre in der Zeit zurück, das Wasser steigt zwar schon, hat aber noch nicht alles in der Welt verschlungen, durch die sich Sao damals noch hoffnungsvoll und ein wenig naiv bewegt hatte. Nghiem-Minh bremst seinen Film komplett herunter, erzählt wieder eine Beziehungs-, diesmal eine echte Liebesgeschichte, in langen, geduldigen Einstellungen, die den neugierigen Blicken und den unsicheren Bewegungen Raum lassen. Der ganze Film öffnet sich noch einmal neu, weitere Figuren tauchen auf, vorher nur angedeutete Handlungsstränge werden ausgebaut; es soll nicht verschwiegen werden, dass spätestens jetzt manches von der Motivation her opak wirkt, gerade jene Elemente, die das Science in die Science Fiction bringen sollen: Es geht um Genexperimente, Gemüsemutationen, Machenschaften von Lebensmittelchemiekonzernen, man weiß nicht so recht, wofür der Film das alles braucht. Was man "Nuoc" dagegen immer zugute halten kann, ist, dass er diesen Überbau nie gegen seine Figuren aufrechnet, Dass er zum Beispiel zwar von sozialen Spannungen weiß und auch die Liebe nicht außerhalb dieser Spannungen verortet, dass er aber doch darauf besteht, dass jede einzelne Begegnung zwischen zwei Menschen eine eigene Dynamik entwickelt.

"Nuoc" ist ein toller Film, weil er mit wenig (auch: mit wenig Geld) viel evoziert; und zwar ohne, dass man ihm eine besondere Anstrengung anmerken würde, und ohne, dass er sich in Trash-Ästhetiken flüchten müsste. Wie elegant der Film ist, merkt man an Details der Inszenierung: Die militärisch aufgerüstete schwimmende Farm, die zumindest auf den ersten Blick das Hauptquartier der Bösewichte ist, taucht nie in ihrer Gänze im Bild auf, Nghiem-Minh genügen zunächst eine sechseckige Planke, aus der Aufsicht gefilmt, und ein paar muskulöse Rausschmeißer, damit sind die Verhältnisse klar. Erst ganz am Ende, in der vorletzten Szene, tauchen offensichtliche Effekt-shots auf, und die haben dann einen ganz spezifischen Sinn: Die alte Welt, die Welt der Urbanität, der bürgerlichen Häuslichkeit und der Bildung ist in der totalisierten Peripherie der Wasserwüste, als die "Nuoc" die Zukunft imaginiert, nur noch als sterile CGI-Kopie, die aussieht wie aus einem Computerspiel von Vorgestern, zu haben. Auch jede Geste, jede Liebkosung, jeder halb erloschene Blick Suos weist über sich hinaus, auf die zehn Jahre zwischen der ersten Liebe und der antiheroischen Rachegeschichte der Gegenwart, genauer gesagt, auf zehn Jahre, in denen das Wasser ständig gestiegen ist, es Tag um Tag nur Fisch und fades Gemüse zu essen gab und die einst geschlagenen Wunden einfach nicht heilen wollten.

"Nuoc" kommt fast aus dem Nichts, das vietnamesische Genrekino galt bislang noch nicht einmal als Geheimtipp, Nghiem-Minh hat vorher nur einen wenig beachteten Film gedreht. Da echte Entdeckungen auf der Berlinale in den letzten Jahren so selten waren, erfreut dieser Glücksgriff, der jetzt schon neugierig macht auf die nächsten Arbeiten dieses mutigen Kinoerzählers, umso mehr.

Lukas Foerster

Nuoc. Regie: Nguyen-Vo Nghiem-Minh. Darsteller: Quýnh Hoa, Quý Bính, Vietnam 2013, 98 Minuten (Panorama, alle Vorführtermine)