Giorgio Agamben

Ausnahmezustand

Homo sacer, Teil II, Band 1
Cover: Ausnahmezustand
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004
ISBN 9783518123669
Broschiert, 113 Seiten, 9,00 EUR

Klappentext

Aus dem Italienischen von Ulrich Müller-Schöll. Nach "Homo sacer" und "Was von Auschwitz bleibt" - Teil 1 und Teil 3 von Giorgio Agambens vieldiskutiertem Homo sacer-Projekt - folgt nun mit Ausnahmezustand der in sich geschlossene erste Band des zweiten Teiles. Der Ausnahmezustand, das heißt jene Suspendierung des Rechtssystems, die wir als Provisorium zur Aufrechterhaltung der Ordnung in Krisensituationen zu betrachten gewohnt sind, wird unter unseren Augen zu einem gängigen Muster staatlicher Praxis, das in steigendem Maße die Politik bestimmt. Agambens neuestes Buch ist der erste Versuch einer bündigen Geschichte und zugleich Fundamentalanalyse des Ausnahmezustandes: Wo liegen seine historischen Wurzeln, und welche Rolle spielt er - in seiner Entwicklung von Hitler bis Guantanamo - in der Gegenwart?

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 28.08.2004

Geradezu abgefertigt wird hier das neue Werk von Giorgio Agamben, mit dem der Philosoph seine Studien zur Politik des Ausnahmezustands fortsetzt. Ulrike Herrmann findet den neuesten Essay methodisch bedenklich, politisch geradezu fahrlässig pauschal und "fatalistisch". Aus dem römischen Rechtsinstitut des "iustitium", einer Art Unterbrechung des Rechts, destilliert Agamben den "Archetyp des modernen Ausnahmezustands", dem er zudem begriffsanalytisch zu Leibe rückt. Bei allem "Eklektizismus" aber führe kein Weg vom Philosophischen zur politischen Realität, kritisiert Herrmann. Entsprechend einseitig muss die Diagnose ausfallen, die in der Schwächung der Legislative schon Guantanamo erblickt und in Guantanamo Auschwitz. Die Moderne seit dem Ersten Weltkriegs ist für Agamben die Gegenwart des "Lagers" und wir alle sind die Insassen. "Darauf muss man erst mal kommen", meint die Rezensentin.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 01.07.2004

Eine "äußerst dichte" Theorie hat der Italiener Girogio Agamben, gelernter Jurist, Philosoph und mit der Debatte um sein Werk "Homo sacer" endlich in deutsches Blickfeld gerückt. Die amerikakritische Studie, die sich mit den Dunkelzonen des Rechts innerhalb von Demokratien beschäftigt, hat Rezensent Thomas Assheuer dennoch nicht überzeugt. Zwar findet er es völlig legitim, dass sich Agamben weigert, "in den Chor derer einzustimmen", die in Terror- und Kriegszeiten die eigene Gesellschaft nicht mehr zu kritisieren wagen. Doch in der Art, wie der Autor kritisiere, werde er "Opfer seiner Vorentscheidungen", da er in Folterskandalen und Rechtsbrüchen das "innerste Un-Wesen" des Rechts sieht. Dabei, so findet der Rezensent, sind Skandale wie die von Abu Ghraib und Guantanamo "Amerikas Schande, nicht seine Norm." Die übermächtigen Zweifel Agambens, der "virtuos" die Begrifflichkeiten Carl Schmitts verwendet - allerdings mit einer völlig anderen Intention - und sich von "Heideggers Schicksalstremolo durchzucken" lässt, ließen keinen Platz für die grandiose Leistung, die Realisierung individueller Freiheit, die das Recht erbringt. Agambens Sinn für die Dialektik von Recht und Leben sei "bewundernswert" - die analytische Leistung dieses Buchs dagegen fragwürdig.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 28.06.2004

Was er nun von Giorgio Agambens neuem Essay "Ausnahmezustand" so genau hält, lässt Niels Werber offen - er beschränkt sich darauf, "die starke These" des Autors zu beschreiben. Diese starke These, die der italienische Philosoph im Rückgriff auf Gewährsmänner wie Michel Foucault und Carl Schmitt, aber auch auf die Lektüre römischer Rechtstexte formuliere, laute: Es gibt keine Form politischer Souveränität, die nicht homines sacri produzierte, "Positionen für Individuen also, die außerhalb der normalen Rechtsordnung" stehen. Charakteristisch sei für diese politische Praxis, dass an gewissen Orten die "zeitlich begrenzte Aufhebung der Rechtsordnung" "auf Dauer gestellt" werde - Urbild eines solchen Raumes ist für Agamben Auschwitz, Ort vollkommener Rechtsfreiheit für die in ihm Eingesperrten. Diese These bildet natürlich nach den Foltervorgängen von Abu Ghraib ein hochenergetisches Kraftfeld - Agamben bezieht sich noch auf Guantanamo Bay. Seit dem 11. September 2001 hätten die USA sich angewöhnt, referiert der Rezensent, nationales und internationales Recht zu suspendieren. Das zeige, dass der westlichen politischen Kultur der Maßstab für Demokratie "völlig abhanden gekommen" sei.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 05.06.2004

Der Grundton der Skepsis ist in Uwe Justus Wenzels Rezension des jüngsten Buches von Giorgio Agamben nicht zu überhören. Ins Referat der Theorie vom "Homo Sacer", die hier philosophisch ausgebaut und geschärft wird, mischt sich der ein oder andere süffisante Kommentar. Gerade recht kommt es Agamben, unterstellt der Rezensent, dass das römische Rechtsinstitut des "iustitium", der Gerichtsferien, so "sybillinisch" ausfällt. Da lasse sich Agambens Version des "Ausnahmezustands" umso leichter mit der Würde theoretischer Präzedenz ausstatten. Darüber hinaus bleibe es im wesentlichen unklar - "freundlicher gesagt: in der Schwebe" -, was der genaue Status der Erwägungen zum Ausnahmezustand ist, ob es um "historische Analyse" geht oder um "geschichtsmetaphysische Spekulation". Wenzel, so viel ist recht schnell klar, hat den Verdacht, dass letzteres der Fall ist, etwa wenn nun Guantánomo zum Ausnahme- als Grundzustand der gegenwärtigen politischen Verhältnisse erklärt wird. Überzogen findet der Rezensent auch Agambens dramatische Beschwörung des Endes der Demokratie, das bevorstehen soll, weil die Macht der Legislative medienopportunistisch erodiert. Die am Beispiel Guantánamo ins Grundsätzliche gewendete Kritik, der Verzicht auf empirische Konkretion, machten es letztlich sogar, so Wenzel, "der Regierung der Vereinigten Staaten zu leicht".

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 06.04.2004

Sehr beeindruckt zeigt sich Rezensent Ulrich Raulff von Giorgio Agambens neuem Buch "Ausnahmezustand", einem Teilband seines auf vier Bände angelegten Homo-sacer-Projekts. Durch eine Reihe von "minutiösen rechtshistorischen und philosophischen Untersuchungen" vertieft Agamben darin seine Gedanken zum Ausnahmezustand, einer Kategorie zur Beschreibung der Abwesenheit des Rechts, ja der Aufhebung der Rechtsordnung, die im Konzentrationslager seine räumliche Gestalt findet, berichtet Raulff. Dabei erweist sich Agamben nach Raulffs Einschätzung einmal mehr als "scharfer Kritiker der Gegenwart" und "Analytiker des Belagerungszustands, den die Sicherheitspolitik der pax americana über die Welt verhängt hat." Darüber hinaus würdigt ihn Raulff als Rechtsphilosoph "ersten Ranges". So demonstriere er seine Qualität als Rechtshistoriker durch zwei historische Untersuchungen zum Aufkommen und Gebrauch des Konzepts und seiner Vorläufer ("Belagerungszustand", "Notstand") seit der Französischen Revolution sowie zum iustitium, einer römischen Institution, die als Archetyp des modernen Ausnahmezustands angesehen werden könne. "Brillant" findet Raulff zudem Agambens Exkurs über Carl Schmitt als Leser von Walter Benjamins frühem Aufsatz "Zur Kritik der Gewalt".
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