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Nachgerade berlinerschuleesk: "Ping jing - The Calming" von Song Fang (Forum)

Von Ekkehard Knörer
23.02.2020.


"The Calming", der zweite Spielfilm der chinesischen Regisseurin Song Fang, von Jia Zhang-ke koproduziert, ist ein kleines Wunder, schon weil er alles, was der Titel verspricht, tatsächlich einlöst. Aber auch, weil man denken könnte, man hätte das, was man hier sieht, auch die Art, wie es gefilmt ist, schon oft und öfter gesehen - ich staune aber, wie sehr es mich in diesem Film noch einmal anders, noch einmal neu, wie ein erstes Mal packt, wobei "packen" hier eigentlich das Gegenteil meint: leise berührt, besänftigt, auf fast schon aufwühlende Weise beruhigt.

Viel geschieht nicht. Die Protagonistin Lin Tong ist Filmemacherin an der Grenze zwischen Arthouse und Kunst, Spielfilm und Dokumentation. Gerade hat sie eine Doku gedreht, in deren Zentrum der Wald steht. Sie ist unterwegs von Beijing, wo sie lebt, nach Tokio, von da fährt sie mit dem Zug aufs Land, es liegt Schnee, die nicht sehr große Stadt liegt in einer Totalen ins Bergland geschmiegt. Lin Tong fährt nach Hongkong, man sieht sie in einer sehr typischen Publikumsdiskussion über ihren Film, sie fährt heraus aus der Stadt, natürlich kein Schnee, Hongkong liegt aus der Ferne zwischen Meer und Bergland geschmiegt.

Lin Tong besucht ihre Eltern, der Vater ist krank; sie selbst wird krank, hat Fieber, wird im Krankenhaus wieder gesund. Ganz am Anfang erfährt man, fast nebenbei, dass sie sich von ihrem langjährigen Freund getrennt hat, sie spricht im Verlauf des Films nicht mehr darüber, teils schwindelt sie und behauptet, es sei alles in Ordnung. Lin Ton ist sehr ruhig, wie der Film, fast schon sediert. Leitmotivisch sitzt sie an Fenstern, vor Fenstern, in Räumen und Zügen, blickt hinaus, blickt in die Landschaft, die Bilder sind klar, genau, aber nicht aufdringlich komponiert. Hochempfindlicher Ton, Straßengeräusche von Ferne, das Flüstern der Blätter, ganz besonders großartig: das leise Knacken und Knistern beim Gang durch einen Bambuswald.

Das alles ist nachgerade berlinerschuleesk in Szene gesetzt, auch im Verzicht darauf, irgendwas groß zu erklären. Ganz auf seine Hauptfigur konzentriert, ihre den Raum nie greifende, sondern lassende, durch ihn wie ein leiser Wind gehende Anwesenheit. Offenen Auges und Ohres ist sie und ist mit ihr der Film in der Stadt und in der Natur unterwegs, ein Stillleben, aus dem nur ein Konzertbesuch die Figur und auch die Betrachterin reißt. Herzzerreißend die Barockmusik, die Tränen an den Wimpern der geschlossenen Augen, ein unvergessliches Bild.

Ping jing - The Calming. Regie: Song Fang. Mit Qi Xi, Ye Yuzhu, Song Dijin, Makiko Watanabe, Chen Yadi u.a., China 2020, 89 Minuten. (Alle Vorführtermine)