Außer Atem: Das Berlinale Blog

Es geht um Ideale: "The Real Estate" von Axel Petersen und Mans Mansson (Wettbewerb)

Von Anja Seeliger
19.02.2018.


Stockholm. Auch beim Friseur sind Immobilienkrise und teure Mieten ein Thema. "All die Neukäufer ohne reiche Eltern sind angeschmiert", sagt der Friseur, beugt den Kopf einer alten Dame und föhnt. Zwischen den fliegenden Strähnen sieht man sie lächeln.

Nojet dürfte so um die Siebzig sein. Frisch geföhnt, mit protziger Uhr und goldener Sonnenbrille macht sie sich zur Begräbnisfeier ihres Vaters auf. Eine seltsame Angelegenheit, stellt sich heraus, bei der Bridge gespielt wird. Der irritierte Zuschauer verbucht das unter später zu erkundende schwedische Sitten. Die Kamera ist ganz dicht dran, wenn sie erst mit der Rolltreppe, dann dem Fahrstuhl fährt. Liegt auf der faltigen alten Hand mit den dunkel lackierten Nägeln, auf den hängenden Mundwinkeln oder ruckelt im Fahrstuhl zwischen den Köpfen der anderen, um einen Blick auf sie zu erhaschen. Ein weinendes Mädchen, dass von einem jungen Mann getröstet wird, lässt sie die Nase rümpfen. Später stellt sich heraus, dass der junge Mann ihr Neffe Chris ist.

Keine sehr sympathische Person, und das wird sich auch nicht ändern. Aber in diesem Film ist niemand sympathisch. Nojet, die immer vom Geld ihres Vaters gelebt hat, möchte genauso weiterleben, in Spanien, wo sie seit 25 Jahren eine angenehme, wenn auch langweilige Existenz fristet. Dabei helfen soll ihr das große Mietshaus, das sie geerbt hat und das ihr behinderter Halbbruder und dessen Sohn Chris verwalten.

Sehr schlecht verwalten, wie sich bald herausstellt. Nicht nur haben sie den Kasten herunterkommen lassen, sie haben außerdem eine ganze Etage illegal untervermietet und die Gewinne in die eigene Tasche gewirtschaftet. So ist es unmöglich, das Haus zu verkaufen. "Du denkst nur an dich", sagt Chris, der Betrüger, als sie ihn zur Rede stellt. "Du musst meine Arbeit respektieren. Denk an die Mieter, die alleinerziehende Mutter, die Studenten, die Einwanderer - es geht um Ideale." Auch die illegalen Mieter lernen wir kurz kennen. Allen ist klar, dass sie die Wohnungen erschlichen haben, alle betrügen - die einen, weil sie können, die anderen, weil sie müssen.

Der unsentimentale Blick der beiden Regisseure Axel Petersen und Mans Mansson auf die verschiedenen Gesellschaftsschichten spart auch den Körper Nojets nicht aus. Immer wieder verharrt die Kamera auf ihrem hageren faltigen Körper, erst im Fitnessstudio, dann beim Sex mit einem Kaufinteressenten. Da wird einem nichts erspart. Während der Zuschauer am liebsten weggucken möchte, hat der Mann, der ihr Enkel sein könnte, ganz offensichtlich soviel Vergnügen wie sie.

Einen so nüchternen, sezierenden Blick habe ich bis jetzt auf der Berlinale noch nicht gesehen. Man könnte glatt durchatmen. Die Form lässt das dann leider nicht zu. Die Regisseure haben einen solchen Willen zum großen Kino, dass sie alles einsetzen: schräge Kameraeinstellungen, fast mikroskopische Nahaufnahmen von Profilen, Nasen oder Mündern, die von Lichtreflexen umgeben sind. Musik, die bei einem Spaziergang auf dem Land dräut und bei Konfrontationen klassisch wird, Sprünge im Schnitt und wackelnde Handkamera. Im letzten Drittel wird aus der Gesellschaftsbeobachtung dann plötzlich ein Actionfilm. Das hat eine Zeitlang seinen Reiz, aber dann fragt man sich doch: Was soll das jetzt? Warum ist jetzt dieser Nasenflügel im Bild?

So richtig übel nehmen möchte ich ihnen das allerdings nicht. Die beiden haben etwas versucht. Diesmal hat es nur halb geklappt. Ich würde gern ihren nächsten Film sehen.

Toppen av ingenting (The Real Estate). Regie: Axel Petersén, Måns Månsson. Mit Léonore Ekstrand, Christer Levin, Christian Saldert, Olof Rhodin, Carl Johan Merner u.a.. Schweden / Großbritannien 2018, 88 Minuten (Vorführtermine)