Anatoli Pristawkin

Ich flehe um Hinrichtung

Die Begnadigungskommission des russischen Präsidenten
Cover: Ich flehe um Hinrichtung
Luchterhand Literaturverlag, München 2003
ISBN 9783630880075
Kartoniert, 381 Seiten, 24,00 EUR

Klappentext

Selten ist ein Autor mit seinem Land und seinem Volk so hart ins Gericht gegangen wie Anatoli Pristawkin. Humanisierung des teilweise noch mittelalterlichen Strafvollzugs und Aussetzung der Todesstrafe - das waren die Ziele der Begnadigungskommissionen, deren Vorsitzender er zehn Jahre lang war. Anhand zahlreicher, unser Vorstellungsvermögen übersteigender Lebensläufe führt er uns durch eine Hölle der Rechtlosigkeit. So erschütternd wie seine Bilanz, so tief empfunden ist sein Plädoyer für Mitmenschlichkeit und Aufklärung.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 06.06.2003

30.000 Morde pro Jahr; mehr als die Hälfte der arbeitsfähigen russischen Bevölkerung hat noch nie gearbeitet, jeder fünfte dagegen saß schon einmal im Gefängnis, wo nach Angaben von Amnesty International katastrophale Bedingungen herrschen, die manchmal dazu führen, dass Häftlinge um die unverzügliche Ausführung der Todesstrafe bitten. Mittlerweile hat Russland eine Million Häftlinge. Zahlen, die das Dilemma der russischen Gesellschaft widerspiegeln. In dem vorliegenden Buch widmet sich Anatoli Pristawkin der Begnadigungskommission des russischen Präsidenten, welche es sich zur Aufgabe gemacht hat, die zahlreich verhängten Todesurteile, welche teilweise schon für Vergehen wie die Annahme von Schmiergeldern verhängt werden, zu überprüfen. Immerhin 56.000 Häftlinge konnten daraufhin von Pristawkins "Inselchen der Barmherzigkeit" begnadigt werden, ehe die Kommission 1991 nach einer Pressekampagne entrüsteter Funktionäre aufgelöst wird. Die Rezensentin Natascha Freundel bescheinigt dem Autor, ein zutreffendes Bild des Ist-Zustandes der russischen Gefängnisse abgeliefert zu haben. "Wenngleich sein Bericht aus jener höchst unstabilen Periode nach der Perestrojka stammt und Präsident Putin ihn zu seinem persönlichen Berater für Begnadigungen gemacht hat: In den Gefängnissen und Straflagern Russlands herrscht noch immer jener Geist der schonungslosen Maßregelung, der einst den Archipel Gulag hervorgebracht hat", hat Freundel gelernt.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 03.05.2003

Deprimierend und dabei trotzdem ein Anlass zur Hoffnung ist dieses Buch nach Harald Lochs Meinung. Hier gibt der frühere Berater des russischen Präsidenten für Begnadigungen Einblick in seine Arbeitswirklichkeit. Von "Zuständen innerhalb und außerhalb der Gefängnisse, von Bestechlichkeit der Justiz", von den desolaten Kriminalkarrieren seiner Fälle, von jungen Müttern im Gefängnis und vielen anderen unerfreulichen Aspekten seiner Arbeit ist die Rede. Doch ein bisschen Trost inmitten all des strukturellen Elends findet der Rezensent trotzdem: "Hier gibt es Keime für eine humane und liberale Zivilgesellschaft, von höchster Stelle nicht nur geduldet, sondern ermutigt".

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 24.04.2003

Zehn Jahre lang hat der Schriftsteller Anatolij Pristawkin die russische Begnadigungskommission geleitet, bis Präsident Putin sie Ende 2001 aufgelöst hat. In dem Buch "Ich flehe um Hinrichtung" hat er die Erfahrungen seiner Arbeit in eine Anklageschrift gefasst, die den Rezesenten Johannes Vosswinkel sichtlich erschüttert hat. Pristawkins ganze aufgestaute Bitterkeit entlädt sich darin zwar, wie der Rezensent meint, "voller Ungerechtigkeit", doch kann er dies Pristawkin angesichts des erlebten Horrors nicht übel nehmen. Folternde Polizisten, gewissenlose Richter und Straflager, die als Fließband der Entmenschlichung dienen - die Grausamkeit der Mächtigen treibt Pristawkin ebenso zur Verzweiflung wie die mitleidlose Grausamkeit der Ohnmächtigen oder Gnadengesuche voll reueloser Geschwätzigkeit.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 17.03.2003

Das russische Strafsystem ist so brutal, dass es mehr als zweifelhaft ist, ob die Umwandlung eines Todesurteils in eine lebenslange Haftstrafe ein barmherziger Akt genannt werden kann. Zu dieser traurigen Ansicht kommt Jens Bisky nach Lektüre von Anatoli Pristawkins Bericht über seine Tätigkeit als Vorsitzender der Begnadigungskommission des Präsidenten Boris Jelzin. Den einzigen Trost, den man aus diesem Bericht überhaupt ziehen kann, meint Bisky, besteht darin, dass er überhaupt geschrieben wurde. Denn Pristawkin, eigentlich ein Schriftsteller, der sich zunächst gegen diesen von Jelzin angebotenen Posten sträubte, wie Bisky berichtet, setze sich nicht nur vehement für die Abschaffung der Todesstrafe ein, sondern klage mit seinen eindrucksvollen Erlebnisberichten auch die Reformierung des unmenschlichen Strafsystems mit seinen Lagern ein. Ein "Fließband der Entmenschlichung", heiße es bei Pristwakin. Im Mittelpunkt des Buches steht darum, so Bisky, die Feststellung Pristawkins einer allgemeinen Verrohung der Sitten in Russland, die der Autor ganz in der Tradition eines Dostojewski äußere. Jelzin sei im übrigen den Empfehlungen der Kommission gefolgt und berät nun Putin, meldet Bisky.
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