Außer Atem: Das Berlinale Blog

Kritik an der totalen Dienstleistungskultur: Tatjana Turanskyjs 'Top Girl' (Forum)

Von Elena Meilicke
12.02.2014. Tatjana Turanskyjs Film "Top Girl" stellt die Geschlechterverhältnisse auf den Prüfstand: etwas zu thesenhaft, aber dann auch mit einem Interesse an exotischer Fantastik heutiger Sexarbeiterinnen.


Tatjana Turanskyjs "Topgirl oder la déformation professionelle" ist ein Film mit großer Agenda: es geht ihm um eine Kritik gegenwärtiger Geschlechterverhältnisse, um die Sichtbarmachung prekärer und flexibler Frauenarbeit in Zeiten totaler Dienstleistungskultur. Der Film will die Bloßstellung eines Patriarchats, das Frauen neuerdings nicht mehr aktiv unterdrückt, sondern sie dazu bringt, die eigene Unterdrückung selbst zu übernehmen und sich rabiaten Regimes körperlicher Selbstkontrolle und Selbstoptimierung zu unterwerfen.

Das sind alles total wichtige und richtige Fragen, aber ihre Übersetzung in Bilder, in eine Geschichte, in einen Film funktioniert leider nicht ganz reibungslos. Der Film folgt dem Alltag von Helena (Julia Hummer) – 30 Jahre alt, alleinerziehende Mutter, erfolglose Schauspielerin – die ihr Geld als Sexarbeiterin bei einem Escort-Service verdient. Ein ziemlich unglamouröser Alltag ist das, den Turanskyj gänzlich frei von Hurenromantik und Bordellkitsch zeichnet: Helena, wie sie ihre Tochter weckt, über verschneite Straßen zum nächsten Termin stapft, an dem schäbigen Besprechungstisch irgendeiner Berlin-Mitte-Agentur (Flipchart im Hintergrund) verführerisch ihre Dienste anbietet.

Doch von seiner ganzen Anlage her ist der Film zu schematisch, zu thetisch, zu grobschlächtig gebaut. Es ist, als wüsste die Regisseurin zu genau, was sie aussagen will. Da geraten dann alle Figuren zu Erfüllungsgehilfen, zu Diskursträgerinnen und -repräsentanten, zur Karikatur: die elegante Schönheitschirurgin etwa, die die Schamlippen-OP als feministisches Empowerment verkaufen will, oder die Bordellbesitzerin, die im Unternehmensberater-Jargon das ABC der Sexdienstleistung doziert. Auch Helenas Mutter Lotte kommt in erster Linie die Aufgabe zu, einen bestimmten Diskurs zu vertreten, den guten, alten Feminismus der 70er-Jahre-BRD-Frauenbewegung nämlich, der als Kontrapunkt zu Helenas apolitischem Vor-sich-hin-wurschteln dienen soll. Immer wieder wird da von Helenas entfremdeter Sexarbeit zum Job der Mutter geschnitten: die gibt einem jungen, blonden Mann fröhlich Gesangsunterricht, in dem unablässig nur eine einzige Zeile gesungen wird: "Ich habe genug..."



Am Ende nimmt der Film die Rede vom Krieg der Geschlechter ganz wörtlich und inszeniert eine krasse Jagdszene mit ganz, ganz, ganz, ganz bösen Männern, die nackte junge Frauen durch den Wald hetzen, eine Szene, die ins Groteske kippt und mich in ihrem unbedingten Willen zu Drastik und Deutlichkeit fast peinlich berührt hat – da schwingt für meine Begriffe zu viel Pathos in der aufrechten Empörung mit.

Trotzdem: an anderen Stellen schafft es der Film, die Übereindeutigkeit der Aussage hinter sich zu lassen und genau hinzuschauen. Ich mochte die Art, wie er mit Orten und Räumen umgeht, das neue Berlin als gesichts- und geschichtslosen Ort einfängt, oder die Sorgfalt, mit der er Kostüme einsetzt: es gibt da ein Interesse für die exotische Fantastik und das Statuarische der Lack-und-Leder-Outfits und zugleich eine schöne Sensibilität für den langweilig-seriösen Konsens-Look, der die Mode der neuen Mitte charakterisiert.

Groß ist nicht zuletzt das Spiel von Julia Hummer, deren verehrungswürdige Schlunzigkeit lange nicht mehr im Kino zu sehen war und die sich und ihren Körper hier uneitel und schonungslos zur Schau stellt. Uneitel, schonungslos – noch während ich diese blöden und gewundenen Adjektive aufschreibe, merke ich, dass am Reden über und Zeigen von weiblichen Körpern nichts einfach und unpolitisch ist, und Filme wie "Topgirl oder la déformation professionelle", die die gegenwärtigen Funktions- und Produktionsweisen dieser Körper zum Thema machen, deshalb gebraucht werden.

Elena Meilicke

Top Girl oder la déformation professionnelle. Regisseurin: Tatjana Turanskyj. Darsteller: Julia Hummer, Susanne Bredehöft, RP Kahl, Thorsten Heidel. Deutschland 2014, 94 Minuten (Forum, alle Vorführtermine)