Außer Atem: Das Berlinale Blog

Ich habe nur getan, was andere auch getan haben: Ruth Beckermanns "Waldheims Walzer" (Forum)

Von Thekla Dannenberg
17.02.2018.


Ruth Beckermann ist als engagierte Autorin und feinsinnige Filmemacherin auch langjährige Chronistin der österreichischen Geschichte. Für ihren Filmessay "Waldheims Walzer" hat sie in ihrem eigenen Archiv geforscht, um auf eine Episode in der Wiener Politik zurückzublicken, die fast schon vergessen schien, aber auf einmal wieder gewaltige Relevanz entfaltet. Beckermann erinnert an den Sommer 1986, als Kurt Waldheim in Wien antrat, Bundespräsident zu werden.

Von den Plakaten der ÖVP prangte "Der Mann, dem die Welt vertraut". Waldheim war ein Karrierediplomat mit erstklassigen Manieren und Prediger moralischer Werte. 1971 war er Generalsekretär der Vereinten Nationen geworden. Doch schon seit 1968 gab es Zweifel, ob er wirklich so schuldlos durch den Zweiten Weltkrieg gekommen war, wie seine offizielle Biografie behauptete. Nach dieser war er als Soldat des angeschlossenen Österreichs in die Deutsche Wehrmacht eingezogen, aber nach wenigen Monaten verwundet worden, so dass er nicht wieder an die Front zurück konnte. Er habe sich deshalb ganz seinem Jura-Studium gewidmet. Doch schon Tito fragte bei einem Besuch des noblen Herrn Generalsekretär in Belgrad etwas schärfer nach: Ob er denn nicht schon zuvor in Jugoslawien gewesen sei? Aber nein!

Doch im April 1986 zerbrach das große Lügengebäude, das nicht nur Kurt Waldheim persönlich, sondern das ganz Österreich um sich errichtet hatte. Es tauchten die Wehrmachtsakten auf, die zeigten, dass Waldheim schon 1938 Mitglied der SA geworden war und nach seiner Verwundung sehr wohl weiter gedient hatte. Erst als Nachrichtenoffizier, dann in den Feldzügen gegen die Partisanen auf dem Balkan und in Griechenland, im Stab des Generaloberst Alexander Löhr, der später in Jugoslawien als Kriegsverbrecher zum Tode verurteilt wurde.

Beckermann rekonstruiert mit Material auch aus anderen Archiven, wie die Wahrheit Stück für Stück ans Licht kam, wie die Öffentlichkeit die Enthüllungen nicht wahrhaben wollte, wie Waldheim leugnete und wie sich ein Land gegen die Erkenntnis sperrte, nicht "Hitlers erstes Opfer", sondern auch Täter gewesen zu sein. Beckermann selbst gehörte damals zu jenem kleinen Grüppchen, das von Beginn an auf dem Stephansplatz gegen diese beschämende Kandidatur protestierte, wie auch andere zuverlässige Figuren des Wiener Geistesleben, Daniel Charim und Peter Kreisky.



Beckermanns Rekonstruktion ist schockierend, bewegend und erhellend. Aber nicht nur weil sie zeigt, wie antisemitisch das Land noch in achtziger Jahren war und wie leicht sich vierzig Jahre nach Kriegsende noch die alten Reflexe abrufen ließen. "Ich habe nur getan, was andere auch getan haben", ruft Waldheim, der sich sonst so viel auf seine Exzellenz einbildete, bei einem Auftritt auf einem Marktplatz: "Ich war ein anständiger Soldat." Jubel unter den alten Männern.

Der Film ist auch deswegen so interessant, weil er zeigt, wie Systeme von Macht und Rechtfertigung zusammenbrechen. Man denkt nicht nur an alerte Rechtspopulisten wie HC Strache und giftige Demagogen wie Bernd Höcke, man denkt auch Harvey Weinstein und Dieter Wedel. Man denkt an Täter, die mit ihren Vergehen davonkommen, weil sie auf Einverständnis oder Verharmlosung zählen können. Man denkt an die vielen kleinen Helfer, die schweigenden Zuschauer und Opportunisten, die daran mitwirken, Verbrechen kleinzureden, dem Opfer die Schuld zu geben und mit Missachtung zu strafen, wer den lieben Frieden stört.

Beckermann zeigt die Verachtung, die dem Jüdischen Weltkongress entgegenschlug, als er Waldheims Akten veröffentlichte, und den Hass, den die Demonstranten auf dem Stephansplatz auf sich zogen. Und auch wenn Waldheim gewählt wurde und bis 1992 im Amt blieb, war er international geächtet, von niemandem eingeladen und von den USA auf die Watchlist gesetzt. Beckermann erinnert eindrücklich an das Ende eines kollektiven Selbstverteidigungssystems.

Waldheims Walzer - The Waldheim Waltz. Regie: Ruth Beckermann. Österreich 2018, 93 Minuten. (Vorführtermine)