Vom Nachttisch geräumt
Perücken, Requisiten und Kostüme
Von Arno Widmann
10.09.2018. Der äußerste Realismus ist nur künstlich zu haben. Und also ein Albtraum. Das lernt man mit Alex Pragers Fotoband "Silver Lake Drive".Zu den Schönheiten meines Berufes gehört, dass ich Bücher, die mich interessieren, zugeschickt bekomme. Noch schöner ist manchmal, dass ich auch zugeschickt bekomme, was mich nicht interessierte, von dessen Existenz ich nicht einmal etwas wusste. Von der in Los Angeles lebenden Fotografin und Filmerin Alex Prager, geboren 1979, hatte ich bis vor einer Woche noch nie etwas gehört. Bis ich den Band zugeschickt bekam, der in mehr als 290 Farbabbildungen zeigt, was die Künstlerin in den vergangenen zehn Jahren gemacht hat. Ich bin fasziniert von dem, was alle fasziniert an ihren Aufnahmen: das Überklare, das Überdefinierte. Durch das der Realismus umschlägt in den Albtraum.
Das Foto auf dem Umschlag macht noch etwas deutlich, das die Arbeiten von Prager auszeichnet. Sie zeigen Menschenmassen und dass jeder darin allein ist. Jeder blickt nach etwas oder jemandem, aber keiner bekommt einen Blick zurück. Es könnte ein Flashmob sein in den Augenblicken, bevor sich zeigt, dass es einer ist. Die Terrakotta-Armee des chinesischen Kaisers Qin Shi Huangdi (259-210 v. u. Z.) mag, als sie leuchtend bemalt war, ähnlich stumm dagestanden haben, als wartete sie auf ein Zeichen, sich in Bewegung zu setzen. Manches, was uns absolut modern erscheint, wirft ein erhellendes Licht auf Jahrtausende alte Vergangenheiten. Wir mögen recht haben, bei Alex Pragers Fotos und Filmen zunächst vor allem an Hollywood zu denken, aber wir dürfen nicht vergessen: Auch Hollywood und seine Ästhetik reichen tief in die Vergangenheit.
Am Ende des Buches gibt es das Kapitel "Hinter den Kulissen", in dem gezeigt wird, wie Fotos und Filme entstanden sind. Die großartige Strandszene zum Beispiel, in der Alt und Jung, schwarz und weiß, Männer und Frauen in Straßenklamotten oder Badeanzügen auf Liegestühlen oder Badetüchern liegen, wurde natürlich in einem Studio aufgenommen. Weil nur dort die Künstlerin von jedem Accessoire bis zum Licht alles unter Kontrolle hat. Ein Kran hebt die Kamera über die Szene. Keine Drohne, nein, ganz altmodisch ein riesiger Kran, in dessen Arm die Künstlerin Platz nehmen und von dem aus sie fotografieren kann. Es heißt, von ihren einzelnen Aufnahmen verkaufe sie ein bis sechs Kopien zu Preisen zwischen 20 000 und 50 000 US-Dollar. Ganz abgesehen von ihrer herausragenden Qualität, kommen einem diese Preise, angesichts der Aufwändigkeit der Produktion dieser Bilder, nicht zu vergessen die Immobilienpreise in Los Angeles, geradezu bescheiden vor. Andererseits, wenn man nachrechnet: Sagen wir 200 Fotos mal 6 sind: 1200 mal 30 000 ist gleich: 36 Millionen. Pro Jahr also 3,6 Millionen.
Alex Prager: Silver Lake Drive, Schirmer/Mosel, München 2018, mit einer Einleitung von Michael Govan, Texten von Clare Grafik und Michael Mansfield und einem Interview mit Alex Prager von Nathalie Herschdorfer, aus dem Englischen von Ursula Wulfekamp und Matthias Wolf, 224 Seiten, 291 farbige Abbildungen, 48 Euro.
Das Foto auf dem Umschlag macht noch etwas deutlich, das die Arbeiten von Prager auszeichnet. Sie zeigen Menschenmassen und dass jeder darin allein ist. Jeder blickt nach etwas oder jemandem, aber keiner bekommt einen Blick zurück. Es könnte ein Flashmob sein in den Augenblicken, bevor sich zeigt, dass es einer ist. Die Terrakotta-Armee des chinesischen Kaisers Qin Shi Huangdi (259-210 v. u. Z.) mag, als sie leuchtend bemalt war, ähnlich stumm dagestanden haben, als wartete sie auf ein Zeichen, sich in Bewegung zu setzen. Manches, was uns absolut modern erscheint, wirft ein erhellendes Licht auf Jahrtausende alte Vergangenheiten. Wir mögen recht haben, bei Alex Pragers Fotos und Filmen zunächst vor allem an Hollywood zu denken, aber wir dürfen nicht vergessen: Auch Hollywood und seine Ästhetik reichen tief in die Vergangenheit.
Am Ende des Buches gibt es das Kapitel "Hinter den Kulissen", in dem gezeigt wird, wie Fotos und Filme entstanden sind. Die großartige Strandszene zum Beispiel, in der Alt und Jung, schwarz und weiß, Männer und Frauen in Straßenklamotten oder Badeanzügen auf Liegestühlen oder Badetüchern liegen, wurde natürlich in einem Studio aufgenommen. Weil nur dort die Künstlerin von jedem Accessoire bis zum Licht alles unter Kontrolle hat. Ein Kran hebt die Kamera über die Szene. Keine Drohne, nein, ganz altmodisch ein riesiger Kran, in dessen Arm die Künstlerin Platz nehmen und von dem aus sie fotografieren kann. Es heißt, von ihren einzelnen Aufnahmen verkaufe sie ein bis sechs Kopien zu Preisen zwischen 20 000 und 50 000 US-Dollar. Ganz abgesehen von ihrer herausragenden Qualität, kommen einem diese Preise, angesichts der Aufwändigkeit der Produktion dieser Bilder, nicht zu vergessen die Immobilienpreise in Los Angeles, geradezu bescheiden vor. Andererseits, wenn man nachrechnet: Sagen wir 200 Fotos mal 6 sind: 1200 mal 30 000 ist gleich: 36 Millionen. Pro Jahr also 3,6 Millionen.
Alex Prager: Silver Lake Drive, Schirmer/Mosel, München 2018, mit einer Einleitung von Michael Govan, Texten von Clare Grafik und Michael Mansfield und einem Interview mit Alex Prager von Nathalie Herschdorfer, aus dem Englischen von Ursula Wulfekamp und Matthias Wolf, 224 Seiten, 291 farbige Abbildungen, 48 Euro.
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