9punkt - Die Debattenrundschau

Der Anfang und nicht das Ende

Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
07.11.2023. Unter der Überschrift "Philosophy for Palestine" haben Akademiker aus Nordamerika und Europa, darunter Judith Butler, Etienne Balibar und Nancy Fraser, ihre Solidarität mit den Palästinensern gegen den "ethno-suprematistischen" Staat Israel erklärt. In Medium fragt die türkisch-amerikanische Philosophin Seyla Benhabib, ob diese Philosophen wirklich mit der Hamas die Zerstörung Israels wollen. In der NZZ fragt der Schriftsteller Doron Rabinovici, warum Teile der Linken Juden als Menschen akzeptieren können, aber nicht den Menschen als Juden. Bei Zeit online will der israelische Historiker Tom Segev die Hoffnung auf eine Zweistaatenlösung nicht ganz aufgeben.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 07.11.2023 finden Sie hier

Ideen

Unter der Überschrift "Philosophy for Palestine" haben Akademiker aus Nordamerika und Europa, darunter Judith Butler, Etienne Balibar und Nancy Fraser, ihre Solidarität mit den Palästinensern gegen den "ethno-suprematistischen" Staat Israel erklärt, dessen Auflösung sie fordern: "Die Blockade des Gazastreifens dauert seit 16 Jahren, die Besetzung des Westjordanlands und des Gazastreifens seit 56 Jahren; die Enteignung der Palästinenser von ihrem Land und ihren Häusern im gesamten historischen Palästina dauert seit der Gründung Israels als ethnisch-suprematistischer Staat im Jahr 1948 ein dreiviertel Jahrhundert. Es ist nicht ohne Grund, dass Beobachter - darunter sowohl internationale und israelische Menschenrechtsgruppen - Israels Kontrolle über das Land vom Jordan bis zum Mittelmeer als ein System der Apartheid charakterisiert haben. Vor allem aber sind wir uns nur allzu bewusst, dass die Länder, in denen wir leben und arbeiten und Steuern zahlen, eine Partei und nur eine Partei in diesem zutiefst asymmetrischen Konflikt finanzieren und unterstützen. Diese Partei ist nicht die der Unterdrückten, sondern die der Unterdrücker. Gerade jetzt haben die Menschen in Gaza ihre Verbündeten weltweit aufgefordert, Druck auf ihre Regierungen auszuüben, um einen sofortigen Waffenstillstand zu fordern. Aber sie haben deutlich gemacht, dass dies der Anfang und nicht das Ende kollektiver Befreiungsaktionen sein sollte - sein muss. Wenn es Gerechtigkeit und Frieden geben soll, muss die Belagerung des Gazastreifens aufgehoben werden, die Besatzung muss enden und die Rechte aller Menschen, die derzeit zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer leben, müssen ebenso wie die der palästinensischen Flüchtlinge im Exil respektiert werden."

In Medium reagiert die türkisch-amerikanische Philosophin Seyla Benhabib schockiert auf diesen Brief, dem "jegliches Gespür für die Geschichte" fehle und der zugleich der Hamas als "angebliche Vorhut des palästinensischen 'Befreiungskampfes' unterstützt. Dies ist ein kolossaler Fehler. Die Hamas ist eine nihilistische Organisation, die die Zivilbevölkerung des Gazastreifens als ihre Geisel behandelt. Der Führer der Organisation, Ismail Hanniye, sitzt in einem Luxushotel in Katar, während auf den Straßen von Gaza Kinder sterben. Ja, wie Amnesty International sagt, 'Gaza ist das größte Freiluftgefängnis der Welt', aber das liegt auch daran, dass die Hamas eine Vernichtungsorganisation ist, deren Charta die Zerstörung des Staates Israel befürwortet. Auch Sie scheinen dies implizit zu unterstützen, wenn Sie schreiben: 'Wenn es Gerechtigkeit und Frieden geben soll, muss die Belagerung des Gazastreifens aufgehoben werden; die Besatzung muss beendet werden, und die Rechte aller Menschen, die derzeit zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer leben, sowie die der palästinensischen Flüchtlinge im Exil müssen respektiert werden.' Amen! Aber sehen Sie in der Hamas eine politische Organisation, die sich für die 'Achtung der Rechte aller Menschen einsetzt, die derzeit zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer leben'? Das widerspricht der Geschichte und der Logik. Die Hamas hat sich der Zerstörung des Staates Israel verschrieben; das unterstütze ich nicht. Und Sie? Welche moralische oder politische Logik liegt Ihrer Argumentation hier zugrunde?"

In der taz erinnern Daniel Cohn-Bendit und Claus Leggewie daran, dass ein Teil der Linken immer schon eine Sympathie für totalitäre Fanatiker hatte. "Die aktuelle Verwirrung und Verirrung, die in der Hamas-Freundlichkeit zum Ausdruck kommt, hat ihre Vorgeschichte. Der Geburtsfehler der nach 1945 unter dem Motto 'Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus' versammelten Linken bestand in der Negation der 'westlichen Werte' von Demokratie und Menschenrechten, die es dem Sowjetkommunismus leicht machte, politische und soziale Proteste im Westen zu kapern. Gewiss waren die westlichen Bündnisse - Nato, EWG - gerade im Hinblick auf den fortbestehenden Kolonialismus, das Wettrüsten und eine neoliberale Wirtschaftspolitik problematisch. Aber das hätte kein Blankoscheck für einen kruden Antiamerikanismus und nationalneutralistische 'Dritte Wege' sein dürfen, die im organisierten Pazifismus von den 1950er bis in die 1990er Jahre (und heute wieder in Hinsicht auf die Aggression gegen die Ukraine) zur faktischen Allianz mit (sowjet)russischen Zielen führte - ganz abgesehen vom unsäglichen Schulterschluss westlicher K-Gruppen mit der maoistischen Diktatur in China und Terrorregimen in Südostasien."

Außerdem: Die Welt bringt die Rede, die Slavoj Zizek zur Eröffnung der Frankfurter Buchmesse ursprünglich halten wollte. (Unsere Resümees) Laut Zizek, so die Welt, hatte ihn der Geschäftsführer der Messe, Jürgen Boos, kurzfristig gebeten, auch auf den Terroranschlag der Hamas einzugehen. Dies war in Zizeks Rede ursprünglich nicht vorgesehen, hier ging es im Wesentlichen um Cancel Culture von Links und Rechts.
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Politik

"Seit dem 7. Oktober offenbart sich der Jihadismus vor aller Weltöffentlichkeit als brutaler Vernichtungsantisemitismus", ruft im NZZ-Gespräch der Schriftsteller Doron Rabinovici der postkolonialen Linken im Allgemeinen und Judith Butler im Besonderen entgegen und erklärt: "Es gibt bei Teilen der Linken eine Ideologie, die den Juden als Menschen akzeptiert, aber nicht den Menschen als Juden. Nach der Französischen Revolution, in einer Debatte der französischen Nationalversammlung im Jahr 1789, bei der es um die Gleichberechtigung der Juden geht, heißt es schon: den Juden als Bürger alles, den Juden als Nation nichts. Beim Judentum tun sich viele Linke schwer, denn Gleichheit für die Ungleichen ist ein kompliziertes Konzept. Im Stalinismus hatte der kommunistische Jude nur noch entjudeter Genosse zu sein, kaum wich er aber von der Parteilinie ab, wurde er zum sogenannten Kosmopoliten oder zum Zionisten abgestempelt. Zionismus wurde dabei zum Codewort."

Eigentlich erleben die Palästinenser derzeit eine "zweite Nakba", sagt der israelische Historiker Tom Segev im ZeitOnline-Gespräch, in dem er trotz allem die Hoffnung auf eine Zweistaatenlösung nicht ganz aufgeben will: "Zumal auch der schreckliche Jom-Kippur-Krieg 1973 schließlich zu einem Friedensprozess mit Ägypten führte, was damals niemand für möglich hielt. Später kam es ebenso zu einem Friedensprozess mit Jordanien. Wobei man sagen muss: Beide Friedensverträge waren für die Palästinenser sehr schlecht. Ägypten hat die Palästinenser im Gazastreifen im Stich und Israel überlassen, Jordanien hat die Palästinenser in der Westbank im Stich und Israel überlassen. Die Palästinenser sind wirklich das Waisenkind des Nahen Ostens."

In der Jüdischen Allgemeinen ist Ayala Goldmann erleichtert, dass einige Politiker sich zunehmend von BDS distanzieren. "Lisa Paus bereut ihre frühere Haltung zur Israel-Boykottbewegung BDS. Dem Spiegel sagte die grüne Bundesfamilienministerin: 'Die letzten Jahre haben gezeigt: Ich habe mich geirrt.'" Auch Claudia Roth leitet auf eine Anfrage der Jüdischen Allgemeinen hin eine Art Distanzierung ein: "Wirklich erschreckend sei, 'wie Unterstützer der BDS-Bewegung die Terrorattacken der Hamas relativiert haben. Vor diesem Hintergrund sehe ich die BDS-Bewegung heute noch viel kritischer. Entsprechend arbeite ich mit meiner Behörde und Kulturinstitutionen aus meinem Verantwortungsbereich ganz konkret daran, dass der Raum der Kultur nicht für Aktivitäten der BDS-Bewegung missbraucht werden kann.' Masal tov! Späte Einsicht ist besser als keine."

Der in West-Aserbaidschan aufgewachsene Kayvan Samadi gründete ein medizinisches Netzwerk während der Proteste im Iran, wurde inhaftiert und gefoltert und nach seiner Flucht nach Deutschland nach Frankreich abgeschoben. Im FR-Gespräch erinnert er sich unter anderem an die Brutalität, mit der das Regime gegen die Protestierenden vorging: "Man zielte von hinten auf die Protestierenden. Einige der Verletzungen waren wirklich entsetzlich. Ich erinnere mich an einen verheirateten Familienvater. Wir mussten 46 Gummigeschosse aus seinem Rücken entfernen. Ich bin sicher, dass er einige der Geschosse immer noch in sich trägt. Sie steckten so tief in seinem Körper, dass wir uns nicht trauten, sie heraus zu operieren, weil wir seine Arterien nicht verletzen wollten. Außerdem waren unsere Ressourcen limitiert. Um die exakte Tiefe dieser Geschosse herauszufinden, hätten wir ihn röntgen müssen. Dazu fehlten uns die Geräte. Und die Krankenhäuser, die ihm hätten helfen können, waren zu der Zeit unter der Kontrolle der Sicherheitskräfte. Das Regime weigerte sich, verwundeten Demonstranten eine medizinische Behandlung zu gewähren. Stattdessen nahmen sie die Verletzten fest."

Während Teile des Westens Verständnis für die Taten der Hamas aufbringen, hält sich das Interesse für die Opposition im Iran weiter stark in Grenzen, bemerkt Mina Khani in der taz. Dass die iranische Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi in den Hungerstreik getreten ist, aus Protest gegen die schlechten Haftbedingungen im Teheraner Evin-Gefängnis, hat hier kaum jemand bemerkt. "Mit dem Hungerstreik soll auch auf den Kampf der Frauen gegen die Zwangsverschleierungsmaßnahmen hingewiesen werden. Erst im Oktober wurde Roya Zakeri wegen der Verweigerung des Zwangs-Hidschabs festgenommen und in die Psychiatrie eingewiesen. Sie konnte wochenlang nur 'the girl of Tabriz' genannt werden, weil man nicht mal wusste, wie sie heißt und wo genau sie sich befindet. Nur einen Tag nachdem Mohammadi der Nobelpreis verliehen wurde, überfielen die Terroristen der Hamas Israel, mutmaßlich unter Beihilfe des Irans. Die Zeitgleichheit kommt dem Regime in Teheran zupass, denn sie lenkt die Aufmerksamkeit weg vom Terror des Staates gegen seine eigene Bevölkerung."

Das klappt auch in England ganz prächtig. Dort feiert der Antisemitismus fröhliche Urstände, schreibt die Historikerin Karina Urbach aus London an die taz. "Eine antisemitische Wucht hat London getroffen. Seit den 1930er Jahren hat diese Stadt nichts dergleichen erleben müssen. Damals trug Oswald Mosleys British Union of Fascists (BUF) den Hass auf die Straße. Jetzt sind die Antisemiten wieder in der Stadt, und sie haben sich gut verkleidet. Sie tragen nicht mehr BUF-Schwarzhemden und beschränken ihre Aktivitäten nicht auf das East End. Ihr Ziel ist die fotogene Innenstadt. Perfekt organisierte Medienprofis karren sie aus ganz England herbei. Sie mischen sich unter friedliche Demonstranten, um die Stimmung anzuheizen. Attraktive Frauen kommen mit Chormeistern, die ihnen Hass-Lieder vorsingen. Man trägt Paraglider-Tops, hält Plakate mit 'Ich unterstütze die Hamas', 'Sieg der Intifada' und 'Zionismus ist Rassismus' hoch. Mit roter Farbe werden 'feindliche' Gebäude angesprayt. Selbst kleine jüdische Einrichtungen sind nicht mehr sicher".

In Deutschland pflegen gleich zahlreiche Universitäten Kontakte zur University of Religions and Denominations (URD) in der iranischen Stadt Qom, "die von Führungspersonen der Iranischen Revolutionsgarde (IRGC) geleitet wird und bei denen Verbindungen zur libanesischen Terrororganisation Hisbollah bestehen", berichten in der taz Gilda Sahebi und Jean-Philipp Baeck. "Studienfahrten, Gastvorträge, gemeinsame Projekte, Austauschprogramme oder institutionelle Kooperationen bestanden unter anderem mit der Universität Paderborn, der Universität Münster, der Universität Potsdam, der Freien Universität Berlin sowie der Goethe-Universität in Frankfurt." Die beiden Reporter hatten Einblick in die Untersuchung dieses "interreligiösen" Austauschs, die der Iran-Experte Kasra Aarabi von der US-NGO "United Against Nuclear Iran" (UANI) durchgeführt hat: "Kasra Aarabi zufolge nutzen die Revolutionsgarden Einrichtungen wie die URD, um drei Ziele zu erreichen: Erstens, um ausländische Personen zu identifizieren, die ihre Ideologie in anderen Ländern verbreiten können. Aarabi bezeichnet diese Personen als 'nützliche Idioten'. Zweitens sollen ausländische Staatsangehörige für Zellen rekrutiert und radikalisiert werden, die weltweit Operationen der IRGC, einschließlich Spionage, durchführen. Drittens, so Aarabi, können die Revolutionsgarden Partnerschaften mit europäischen Universitäten ausnutzen, um ihre eigenen Agenten unter der Tarnung als 'Akademiker' nach Deutschland zu schicken."
Archiv: Politik

Gesellschaft

Buch in der Debatte

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n seinem aktuellen Buch "Kampf & Sehnsucht in der Mitte der Gesellschaft" schreibt der Journalist und Theologe Stephan Anpalagan auch über Antisemitismus, Rassismus und Integrationsversäumnisse. "Wer Bürger dieses Landes werden will, muss sich zum Schutz jüdischen Lebens und zur Existenz Israels bekennen", sagt er im Tagesspiegel-Gespräch, räumt aber ein: "Es ist noch nicht so lange her, dass Hildegard und Wolfgang mit 'Ungeimpft'-Judensternen und Seit-an-Seit mit Neonazis durch deutsche Innenstädte marschiert sind. Polizisten werden in trauriger Regelmäßigkeit mit antisemitischen WhatsApp-Chats auffällig, der LKA-Personenschützer der ehemaligen Präsidentin des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch, scherzte mit Kollegen, er würde sie gerne nach Dachau ins KZ fahren. Jeder fünfte Deutsche denkt antisemitisch, das belegen Studien seit Jahren. Die zuweilen offen antisemitische AfD ist bundesweit zweitstärkste Kraft. Wenn wir wirklich alle Antisemiten rausschmeißen wollten, müssten wir wahrscheinlich einen Gutteil der deutschen Bevölkerung ausbürgern. Es gibt einen bedauernswerten, exklusiven Blick auf den Antisemitismus der Zuwanderer. Ich bezeichne ihn im Buch als 'Migrantisemitismus'."

"Es ist völlig richtig, muslimischen Antisemitismus als solchen zu benennen", schreibt auch Hannah Bethke in der Welt, aber: "Der Feuereifer, mit dem das jetzt mitunter betrieben wird, lässt jedoch - wieder einmal - allzu schnell vergessen, welche Geschichte dieses Land mit dem Thema selbst hat. Um Antisemitismus von rechts gehe es jetzt aber nicht, ist derzeit oft zu hören. Ach nein? Die demoskopischen Daten sagen etwas anderes. Unter AfD-Wählern sind israelkritische und teilweise auch antisemitische Positionen besonders stark verbreitet - und die Partei hält sich in Umfragen weiterhin stabil bei etwa 20 Prozent. Das ist nur ein Indiz für die anhaltende Tradition rechten Denkens in diesem Land. In den diskursiven Empörungsreflexen der sozialen Medien aber hält man lieber an altbekannten Feindbildern fest: Für die einen sind die Muslime schuld und die Linken sowieso, für die anderen sind alle 'rechts', die migrantische Parallelgesellschaften kritisch sehen. Beide Reaktionen haben uneingestanden mit einem Thema zu tun, das über die Generationen hinweg wirksam bleibt: die deutsche Schuld. Wieder wird das Gefühl der eigenen oder kollektiven Schuld abgeladen."

Wir finden in Deutschland keinen klaren Umgang mit Kritik am Islam, schreibt Hasnain Kazim in der SZ: "Also beten Leute vor dem Brandenburger Tor. Also marschieren Leute mit Bannern auf, die sonst Terrororganisationen benutzen. Wir verteidigen unsere Werte nicht, sondern geben sie auf. Wir räumen Verbänden, die beanspruchen, 'die Muslime' zu vertreten, Raum ein, obwohl die ihre Positionen zum größten Teil aus dem Ausland zugewiesen bekommen. Warum hat die türkische Religionsbehörde Diyanet hier mitzureden? Stattdessen haben wir alle paar Monate wieder eine Kopftuchdebatte, eine Burkadebatte, eine Beschneidungsdebatte, eine Schweinefleischdebatte. Da pauschalisieren dann weit rechts Menschen gegen 'die Muslime' und fordern Absurdes." (Kann man einerseits an westliche Werte erinnern und dann sagen, die Kopftuchdebatte sei "rechts"? Frühe Islamkritiker wie Necla Kelek, Seyran Ates und Hamed Abdel-Samad können ein Lied davon singen, wie man als "rechts" denunziert wird, wenn man auf Probleme hinweist.)

Die streckenweise islamistische Demo in Essen, bei der streng nach Geschlechtern getrennt unter "Allahu Akbar"-Rufen gegen Israel demonstriert und die Errichtung eines Kalifats gefordert wurde, hat sogar die Grünen-Politikerin Lamya Kaddor verstört. "Ich war 15 Jahre Lehrerin, habe Jugendliche in Islamischer Religion auf Deutsch unterrichtet. Meiner Erfahrung nach wissen viele Muslime nicht, was Antisemitismus in Bezug auf Israel bedeutet", meint sie im Gespräch mit dem Spiegel. "Natürlich findet sehr viel Mobilisierung auf unseren Straßen statt, die Stimmung ist aufgeheizt. Und trotzdem ruft die ganz überwiegende Mehrheit der Musliminnen und Muslime in Deutschland keine antisemitischen Parolen, geht nicht auf gewaltsame Pro-Palästina-Demos." Weshalb sie auch davor warnt, "alle Menschen muslimischen Glaubens unter Druck zu setzen, sich zu Israel und der Hamas positionieren zu müssen. Antisemitismus muss benannt und bekämpft werden, aber es darf keinen pauschalen Erklärungszwang zu Ereignissen geben, deren Dimensionen viele gar nicht überblicken. Wir sollten über den Terror der Hamas und seine Folgen sprechen und jetzt nicht pauschal über Muslime reden oder friedliche gesellschaftliche Gruppen gegeneinander ausspielen, auch in der Migrationsdebatte nicht."

Rechte haben wir in Deutschland genug, die müssen wir nicht noch zusätzlich importieren, meint Stefan Laurin bei den Ruhrbaronen: "Nach Zahlen der Anti-Defamation-League, die auch dem Verfassungsschutz als Quelle dienen, sind 74 Prozent der Menschen im Mittleren-Osten und Nordafrika Antisemiten. Die Behauptung, auch in dieser Region sei der Antisemitismus nur eine Minderheitenmeinung ist nicht mehr als ein frommer Wunsch, der mit der Realität nichts zu tun hat. Die Zahlen unterscheiden sich von Land zu Land: In der Westbank und in Gaza haben 93 Prozent der Menschen antisemitische Einstellungen, im Iran sind sie mit 60 Prozent so niedrig wie in keinem anderen Staat im Mittleren-Osten und Nordafrika. Wollen wir mit diesen Menschen in einem Land leben?"
Archiv: Gesellschaft

Medien

Gleich nach dem Massaker in Israel rechtfertigte al-Jazeera den Terror der Hamas. In der NZZ ist Lucien Scherrer wenig überrascht: "Die mangelnde journalistische Distanz zur Hamas ist kein Zufall. Der Staat Katar, der al-Jazeera finanziert, gehört zu den wichtigsten Förderern der Muslimbruderschaft und ihres Ablegers, der Hamas. Ein Teil der Elite dieser islamistischen Großfamilie lebt, ziemlich luxuriös, in Katar. Ihr kürzlich verstorbenes geistliches Oberhaupt, Jusuf al-Karadawi, war ebenfalls Exil-Katarer - und er gehörte nicht nur zu den ersten Mitarbeitern, sondern auch zu den größten Stars von al-Jazeera. 1996 erhielt Karadawi dort seine eigene Sendung: 'Die Scharia und das Leben'. Mit seinen Botschaften erreichte der 'globale Mufti' Millionen Muslime auf der ganzen Welt. Als Unterstützer der Hamas befürwortete Karadawi den heiligen Krieg gegen Israel, und Juden hatten seiner Meinung nach keine Existenzberechtigung, genauso wenig wie Homosexuelle und Glaubensabfällige."
Archiv: Medien
Stichwörter: Al Jazeera, Hamas, Katar