Wer dachte,
Judith Butler hätte den absoluten Tiefpunkt der Debatte erreicht mit ihrer Behauptung, die Hamas-Massaker am 7. Oktober an israelischen Zivilisten seien ein
Akt des Widerstands gewesen (
unser Resümee), hat sich getäuscht. In ihrem Pariser Vortrag bezweifelte sie auch, dass
Vergewaltigungen stattgefunden hätten: Dafür wolle sie erst mal
die Beweise sehen. (Die UNO hat lange gebraucht, "berechtigten Grund für die Annahme" zu finden, dass sexuelle Gewalt stattgefunden hat, sie hat inzwischen aber einen entsprechenden
Report veröffentlicht, eine Zusammenfassung
finden Sie hier). Butler erklärte nun bei ihrem Auftritt: "Whether or not there is documentation for the claims made about the rape of Israeli women (*sie verzieht das Gesicht*), OK, if there is documentation then we deplore that, but we
want to see that documentation and we want to know that
it is right." Ein Incel, der einen Vergewaltigungsvorwurf bestreitet, hätte das genauso formuliert.
Auch dies ist eigentlich nichts, was man am Weltfrauentag lesen will, aber leider Realität: Eva Ladipo überlegt in der
FAZ, welchen Anteil
Frauen (Alice Weidel, Marine LePen, Giorgia Meloni, Isabel Diaz Ayuso, Riikka Purra, Suella Braverman und Priti Patel, Nikki Haley) am Höhenflug des
rechten Populismus haben: "Ausländerfeindliche Politik, gespickt mit Ressentiments gegen vermeintliche Eliten, hat einen immensen Aufschwung erfahren, seit sie keine reine Männerdomäne mehr ist und nur von
glatzköpfigen Kerlen mit Springerstiefeln vertreten wird." Ihre Wut und Ressentiments verkleiden diese Politikerinnen gerne als Sorge um ihre Kinder, so Lapido, was sie sympathischer wirken lässt. Und weil Frauen eh so emotional sind, können sie gern auch
mal für (wenn es gegen Migranten geht),
mal gegen den Feminismus sein (wenn es gegen LGBTQ-Rechte geht). "So gesehen besitzen rechte Politikerinnen größere Bein- und Bewegungsfreiheit als ihre männlichen Kollegen. Sie geraten weniger schnell in Verruf und können sich
Widersprüche leisten. Ihre wachsende Anhängerschaft scheint nicht zu stören, dass weder die lesbisch lebende Alice Weidel noch die zweimal geschiedene Marine Le Pen oder die alleinerziehende Giorgia Meloni das traditionelle Familienbild leben, das sie hochhalten. Der Vorwurf der Heuchelei kann Donald Trumps Schwestern im Geiste nichts anhaben. Im Gegenteil: Je widersprüchlicher ihre Positionen,
desto menschlicher und wählbarer wirken sie."
In
Geschichte der Gegenwart denkt der Literaturwissenschaftler
Robert Stockhammer über die juristische Bedeutung des Wortes "
Genozid" nach. "Als jemand, der sich, ohne ausgebildeter Jurist zu sein, seit über zwanzig Jahren mit Verwendungen des Genozid-Wortes beschäftigt, tendierte ich bis vor wenigen Wochen zum resignativen Ergebnis, dessen juristische Bestimmung sei
zunehmend unklarer geworden und seine implizite politische Funktion habe sich entleert.
Einige Etappen, die mich dazu geführt haben, seien hier kurz rekapituliert." Das tut Stockhammer dann auch und hofft am Ende, dass die Klage Südafrikas gegen Israel vor dem IGH wieder etwas mehr Klarheit bringt.
Der "
Global Assembly", die ihre Veranstaltung aus Sorge als antisemitisch gebrandmarkt zu werden, abgesagt hatte, hat offenbar die
Courage gefehlt (
unser Resümee),
meint der Historiker
Moshe Zuckermann in der
FR. Aber gab es überhaupt Vorwürfe gegen die Veranstaltung? Für Zuckermann jedenfalls ist auch so klar, dass sich
Martin Walsers "Auschwitz-Keule" inzwischen bewahrheitet, da "sich der
Antisemitismus-
Vorwurf im öffentlichen Diskurs Deutschlands immer mehr verdinglicht hat und mittlerweile zum regelrechten
Fetisch der ihn Erhebenden geronnen ist… Mit Antisemitismusbekämpfung hat dieses Diktum längst nichts mehr zu tun, mit der zynischen
Maulkorb-
Taktik der sich in ihrer Rolle offenbar sehr gefallenden 'Antisemiten'-Jäger dafür umso mehr."
Im
FR-
Gespräch mit Michael Hesse betont die Philosophin
Kristina Engelhard die
Aktualität von Kant: "Kant ist der Meinung, dass es unsere Aufgabe als Menschen ist, unsere Vermögen zu entwickeln, also einen höheren kulturellen Status zu erreichen, gerade indem wir in der Lage sind, von unseren individuellen Neigungen abzusehen. Was er als Kultivierung bezeichnet, sieht er als einen fortschreitenden Prozess. Ein wichtiger Auftrag, besonders wenn man die zahlreichen Krisen unserer Gegenwart betrachtet. Wir leben in einer Zeit, in der die
negativen Seiten des Partikularismus offensichtlich sind, beispielsweise in zunehmenden internationalen Konflikten und Umweltkrisen, die ihren Ursprung in Partikularinteressen haben. Daher ist Kants Auftrag,
von den eigenen Interessen zu abstrahieren und stattdessen unsere Fähigkeiten als handelnde Subjekte in den Blick zu nehmen, d. h. uns bewusst zu werden, dass wir fähig sind, vernünftig, auf der Grundlage unseres sichersten Wissens und unter der Maßgabe von Moralität und Freiheit zu handeln, von unschätzbarem Wert."