9punkt - Die Debattenrundschau - Archiv

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9punkt - Die Debattenrundschau vom 20.03.2023 - Ideen

Der Literaturwissenschaftler Albrecht Koschorke  hat neulich in der Zeit einen jener Nachrufe auf den "Westen" geschrieben, für die westliche Intellektuelle so beliebt sind. Die Solidarität mit der Ukraine erschien in Koschorkes Text als ein letztes heuchlerisches Aufbäumen, bevor der "globale Süden" endlich in sein Recht tritt (unser Resümee). Richard Herzinger sieht das in einer Perlentaucher Intervention anderes: "Den neuen Autokratien ist es in den vergangenen Jahren zwar gelungen, den an sich selbst zweifelnden Westen in die Defensive zu drängen. Doch ihr kriminelles Herrschaftssystem wird auf Dauer nicht mit der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Dynamik und Flexibilität demokratischer Gesellschaften Schritt halten können. Genau das aber macht autoritäre Mächte wie Russland und China so eminent gefährlich: Sie wollen ihrem eigenen Bankrott zuvorkommen, indem sie nicht nur die westlichen Demokratien zerstören, sondern die liberale Idee als solche austilgen."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 18.03.2023 - Ideen

In der SZ opponiert Sonja Zekri gegen neue Russland-Exegesen, die dem Land Imperialismus, Nihilismus, Alkoholismus und Mongolenherrschaft quasi in die DNA schreiben. Sie nennt Historiker wie Karl Schlögel oder Gerd Koenen, Publizisten wie Jörg Himmelreich und Michael Thumann, die in diesem Frühjahr wichtige Werke vorlegen: "Die Bonner Osteuropa-Historikerin Katja Makhotina sieht die versprochene Umdeutung der Vergangenheit ohnehin skeptisch. Man könne nicht ohne neue Quellen jedes Mal die Historie umschreiben, wenn es die Tagespolitik erfordere. Ebenso wenig dürfe man neuzeitliche Konzepte von Staatlichkeit oder Nationalismus dem jahrhundertelangen hochkomplexen Aushandlungsprozess in Osteuropa aufstülpen. Noch größer sind ihre Vorbehalte gegenüber der Vorstellung, dass Russland oder zumindest Putin unter dem Eindruck eines 'postimperialen Syndroms' gar nicht anders handeln könnten: 'Putin versucht auf rhetorischer Ebene, seine Handlungen historisch zu legitimieren. Doch nicht die Rhetorik ist handlungsleitend, sondern umgekehrt: Politische Praxis ruft die Rhetorik hervor', sagt sie: 'Begriffe wie Syndrom, Komplex, Trauma haben nichts verloren in unserer kognitiven Auseinandersetzung mit Quellen und Empirie.'"

9punkt - Die Debattenrundschau vom 16.03.2023 - Ideen

In der NZZ verteidigt der Soziologe und Habermas-Biograf Stefan Müller-Doohm Jürgen Habermas gegen die Kritik in der NZZ (unser Resümee). "Die Praxis internationaler Politik, zu der auch Abschreckungsstrategien und die Ahndung des Bruchs des Völkerrechts gehören, hat für Habermas nichts mit dem Entwerfen von Utopien eines ewigen Friedens zu tun. Vielmehr macht er für sie den Maßstab intelligenten Handelns geltend, das nicht zuletzt darin besteht, für Konflikte denkbare Lösungsmöglichkeiten für Verhandlungsräume zu ersinnen und real zu schaffen."

Außerdem: In der taz schreibt Waltraud Schwab einen Nachruf auf die Berliner Feministin Irene Stoehr, die im Alter von 82 Jahren gestorben ist.
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9punkt - Die Debattenrundschau vom 14.03.2023 - Ideen

Der Philosoph Ernst Tugendhat ist im Alter von 93 Jahren in Freiburg am Breisgau gestorben. Auf ZeitOnline erinnert Thomas Assheuer an einen großen Denker, der nicht nur bald mit seinem Lehrer Heidegger brach, sondern auch die gängigen Moralphilosophien und John Lockes liberale Vertragstheorie auf den Prüfstand stellte. "Immer wieder und mitunter mit polemischer Eleganz hat der Intellektuelle Ernst Tugendhat aus seiner Philosophie politische Konsequenzen gezogen. Unvergessen, wie leidenschaftlich er in den Achtzigerjahren für ein liberales Asylrecht kämpfte; wie er die Absurdität des nuklearen Overkills vor Augen führte und die moralische Legitimität des ersten Irakkriegs anzweifelte. Die Wiedervereinigung empfand er als 'Annexion' Ostdeutschlands, die mörderische Fremdenfeindlichkeit und der völkische Nationalismus der antisemitischen Neuen Rechten schockierten ihn zutiefst. Als ihm 2005 der Meister-Eckhart-Preis verliehen wurde, spendete Tugendhat das Preisgeld einer Schule in Palästina. 'Sollte es uns Juden nur möglich gewesen sein, der Vernichtung zu entgehen, indem wir das Schicksal der Vertreibung auf ein anderes Volk abwälzen?'" In der FR schreibt Michael Hesse, in der SZ Thomas Meyer.
Stichwörter: Tugendhat, Ernst, Irakkrieg

9punkt - Die Debattenrundschau vom 13.03.2023 - Ideen

"Das Bauen ist so umweltrelevant wie nichts sonst", erklärt die Bauingenieurin Lamia Messari-Becker in der SZ. Wenn die Energiewende gelingt, dann vor allem hier. Aber Bauen ist eben auch komplex, daher brauchen wir eine gesamtheitliche Herangehensweise, fordert sie. Einfach nur Wärmepumpen zu verbauen, sei Unsinn, zumal es gar nicht genug gebe: "Es braucht Optionen: Für die einen ist es die Wärmepumpe, für andere Fernwärme, kommunale Wärmepläne oder Quartierslösungen, andere fahren gut mit Biomasse, wasserstofffähigen Heizungen oder autarken Lösungen. Notwendig ist die Parallelität der Initiativen: Gebäudeenergiegesetz und kommunale Wärmepläne und Geothermie/Bioenergie-Initiative und Quartiersförderung. In aller Deutlichkeit: Das Zulassen von Optionen im Gebäudesektor ist nicht nur ein Gebot ökologischer Notwendigkeit und ökonomischer Vernunft, sondern auch ein Gebot sozialer Verantwortung. Klimaschutz ohne gesellschaftliche Absicherung des Erfolgs aller Klimaschutzanstrengungen ist zum Scheitern verurteilt."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 11.03.2023 - Ideen

In der NZZ singt Robert Misik eine Eloge auf George Orwell, seine  intellektuelle Redlichkeit, seinen Witz und seinen undogmatischen Sozialismus. Und er stellt fest, dass trotz einiger politischer Kehrtwendungen Orwell wirklich absolut nichts vom Pazifismus hielt: "1942 nannte Orwell den Pazifismus 'objektiv profaschistisch' und fügte hinzu: 'Das ist ganz weitgehend unumstritten. Wenn du die Kriegsanstrengung der einen Seite untergräbst, dann hilfst du automatisch der anderen. Es gibt auch keine Möglichkeit, irgendwie außerhalb eines solchen Krieges zu bleiben wie dem gegenwärtigen.' Pazifistische Propaganda sei daher 'in anderen Worten eine Hilfeleistung für den Totalitarismus'. Unmittelbar nach Kriegsende und der Nazi-Kapitulation schrieb er in seinen 'Notes on Nationalism', die Mehrheit der Pazifisten gehöre 'entweder zu eigenartigen religiösen Sekten, oder sie sind ganz einfach Humanisten, die es ablehnen, irgendjemandem das Leben zu nehmen, und die über dieses elementare Prinzip hinaus jede weitere Überlegung ablehnen. Aber es gibt eine kleine Gruppe intellektueller Pazifisten, deren reales, doch uneingestandenes Motiv der Hass auf die westliche Demokratie und die Bewunderung des Totalitarismus ist.'"

In einem ellenlangen Interview in der FR befragt Michael Hesse die jüdische Philosophin Susan Neiman über die Legitimität von Waffenlieferungen, die Faschisten in der israelischen Regierung und die Neigung, moralische Klarheit mit Einfachheit zu verwechseln: "Wir hoffen, Regeln zu haben, die uns alles erklären: das ist böse, das ist schlecht. Ich werde immer wieder gefragt, warum ich keine Regeln angeben kann. Ich kann hier nur Kant zitieren. Kant hat in der 'Kritik der reinen Vernunft' die Urteilskraft thematisiert. Sie ist dafür zuständig, allgemeine Regeln auf Einzelfälle anzuwenden, das kann man lernen, aber nicht lehren, wie er sagt... Was viele vergessen: Wir haben moralische Bedürfnisse, wir sind nicht nur interessengeleitet. Wir wollen nach einem moralischen Kompass agieren. Natürlich können wir korrupt sein und Eigeninteressen über alles andere stellen, aber wir haben auch Scham und handeln eben auch nicht aus Eigeninteressen, sondern nach moralischen Normen. Das Schrecklichste an Trump war, dass der mächtigste Mann der Welt überhaupt keinen Begriff von Moral oder Normen hat. Doch die meisten von uns wollen moralische Klarheit."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 09.03.2023 - Ideen

Im Interview mit der FAZ ist sich der australische Philosoph David Chalmers sicher, dass KI mal ein Bewusstsein entwickeln wird: "Searle kommt zu dem Schluss, dass die menschliche Biologie etwas ganz Besonderes ist. Ich kann nichts in der menschlichen Biologie erkennen, das wir nicht in relevanter Weise in Silizium nachbilden könnten. Stellen Sie sich vor, man würde einige Neuronen des Gehirns durch Silizium-Chips ersetzen. Wird das Bewusstsein allmählich verschwinden, wenn man die Neuronen im Kopf komplett ersetzt? Ich denke, das Ausschlaggebende ist nicht die menschliche Biologie. Es ist die Art und Weise, wie Informationen verarbeitet werden. Wenn das auf relevante Weise in einem Computer geschieht, entsteht auch da Bewusstsein."

In der NZZ porträtiert Thomas Ribi Jürgen Habermas als "public intellectual", dessen Prämissen im Ukrainekrieg nicht so recht weiterführen: "Aus den Windungen, in denen sich Habermas' Appell zu Verhandlungen verliert, ist das Unbehagen des Professors zu spüren, der weiß, dass der 'herrschaftsfreie Diskurs', den er in seinen theoretischen Arbeiten als Grundlage für Entscheidungsverfahren postuliert hat, unter den zurzeit gegebenen Umständen eine Illusion ist. Und dass die Regeln der Vernunft nichts mehr gelten, wenn der Gegner in Divisionen denkt."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 08.03.2023 - Ideen

Im Leitartikel der FR schreibt Sereina Donatsch ein Plädoyer für intersektionalen Feminismus. Von einem universalen Feminismus will die deutsche Autorin - anders als ihre iranische Kollegin Gilda Sahebi gestern in der taz (unser Resümee) - nichts wissen: "Diskriminierungserfahrungen haben oft unterschiedliche Ursprünge, überschneiden und verflechten sich: Während schwarze Männer von Rassismus betroffen sind und weiße Frauen von Sexismus, sind schwarze Frauen beiden Unterdrückungsformen ausgesetzt. Ein Mensch kann aus vielen verschiedenen Gründen diskriminiert werden. Die 'intersektionale Brille' bringt diese Komplexität zum Vorschein. Im Gegensatz zu einem weißen, bürgerlichen und elitären Feminismus will ein intersektionaler, inklusiver Feminismus alle Menschen erreichen, mit ihren unterschiedlichen Bedürfnissen. (…) Diese Lebenserfahrungen werden aber durch Feministinnen, die an einer universellen Vorstellung festhalten, unsichtbar gemacht. Weiße Akademikerinnen halten Vorträge über Emanzipation und bestimmen die Debatten. Ihre Ziele sind dementsprechend auch stärker vertreten."

"Feminismus des Jahres 2023 ist viel mehr eine Frage der Haltung als des biologischen Geschlechts. Solidarität muss deshalb denen gelten, die sie brauchen und nicht denen, die sie missbrauchen", kommentiert Kia Vahland in der SZ: "Radikale Politikerinnen wie Marine Le Pen, Alice Weidel oder Sahra Wagenknecht profitieren vom Feminismus; politisch aber untergraben sie ihn. Und, leider: Jeder ukrainische Soldat, der eine Straße befreit, tut mehr für die Sache der Frauen als in diesen Wochen Alice Schwarzer. Die Publizistin setzt ihre lange erworbene Autorität momentan dafür ein, voreilig auf einen Despoten zuzugehen, der seinen Angriffskrieg mit einer Vergewaltigungsmetapher einleitete und seine Soldaten diese nun wahr machen lässt."

Politikerinnen sind wie Politiker, es gibt solche und solche, erkennt Eva Ladipo in der FAZ. Der grundlegende Unterschied ist, dass Frauen im Amt viel stärker bedroht werden und größerer Hetze ausgesetzt sind, schreibt sich mit Blick auf Jacinda Ardern, Nicola Sturgeon, Angela Merkel, Sanna Marin, Renate Künast oder Alexandria Ocasio-Cortez: Es ist also "ihre Außenwirkung, die Reaktion des Publikums, die Frauen nach wie vor benachteiligt. Aus irgendeinem Grund reagiert die Öffentlichkeit heftiger, wütender und gewalttätiger auf Frauen an der Macht als auf Männer. Und damit ist nicht nur das männliche Publikum gemeint, wie der Twitter-Angriff auf die amerikanische Vizepräsidenten Kamala Harris zeigt. Es war eine berühmte Journalistin, die sie öffentlich bezichtigte, sich 'nach oben geschlafen' zu haben. Die gute Nachricht ist, dass Frauen trotzdem weitermachen. Sie haben offensichtlich gelernt einzustecken und sind härter im Nehmen, als selbst Vorreiterinnen ihnen zugestehen."

Helena Schäfer stellt in der FAZ die Frauenrechtlerinnen Katharina Oguntoye und Chandra Talpade Mohanty vor, die schon in den achtziger Jahren versucht haben klarzumachen, "dass 'das andere Geschlecht' nicht nur die weiße, heterosexuelle Bürgerstochter ist" und sich erst von der jetzigen jungen Generation der Feministinnen verstanden fühlt, die "im Angesicht der Klimakrise und globaler Ausbeutung den Kapitalismus infrage stellt. Für Mohanty ist er mit einer feministischen Vision unvereinbar, weil diese das Gegenteil anstrebe: 'Wir suchen etwas, das sich gegen Gier und Individualismus wendet.' Der Feminismus dagegen setze sich für Gemeinschaft ein."

"Weltweit gesehen ist die Wahrscheinlichkeit, dass Männer Zugang zum Internet haben, 21 Prozent höher als bei Frauen - in Ländern mit niedrigem Einkommen sogar über 50 Prozent höher", schreibt UN-Generalsekretär António Guterres, der in der FR über eine Frauenquote in Wissenschaft und Technologie nachdenkt. "Big Data ist das neue Gold und Grundlage für Entscheidungen in Politik und Wirtschaft. Doch werden dabei geschlechtsspezifische Unterschiede oft ignoriert - oder Frauen absichtlich ganz ausgeblendet. Wir alle sollten alarmiert sein, wenn Produkte und Dienstleistungen durch ihre Gestaltung die Ungleichheit der Geschlechter zementieren und Patriarchat und Frauenfeindlichkeit in der digitalen Welt fortführen. Die Silicon Valleys dieser Erde dürfen nicht zu Death Valleys für Frauenrechte werden. Medizinische Entscheidungen, die auf Daten zum männlichen Körper fußen, können für Frauen nicht nur schädlich, sondern tödlich sein."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 07.03.2023 - Ideen

In der FAZ ist Josef Schuster skeptisch, was eine Neuformulierung von Artikel 3 des Grundgesetzes angeht, die auf den Begriff "Rasse" verzichten will. Er erkennt die gute Absicht, ist sich aber nicht sicher, ob das reicht: "Dass es keine menschlichen Rassen gibt, ist heute gesellschaftlicher Konsens. Die deutsche Geschichte lehrt uns aber, dass es nicht immer so gewesen ist. Und gegen genau diese NS-Ideologie schafft der Artikel 3 des Grundgesetzes ein Bollwerk."

Die taz beglückt uns heute mit 12 Seiten "antiantifeminismus" in lila. Das Weltbild ist in den meisten Artikeln jedoch eher schwarz-weiß: Hier der linke Feminismus, dort Rechte, "Antidemokrat*innen und religiöse Fundamentalist*innen" und alle anderen. Sandra Ho macht das klar, wenn sie den Begriff Antifeminismus definiert, der weiter gefasst sei als der gute alte Sexismus: "Hinter antifeministischen Angriffen stecken fast immer organisierte Akteur*innen, die eine politische und ideologisch motivierte Botschaft senden", erklärt sie. "So können verschiedenste Akteur*innen unterschiedlicher Ideologien einen gemeinsamen Nenner in ihren antifeministischen Einstellungen finden. Wissenschaftler*innen, die auf längst widerlegten Biologismen beharren, teilen mit rechten Politiker*innen cis-heteronormative Geschlechtervorstellungen, die Geschlechterrealitäten außerhalb gewisser traditioneller Normen diskriminieren." Und schwupps hat man Feministinnen, deren Meinung einem nicht passt, in einer Ecke mit Rechten und religiösen Fundamentalisten.

Mit dem Argument, man müsse die "Kultur" anderer Länder respektieren, drücken sich westliche Linke gern davor, die Proteste gegen das Kopftuch in Afghanistan oder im Iran zu unterstützen, kritisiert Gilda Sahebi, aus deren Buch "Unser Schwert ist Liebe" die taz einen Ausschnitt vorabdruckt: "Ausgerechnet diejenigen, die vorgeben, antikolonialistisch und antiimperialistisch zu denken, verfallen in eine in der Konsequenz rassistische Argumentation. Denn wenn die Befreiung vom Kopftuch eine 'westliche' Idee ist, sind auch die Selbstbestimmung der Frau und die Gleichberechtigung der Geschlechter 'westliche' Werte. Kulturrelativismus bedeutet eben auch einen Relativismus der Werte. Bestimmte Werte gibt es in dieser Logik nur im Westen, Frauen im sogenannten Nahen Osten haben damit nicht dasselbe Bedürfnis nach Freiheit wie Frauen im Westen." Diesen Vorwurf bestätigt indirekt auch die Theologin Gunda Werner, wenn sie in der taz den christlichen Kirchen vorwirft, ihr konservativer Antifeminismus sei Grundlage ihrer Gender-Kritik, von anderen Religionen aber schweigt.

Der Autor Fikri Anıl Altıntaş beklagt in der taz, "toxische Männlichkeit" werde in Deutschland immer nur migrantischen Männern zugesprochen. Aber das Männlichkeitsproblem lasse sich nur in einem größeren Kontext lösten: "Wir stehen vor einem Problem und müssen uns als Gesellschaft verändern. Das heißt aber auch zu realisieren, dass mit Rassismus noch nie feministische Utopien gelungen sind. Alle Männer, und besonders 'migrantische', müssen verstehen, dass intersektionaler Feminismus auch für sie ein Ausweg sein kann. Weniger Druck verspüren, ständig hart sein zu müssen, weniger gewalttätig zu sein, mehr Zärtlichkeit in sich und mit anderen finden. Gleichzeitig gehört der Kampf gegen Rassismus eben auch dazu und auch, Teil feministischer Kämpfe zu werden."

Außerdem im taz-Dossier: Im Interview mit der taz spricht die Historikerin Ute Planert über Antifeminismus im Kaiserreich und Parallelen zur Gegenwart.

In Afrika werden Homosexuelle noch immer fast durch die Bank weg kriminalisiert, berichtet Claudia Bröll in der FAZ anlässlich eines Urteils in Kenia, das Abhilfe schaffen wollte und dafür massiv kritisiert wird. "Homosexualität gilt nicht nur im Osten Afrikas als Verbrechen. Von den 69 Ländern, die gleichgeschlechtliche Beziehungen unter Strafe stellen, befinden sich nach Angaben der Organisation 'Human Rights Watch' 33 in Afrika. Nur in einem afrikanischen Staat, in Südafrika, sind gleichgeschlechtliche Ehen erlaubt. ... Zur Rechtfertigung verweisen Befürworter regelmäßig auf die Bibel, den Koran und den angeblichen Schutz traditioneller Werte. Auch das Argument, Homosexualität sei 'unafrikanisch' und ein 'westliches' Phänomen ist immer wieder zu hören. Es trifft vor allem in den Bevölkerungen auf positive Resonanz, die sich von westlichen Regierungen weiterhin bevormundet fühlen."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 04.03.2023 - Ideen

Ohne eine Revolution, eine massive Umverteilung von Reich zu Arm und strikte Kontrolle wird es nicht abgehen, wenn wir die apokalyptischen Tendenzen des "Anthropozäns" stoppen wollen, meint Wolfgang Sachs, Forschungsleiter am Wuppertal Institut, in der taz. "Suffizienz" soll die Parole sein. "Pflanzliche Ernährung ist auch ein Ausdruck der Suffizienz, nicht aus Angst vor einer Ressourcenkrise, sondern aus Verbundenheit mit anderen Lebewesen. Darüber hinaus hat Suffizienz eine kosmopolitische Dimension. Da die expansive Moderne strichweise den ganzen Erdball umfasst, ist die Suche nach einen frugalen Wohlstand allseits auf der Tagesordnung. In der Debatte um das Anthropozän verschwindet die 'Klassenfrage' hinter dem Begriff der Menschheit, obwohl inzwischen klar ist, wer derzeit die Hauptverursacher des Anthropozäns sind: die zehn Prozent der Hochverdiener in der Welt, die fast die Hälfte der CO2-Emissionen auf der Erde ausstoßen."

Noch eine Idee: Man könnte die Erbschaftssteuer erhöhen und eine Vermögenssteuer einführen und daraus ein "Grunderbe" schaffen. Vertreten wird sie von Volkswirt Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) im Gespräch mit Antje Lang-Lendorff. Dass sich die Idee bisher nicht durchsetztm liegt an einer paradoxen politischen Resonanz, erklärt er: Sie passe "ganz gut zum progressiven Neoliberalismus, der in den Eliten verbreitet ist und der die Chancengleichheit in der Wettbewerbsgesellschaft verbessern will. Konservative und traditionelle Wirtschaftsliberale sind aber skeptisch, wenn an den bestehenden Eigentumsordnungen und Privilegien gerüttelt wird. Sie befürchten auch negative wirtschaftliche Folgen der Steuererhöhungen. Traditionelle Linke wiederum wollen zwar die Steuern für Reiche erhöhen, aber mit dem Geld die Leute lieber direkt ertüchtigen und staatliche Leistungen ausbauen. Daher sitzt man mit dem Grunderbe zwischen allen Stühlen."