Alexander Kluge

Kriegsfibel 2023

Cover: Kriegsfibel 2023
Suhrkamp Verlag, Berlin 2023
ISBN 9783518431535
Gebunden, 126 Seiten, 16,00 EUR

Klappentext

"Der Krieg ist wieder da." Mit dieser ersten von sechs Stationen beginnt Alexander Kluge sein neuestes Buch, veranlasst durch einen Angriffskrieg, der zunächst auf europäischem Schauplatz, aber mit globaler Wirkung geführt wird. Der Autor zielt damit weder auf eine Parteinahme noch auf einen Appell. Vielmehr geht es ihm um den "Maulwurf Krieg", um dessen zähes und oft unterirdisches Überleben, um das, was er aus Menschen macht und zu welchem Eigenleben er imstande ist. Was der Autor, nach ikonischem Vorbild, im Schilde führt: eine Fibel. Für diese formuliert er einfache Geschichten und unterlegt sie mit Bildmontagen und Filmsequenzen. Zehn Jahre war der Autor alt, als er - auf der Schulbank und mit dem Finger auf der Landkarte - deutsche Panzer auf der Fahrt nach Stalingrad verfolgte. In der ganzen Zwischenzeit bis zu seinem 91. Geburtstag im Februar 2023 hat dieser "Chronist der Gefühle" die Kostümierungen des Krieges immer wieder studiert: Krieg ist sterblich, aber er stirbt nicht schnell. Wie können wir auf seine Zumutungen antworten?

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 12.08.2023

Das "Prinzip Wunderkammer" kennt Rezensentin Sieglinde Geisel schon von Alexander Kluge. Auch in seiner "Kriegsfibel", deren Titel er von Brecht ableitet, spielt das Fragmentarische eine große Rolle: Texte werden Bildern und sogar Videos gegenübergestellt, die per QR-Code abrufbar sind. Das ist nicht immer ganz einfach und braucht mindestens eine zweite Lektüre, räumt Geisel ein, macht aber interessante und zum Nachdenken anregende Verbindungen von den Weltkriegen zur Stürmung des Kapitols am 06.01.2021 und zum Angriffskrieg auf die Ukraine auf. Die Überzeugung Kluges und Brechts, dass der Krieg ein neues Lesen-Lernen erfordert, teilt auch die Kritikerin nach dieser Lektüre, die sie wohl noch länger begleiten wird, wie sie schließt.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 02.06.2023

Auch wenn Alexander Kluge keine Lösung für den Krieg in Europa anzubieten hat, findet Angela Gutzeit Kluges Kriegsfibel erkenntnisfördernd. Und zwar in dem Sinn, dass der Autor hier wie immer Individualgeschichte und Historie geschickt miteinander verschneidet, eigene Kindheitserinnerungen aus dem Zweiten Weltkrieg, Fotos und Zeichnungen, Filmsequenzen und Überlegungen zum Krieg in der Ukraine und zum Krieg an sich. Kluges Einfühlung in Schicksale findet Gutzeit wie immer bemerkenswert. Der Band bietet "Gegen-geschichten", die dazu taugen, die Leserin zum Nachdenken anzuregen, so Gutzeit.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 22.04.2023

Ein bisschen irreführend ist der Titel von Alexander Kluges "Kriegsfibel 2023" für den Rezensenten Mladen Gladic, handelt sie doch überwiegend nicht von aktuellen Konflikten, sondern von den Erfahrungen des über Neunzigjährigen im Zweiten Weltkrieg, von Bombardierung und Befreiung und Fragen nach Feind und Freund. Das wirkt nach, merkt Gladic dem Autor an, und so kommen doch Gegenwartsbezüge zustande: Inspiriert von Brechts "Kriegsfibel" ruft Kluge auf, das Lesen und Verstehen neu zu lernen, um Konflikten zur Lösung zu verhelfen, so ernüchternd es auch sein mag, schließt der Kritiker.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 21.04.2023

Rezensent Joachim Käppner steht vor einem Rätsel: Alexander Kluges Kriegsbuch liest er nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine mit Gewinn. Auch Kluges Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg findet er wie immer material-, wissens- und assoziationsreich und zugleich voll sinniger Zusammenhänge und Differenzierungen, die sich gegen einfache Wahrheiten stemmen. Aber. Käppner kennt eben auch Kluges eindeutiges öffentliches Eintreten für Frieden mit Russland und gegen den allgegenwärtigen ukrainischen Präsidenten. Wie geht das zusammen? fragt er. Was Kluge uns eigentlich sagen will, vermag Käppner (noch) nicht klar zu erkennen.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.04.2023

Dem Krieg als Dämon begegnet Rezensent Dirk von Petersdorff in Alexander Kluges "Kriegsfibel 2023". Dass vom Krieg in der Ukraine kaum die Rede ist, dafür aber der Erste und Zweite Weltkrieg "ausführlich und in eindrucksvollen Bildern" behandelt wird, liegt wohl eben daran, dass Kluge Krieg eher als abstrakte Macht, denn als menschengemacht begreift, stellt der Kritiker fest. Der Leser soll und kann aus vergangenen Konflikten über die Gegenwart lernen, denn im Kern bleibe das Phänomen immer gleich, resümiert Petersdorff Kluges These. Der Rezensent wendet dagegen ein, dass ein solches "Denken in riesigen Zeiträumen" unpolitisch ist und wichtige Unterschiede einebnet, zum Beispiel zwischen Aggressor und angegriffenem Land. Wäre Bertolt Brecht, nach dessen "Kriegsfibel" von 1955 das Buch benannt ist, hiermit einverstanden? Eher nicht, vermutet Petersdorff.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 18.04.2023

Rezensent Paul Jandl hätte sich mehr Konkretheit gewünscht von Alexander Kluge, der hier seinen "antikriegerischen Hirn- und Herzenswegen" in freien Assoziationslinien durch die Jahrhundert und die eigene Biografie folgt. Dass der Ukraine-Krieg im Buch "kaum" vorkommt, scheint Jandl symptomatisch zu sein. Kluge sammelt historische und autobiografische Einzelaufnahmen unter anderem aus seiner Kindheit, nüchtern und abstrakt, stellt Jandl fest. Die so entstehende Distanz zum Thema überwindet der Autor kaum, bedauert der Rezensent. Und so wirken manche von Kluges Feststellungen über die Natur des Krieges auf den Rezensenten etwas unscharf oder auch wohlfeil.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 15.04.2023

Alexander Kluge und Marcel Beyer seien "verwandte Geister", die sich für historisches Wissen, die Sprache und Bilder interessierten, leitet Tobias Rüther seine Rezension ein. Dass der 91-jährige Kluge die Weitwinkel-Perspektive und der 58 Jahre alte Beyer den Makro-Ausschnitt präferieren, kennzeichne die beiden Bücher über den Krieg in der Ukraine, die aus gänzlich unterschiedlichen Positionen geschrieben seien. Kluge ist aus Angst vor einem Atomkrieg gegen die Lieferung schwerer Nato-Waffen an die Ukraine. Beyer steht voll und ganz auf der Seite Kiews. Mit den Vorlesungstexten für seine Poetikdozentur fixiere Beyer Fotos und beschreibe den leidvollen Alltag, fasst Rüther zusammen. Damit wolle er von seinem Laptop in Dresden aus Putins Krieg "für sich sprechen" lassen, findet Rüther, und die Imagination ganz ohne Fiktion retten. Kluge hingegen wolle unter Verweis auf Mythen, militärische Chroniken und Heiner Müller in "typisch sprunghaft-assoziativer Manier" deutlich machen, dass jeder Krieg ein Dämon sei. Wo Beyer zoome, wechsle Kluge das Motiv, so der Rezensent - und das liest sich als Kritik am Großdenker, der wie Beyer das Privileg habe "im Frieden über den Krieg anderer Leute nachzudenken".