Alfred Kerr

Der Dichter und die Meerschweinchen

Clemens Tecks letztes Experiment
Cover: Der Dichter und die Meerschweinchen
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2004
ISBN 9783100495143
Gebunden, 285 Seiten, 19,90 EUR

Klappentext

Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Günther Rühle. Zum ersten Male veröffentlicht: Alfred Kerrs poetisch-skurrile Erzählung von Lebenssehnsucht und Lebensniederlangen im Elend des Exils.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 14.10.2004

Hätte der erst jetzt erst veröffentlichte autobiografische Roman Alfred Kerrs eine andere Form, könnte man sich "an Details erfreuen", meint Rezensentin Gisela von Wysocki. Sie kennt den Theaterkritiker als "egozentrischen Wahrnehmungskünstler" mit "berserkerhafter Rhetorik", die aber im nun vorliegenden Roman "einen schweren Stand" habe. In der Geschichte, die die Londoner Exilzeit des Dichters erzählt, gerate Kerrs Sprache in einen "Stau" von Selbstreflexionen, bedauert die Kritikerin und verweist auf eine weitere "Falle", in die der Autor getappt sei: Eitelkeit. Trotz der Fähigkeit, Willkür und Logik sprachlich "virtuos" zu vereinen, bleibt bei der Rezensentin der Eindruck, sie habe es mitunter mit "Sprechübungen im luftleeren Raum" zu tun.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 25.06.2004

Hannelore Schlaffer lobt Alfred Kerr - als Theaterkritiker und Reporter. Dass er sich, wovon man sich hier überzeugen kann, auch als Prosa-Autor probierte, schreibt sie seiner Situation als Exilant in London zu, wo's keine Kritiken zu schreiben gab und Kerr ganz seinem Unglück ausgeliefert war. "Die sentimentalen Ergüsse wären dann ein Beweis seiner seelischen Notlage", folgert die Rezensentin, die also mildernde Umstände ins Feld führt für einen schlichten Fakt: Die Novelle - vom Titel über die poetologischen Sinfälligkeiten ihres Helden bis hin zu den eingeschobenen satirischen Versen - taugt nichts. Kerr war ins falsche Metier geraten. "Der Dichter und die Meerschweinchen": ein Dokument, nicht mehr.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 23.06.2004

Alfred Kerr, der bissige berühmte Berliner Theaterkritiker und Feuilletonist, war eine Kämpfernatur, die 1933 schlagartig ihre Plattform und ihr öffentliches Gegenüber verlor. Kerr emigrierte nach London, berichtet Gabriele Killert, und dort wagte er sich an etwas, was er vorher noch nie gemacht hatte, um sich seine Wut von der Seele zu schreiben: er schrieb einen Roman, den er vorsichtshalber eine Novelle nannte. In der erst jetzt aus dem Nachlass Kerrs veröffentlichten Roman-Novelle reflektiere der Autor sein vom Exil geprägtes und beschädigtes Künstlerleben, erläutert Killert. Der Protagonist, zur Untätigkeit gezwungen, werde von der Lust gepackt, Schicksal zu spielen und seine Mitmenschen als Versuchskaninchen einzusetzen. Diese spielen jedoch nicht mit, resümiert Killert zügig, am Ende muss der arme Künstler feststellen, dass er selbst das Versuchskaninchen war. Die Idee zu der Opfer-als-Täter-Geschichte findet die Rezensentin sehr überzeugend, allerdings hegt sie Zweifel an Kerrs sprachlichen Mitteln. Kerrs Kabarett-Ton, diese forciert muntere "Berliner Schnauze mit Herz" scheint ihr dem Wahnsinnsthema nicht recht angemessen. Auch die eingestreute Liebeslyrik sei nicht unbedingt preisverdächtig. Doch hier und da blitze immer wieder der alte Kerr und gute Feuilletonist durch.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 24.03.2004

Es ist aus Briefen ersichtlich, dass es Alfred Kerr ein Anliegen war, diesen Roman veröffentlicht zu sehen, erklärt der Rezensent Oliver Fink. Dank Günther Rühles "Entzifferungsleistung" ist dies jetzt geschehen, so dass Kerr sein "posthumes Debüt als Romanschriftsteller" feiern kann. Wirklich nach feiern scheint dem Rezensenten allerdings nicht zumute zu sein: Die Geschichte um den angehenden Schriftsteller Clemens Teck ist zwar eines dieser verspielten Unternehmen, die Kerr gut zu Gesicht stehen, schreibt er, doch weckt die Lektüre bei ihm keine Begeisterung. Tecks Absicht ist, erfährt man, "die Technik des sogenannten literarischen Gestaltens zu entlarven", indem er eine Art "Versuchsanordnung" ersinnt, "mit menschlichen Meerschweinchen": Er will Menschen "aufscheuchen", ihr Dasein in sein Opus gießen, und den eklatanten Unterschied zwischen Leben und Kunst verdeutlichen. Der Versuch, so der Rezensenten, scheitert jedoch, und nicht zuletzt daran, dass Teck selbst "zum Spielball seiner Probanden" wird. Der sich daraus ergebende Künstlerroman lebe von der hohen Idee dessen, was es zu vollbringen gilt. Doch genau da mangelt es an Glaubwürdigkeit, meint Fink. Man gewinne als Leser keinerlei Vorstellung, wie dieses vielbeschworene "Kunstwerk der Zukunft" auszusehen habe. Schlimmer noch, aus dem, was man konsequenterweise "Gerede" nennen müsse, klinge nichts als "hohles Künstlerpathos".
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