Annie Ernaux

Das Ereignis

Cover: Das Ereignis
Suhrkamp Verlag, Berlin 2021
ISBN 9783518225257
Gebunden, 104 Seiten, 18,00 EUR

Klappentext

Aus dem Französischen von Sonja Finck. Oktober 1963: Die 23-jährige Annie entdeckt, dass sie schwanger ist. Die Studentin aus bescheidenen Verhältnissen weiß: Wenn sie ein uneheliches Kind zur Welt bringt, wird sie alles verlieren. Das hart erkämpfte Universitätsstudium, die Hoffnung, dem engen, prekären Milieu der Eltern zu entkommen. Sie ist entschlossen, die Schwangerschaft zu beenden, aber im Frankreich der 1960er Jahre ist Abtreiben illegal, und so beginnt für die junge Frau ein Spießrutenlauf, der sie von der Praxis eines überheblichen Arztes, ins Hinterzimmer einer zweifelhaften Engelmacherin führt und schließlich in der Notaufnahme endet. Voller Scham versucht Annie, die Kontrolle über ihr Leben zurückzugewinnen, und begegnet dabei überall erschreckender Gleichgültigkeit. Wie ist es, wenn man als Frau abtreiben will und es nicht darf? Mit schonungsloser Offenheit erzählt Annie Ernaux von ihrem eigenen Schwangerschaftsabbruch. Und von den Demütigungen, Verletzungen und Stigmatisierungen, die sie dabei erleiden musste - und die bis heute nachhallen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.11.2021

Rezensentin Melanie Mühl stockt der Atem bei der Lektüre von Annie Ernaux' Buch über ihre ungewollte Schwangerschaft und Abtreibung, das nun "endlich" auf Deutsch vorliegt. Um Empfindsamkeit geht es der Autorin als allerletztes, konstatiert Mühl, und mit schockierenden Details halte sie nicht zurück: Beschrieben werde etwa, wie die damals 23-Jährige zunächst erfolglos und unter großen Schmerzen selbst versucht, den Fötus mit dicken Stricknadeln abzutreiben. Aber auch schon der "erniedrigende Spießrutenlauf" zwischen bevormundenden Ärzten der sechziger-Jahre oder die kritischen Blicke von Ernaux' Kommilitoninnen schlauchen die Rezensentin; manchmal mag sie kaum weiterblättern. Von der Wichtigkeit des Buchs, das - gerade mit Blick auf Polen - auch zwanzig Jahre nach Ersterscheinung leider nichts an Aktualität verloren hat, hat sie aber keinen Zweifel.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 19.10.2021

Rezensentin Meike Fessmann liest Annie Ernauxs neues Werk als "Kampfansage an Geschlechterklischees". Aber nicht nur. Wenn ihr Ernaux bild- und erinnerungsreich, meist "nüchtern", nicht selten "drastisch" von ihrer Abtreibung im Frankreich der frühen Sechziger erzählt, von Versuchen, den Fötus mit Stricknadeln zu entfernen, von demütigenden Arztbesuchen und schließlich vom Abort auf der Toilette des Studentenwohnheims, muss die Kritikerin ganz schön schlucken. Zugleich attestiert sie Ernauxs Büchern einmal mehr eine besondere "Schönheit", eine Mischung aus "Nouvelle Vague und Nouveau Roman". Denn diese Erinnerung, zugleich Reflexion über Herkunft und Weiblichkeit, ist für Fessmann auch Zeugnis einer Selbstermächtigung.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 20.09.2021

Rezensent Paul Jandl ist schwer beeindruckt von Annie Ernauxs zutiefst privatem und dadurch politischen Buch "Das Ereignis" das im Original bereits im Jahr 2000 erschien. Ernaux schreibt darin mithilfe von damaligen Fotografien und Tagebucheinträgen gnadenlos und distanziert von ihrer Abtreibung mit 23 Jahren bei einer sogenannten "Engelmacherin", also einer Frau, die illegale Abtreibungen durchführte, durch die sie beinahe verblutet wäre, erklärt Jandl. Dem Rezensenten zufolge wird in der unbeschönigten und genauen deutschen Übersetzung von Sonja Finck zusätzlich die juristische und gesellschaftliche Tabuisierung von Abtreibungen in Frankreich bis in das Jahr 1975 thematisiert. Nur über den Mann, der zum Ereignis beigetragen hat, erfährt man nichts, bis auf seine Vorliebe zum Spazierengehen, schließt der Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 17.09.2021

Rezensentin Edelgard Abenstein ist froh, dass mit zwanzig Jahren Verspätung, aber pünktlich zu Audrey Diwans Abtreibungsdrama "L'évènement" Annie Ernauxs Roman "Das Ereignis" nun auch auf Deutsch erscheint. Gebannt folgt sie hier der Autorin, die wie eine "Archäologin" Erinnerungsschichten freischaufelt, "nüchtern" und mit Abstand von ihrer eigenen Abtreibung bei einer "Engelmacherin" erzählt und zugleich das Frankreich der Sechziger zwischen "Heuchelei" und Angst beleuchtet. Ein Buch, das bei allem Verzicht auf Sentimentalität mit enormer Schlagkraft trifft - und heute wieder "hochaktuell" ist, schließt Abenstein.