Detlev Claussen

Theodor W. Adorno

Ein letztes Genie
Cover: Theodor W. Adorno
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2003
ISBN 9783100108135
Gebunden, 479 Seiten, 26,90 EUR

Klappentext

Adorno - eine herausragende Figur des kurzen 20. Jahrhunderts, der letzte Bürger, ein letztes Genie: Von der Kindheit noch im ausgehenden bürgerlichen Jahrhundert über die Schulzeit während des Ersten Weltkriegs, die intellektuelle Sozialisation in der Weimarer Republik, die Erfahrung des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs, das Exil in den USA des New Deal bis hin zur Rückkehr ins Deutschland der Adenauer-Ära und zum Studentenprotest - Adorno ist der individuelle Punkt, in dem das "Jahrhundert der Extreme" sich exemplarisch verdichtet. Detlev Claussen begreift Adorno als Künstler, dessen weitgefächerte - philosophische, soziologische, musikalische - Interessen als Einheit zu verstehen sind.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 04.09.2003

Ludger Lütkehaus bespricht aus Anlass des hundertsten Geburtstags in einem ausführlichen Beitrag fünf Bücher, die sich mit der Biografie Theodor W. Adornos beschäftigen. Detlev Claussen, den der Rezensent als Schüler Adornos ausweist, zeigt nach Ansicht von Lütkehaus angemessenes Problembewusstsein bei der Lebensbeschreibung des Philosophen, der zu Lebzeiten die "Biografie-Industrie" abgelehnt hat. Wenn der Rezensent die "Sprunghaftigkeit", mit der der Autor das Leben Adornos nachzeichnet, auch manchmal etwas verwirrend findet, lobt er die Biografie dennoch nachdrücklich als "gehaltvoll und anregend". Zwar sei die an Wagner und Thomas Mann angelehnte Technik der Leitmotivik, die Claussen in seinem Buch einsetzt, dem "musikalischen Modernismus" Adornos unterlegen, so der Rezensent etwas spöttisch. Dennoch zeigt er sich von dieser "philosophisch weit gefassten" Lebensbeschreibung alles in allem sehr angetan. Lediglich, dass Claussen die Texte, die Adorno unter dem Pseudonym Hektor Rottweiler während der Nazizeit geschrieben hat, unerwähnt lässt, moniert der Rezensent als "falsch verstandene Noblesse.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 23.08.2003

Mit etwas gemischten Gefühlen hat Uwe Justus Wenzel die Adorno-Biografie des Soziologen und Adorno-Schülers Detlev Claussen gelesen. Zum einen nämlich schieße dieser Essay mitunter gewaltig "ins Kraut" - andererseits entwickle er durchaus so etwas wie eine Einheit des Lebens, wie sie das Genre der Biografie fordert. Raffinierter Weise aber verortet Claussen, so Wenzel, diese Einheit im Leben des Porträtierten selbst, das er als Versuch betrachtet, eine "werkgeschichtliche Kontinuität zu wahren". Und tatsächlich bestimmt das Stichwort Werkgeschichte die biografische Leserichtung des Buches: die Lektüre der Texte soll den Menschen Adorno erschließen. Besonders gelungen scheint das dem Rezensenten da, wo Claussen den Leser durch "miteinander verfranste Seelenlandschaften" führt, oder, etwas prosaischer gesagt, in den Doppelporträts Adorno-Thomas Mann oder Adorno-Horkheimer. Der Untertitel "ein letztes Genie" allerdings wird Wenzel, trotz Goethe-Zitat, bis zuletzt nicht plausibel.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 20.08.2003

Der Anspruch des Autors ist hoch, und den Preis dafür zahlt die Leserin, stellt Hilal Sezgin enttäuscht fest. Detlev Claussen orientiere seine Biografie nämlich nicht an den äußeren Fakten, sondern an den Worten Adornos selbst, erläutert sie Claussens Vorgehensweise. Das habe chronologische wie thematische "Mäanderbewegungen" zur Folge beziehungsweise ständige Exkurse - zum Frankfurter Judentum, Lukacs, Benjamin, Bloch, Thomas Mann et cetera -, die den eigentlichen Gegenstand des Buches schnell in den Hintergrund geraten lassen, kritisiert die Rezensentin. Interessanten Beobachtungen ginge der Autor nicht erschöpfend nach, klagt Sezgin, so bleibe die Frage, inwiefern Adornos Verstummen als Komponist nach 1945 mit den politischen Ereignissen zusammenhing, unbeantwortet. Alles in allem ein konfuses Verfahren, das sich zur Biografie nicht eignet, fasst Sezgin zusammen. Als unsympathisch stößt ihr auch auf, dass der Autor beim dauernden Jonglieren mit den Zitaten die Leser den Eindruck gewinnen lasse, dass er der einzige sei, der den "missverstandenen" Adorno und die Frankfurter Schule zu interpretieren wüsste.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.08.2003

Christian Geyer findet die Lösung gelungen, die Detlev Claussen für das Problem gefunden hat, wie man eine Biografie über jemanden schreiben kann, der so große Vorbehalte gegen dieses Genre hatte wie Adorno: indem man nämlich den Lebensbericht durchgängig auf die Texte Adornos bezieht und diese, wie der Rezensent Claussen zitiert, "hinter der ins Unendliche angewachsenen Sekundärlitertur wieder im Original hervortreten" lässt. "Im Original" heiße freilich immer: in Claussens Original. Das hat der Rezensent jedoch nicht als Schwäche empfunden, sondern sogar dort als Stärke des Buches, wo er Claussen nicht folgen mochte. Gestört haben Geyer jedoch neben einigen "stilistischen Schludrigkeiten" und "ausufernden Exkursen" vor allem die "inhaltlichen Überschneidungen" zwischen den Kapiteln des Buches.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 16.08.2003

Maßlose Bewunderung spricht aus dieser Biografie des einstigen Adorno-Schülers Claussen, die, wie der Rezensent Andreas Bernard nicht ohne Unbehagen anmerkt, von "hagiografischen" Zügen nicht frei ist. Adorno war ein "Genie", wie Goethe, darunter macht Claussen es nicht. Sein Werk versteht sich dabei, meint Bernard, als "intellektuelle Biografie" im durchaus konventionellen Sinne, und als solche sei es durchaus immer wieder erhellend. Informationen aus den Archiven tragen dazu bei, das gängige Adorno-Bild zu korrigieren, etwa wenn es um das Verhältnis zu Amerikas Kulturindustrie geht, das, wie die Freundschaft zu Fritz Lang belegt, keineswegs so eindeutig negativ war wie allgemein angenommen. So seien auch einige Passagen der "Dialektik der Aufklärung", legt Claussen nahe, durchaus ironisch zu verstehen. Ein lesenswertes Buch also, wären da, klagt Bernard, nicht die katastrophalen Mängel des Lektorats. Vieles lese man doppelt, dreifach oder - wie die Formulierung vom "älteren Mentor" Kracauer - gleich 25fach (da hat einer wirklich nachgezählt!). Das deutet wohl darauf hin, dass das Buch mit allzu heißer Nadel zu Ende gestrickt worden ist.
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