Elena Ferrante

Das lügenhafte Leben der Erwachsenen

Roman
Cover: Das lügenhafte Leben der Erwachsenen
Suhrkamp Verlag, Berlin 2020
ISBN 9783518429525
Gebunden, 415 Seiten, 24,00 EUR

Klappentext

Aus dem Italienischen von Karin Krieger. Neapel in den Neunzigern, Giovanna ist dreizehn Jahre alt, die Vorzeigetochter kultivierter Mittelschichtseltern, eine strebsame Schülerin. Doch plötzlich verändert sich alles, ihr Körper, ihre Stimmung, die Noten brechen ein, und immer öfter gerät sie mit ihren Eltern aneinander. Zufällig kommt Giovanna der Vorgeschichte ihres Vaters auf die Spur, der aus einem ganz anderen Neapel stammt, einem leidenschaftlichen, vulgären Neapel. Dort treibt sie sich herum, aber die Geheimnisse, auf die sie da stößt, verstören sie. Und als sie bei einem Abendessen bemerkt, wie ein Freund der Familie unterm Esstisch zärtlich die Füße ihrer Mutter streift, verliert sie vollends die Fassung. Denn wem kann sie überhaupt noch trauen? Und was soll ihr Halt geben? Oder ist sie selber bereits unrettbar verwoben in dieses lügenhafte Leben der Erwachsenen?
Elena Ferrante hat einen Roman über die Heucheleien der Eltern, die Atemlosigkeiten und Verwirrungen der Jugendzeit und über das Drama des Erwachsenwerdens geschrieben. Darüber, wie es ist, ein Mädchen zu sein und eine Frau zu werden.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 04.11.2020

Mit dem neapolitanischen Quartett kann Elena Ferrantes neuer Roman in den Augen von Rezensentin Marielle Kreienborg nicht mithalten. Die Kritikerin begegnet auch in dieser Geschichte faszinierenden Frauenfiguren - allen voran die ungehobelte Tante der jungen Ich-Erzählerin -, und kann auch Ferrantes Attacken auf den bildungsbürgerlichen Selbstbetrug einiges abgewinnen. Aber echte "Strahlkraft" oder erzählerische Rasanz entwickel Ferrante in dem Roman nicht, bedauert die Kritikerin. Vor allem erscheint ihr die Erzählung zu konstruiert, zu sehr von den Gedanken der Autorin über Klasse, Geschlecht und Sprache beschwert, als dass eine Zwölfjährige sie tragen könnte.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 12.10.2020

Maike Albath vergleicht Elena Ferrantes neuen Roman mit der neapolitanischen Tetralogie und stellt fest: Hier wie dort geht es um die Lüge, dass etwas ins Rutschen gerät und sich doppelt. Wie Ferrante ihre Ich-Erzählerin im neuen Buch von so einer Erfahrung berichten lässt, retrospektiv ihre Familiengeschichte seit Anfang der 1990er entrollend, mit viel Sinn für Spannung, Dynamik und Enthüllungen, scheint Albath höchst aufregend. Welche Wendungen die Geschichte nimmt, verrät Albath natürlich nicht, um uns nicht um den "Genuss des handlungszentrierten Lesens" zu bringen. Auch wenn die Erzählstruktur weniger komplex ist als in der Tetralogie, Personal und sprachliche Milieus reduzierter und das gesellschaftliche Panorama zugunsten der Figurenpsychologie eingedampft, pointenreiche Lektüre verspricht die Lektüre allemal, so Albath.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 03.09.2020

Rezensentin Antonia Baum kann sich nicht entscheiden, ob Elena Ferrantes neues Werk nun eine "easy wegzulesende" Soap Opera um eine neapolitanische Jugend in den 90ern ist, eine unterhaltsame, "mühelos dahinfließende" Coming-of-Age-Story also, oder doch eine Meditation über die Konstruktion von Wahrheit und die Beziehung zwischen Autorin und Werk samt allerhand Literaturverweisen. Phänomenale Lektüre ist das Buch in jedem Fall, versichert Baum.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 01.09.2020

Elena Ferrantes neuer Roman erreicht durchaus die Qualitäten ihrer neapolitanischen Saga, versichert Rezensent Martin Ebel. Nur zwei Jahre begleitet Ferrante hier ein junges Mädchen während ihrer Pubertät in den Neunzigern, läuft dabei aber mit Blick auf die psychologische Figurenzeichnung wieder zu Hochformen auf, meint der Kritiker. Erzählt wird von Giovanna, die die Lügen des arroganten, salonlinken, zum politischen Essayisten aufgestiegenen Vaters entlarvt, als sie dessen Schwester Vittoria, die im Elendsviertel von Neapel lebt und als Putzfrau arbeitet, näher kennenlernt und sich bald mit jener zu identifizieren beginnt. Vittorias Leben ist "drastisch und dramatisch, wild und vital" und voller Sex und Gewalt, schreibt Ebel, der einmal mehr staunt, wie Ferrante Abgründe auslotet. Auf eine Fortsetzung dieses großartigen "Bildungs- und Erziehungsromans" hofft der Rezensent unbedingt.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.08.2020

Rezensent Andreas Platthaus stellt klar, dass Elena Ferrantes "feuilletonistisches" Erzählen weniger mit Proust zu tun hat als mit Dumas und Eugene Sue. Die Kunst der Verknappung also und der Knalleffekte. Beides reichlich zu begutachten im neuen Roman, den Platthaus schon als Auftakt einer neuen Serie sieht, auch wenn er in manchem noch an die alte Tetralogie anknüpft. Dass Neapel nun noch weniger im Vordergrund steht und noch mehr das Innenleben der Figuren (zwei pubertierende Mädchen um 1990), nimmt Platthaus zur Kenntnis. Wie Ferrante ihre Heldin dekonstruiert, sie zur Meisterlügnerin auf- bzw. abbaut, dem folgt er durchaus mit Spannung, kleine Schwächen in der Dramaturgie hin oder her.
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Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 29.08.2020

Rezensentin Anne Kohlick scheint etwas enttäuscht über den neuen Roman von Elena Ferrante. Auch wenn das Buch Motive der alten Saga aufnimmt, indem es psychologisch und erotisch tief schürfend von Familiendramen vor der Kulisse Neapels erzählt, die Stärke seines Vorgängers erreicht der Text nicht, meint Kohlick. Das liegt für die Rezensentin daran, dass Ferrante sich nunmehr ganz auf das Private beschränkt und auf ein gesellschaftlich-politisches Tableau der Handlungszeit der 1990er Jahre verzichtet. Die Geschichte der pubertierenden Ich-Erzählerin erscheint Kohlick daher "seltsam zeitlos und unverortet".