Ernst Halter

Jahrhundertschnee

Roman
Cover: Jahrhundertschnee
Ammann Verlag, Zürich 2009
ISBN 9783250601302
Gebunden, 448 Seiten, 22,95 EUR

Klappentext

Der Held in diesem figurenreichen Roman ist das vergangene 20. Jahrhundert. Was sich zu Beginn des Jahrhunderts nur erahnen lässt, wird zu Gewissheit und Tatsachen. In erzählerischen Short cuts überblendet Ernst Halter Gemeinschaften und Orte, Schicksale, Menschen und ihr Handeln bis in die Träume hinab und verfolgt sie durch zehn Jahrzehnte. Schauplätze sind Deutschland, die ungarische Provinz, das kakanische Wien, die Ukraine, die Schweiz. Immer wieder verlässt der Autor seine Figuren und überlässt sie ihren Geschicken, um den Stand der Epoche an ihnen abzulesen, wenn er zu ihnen zurückkehrt. So erleben wir den Mentalitätswandel der Generationen innerhalb einer Bauernfamilie, die Brüche des deutschen Jahrhunderts , gespiegelt in der deutsch-nationalen, später nazistischen, endlich marxistischen Werk-Edition eines Allerweltsphilosophen, die Lebenserzählungen von Menschen, die knapp den Mühlen der Zeit entronnen sind. Jede Stimme, jede Perspektive ein eigenes Prisma der Geschichte. Gleichmütig bleibt allein die Natur. Ernst Halters Roman "Jahrhundertschnee" ist weder Chronik noch Geschichtsschreibung, sondern ein Buch der Wandlungen, Krisen und möglichen Erkenntnis.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 24.07.2009

Dem Buch gönnt Franziska Augstein einen Triumph. Derart politisch wach und dennoch ohne zu moralisieren hat sie das 20. Jahrhundert in einem Roman kaum je präsentiert bekommen. Dabei nimmt Ernst Halter vor allem die einfachen Leute in den Blick und das Leben auf dem Lande. Doch wenn Halter, seinen Helden, den Schweizer Fotografen Lanz, Bauern, Büroangestellte, Asylbewerbern oder Emigranten "auf die ihnen gemäße Weise" zu Wort kommen lässt, vernimmt Augstein Menschenschicksale. Faszinierend erscheint ihr, wie der Autor Mensch und Natur in unverwechselbarer Sprache mit- und gegeneinander antreten lässt. Nicht jeder seiner Begriffe muss ihr dabei geläufig sein. Halters Ironie schätzt Augstein höher als diejenige Thomas Manns, weil der Autor sie nicht benutzt, wie sie versichert, um seine Figuren vorzuführen, sondern um seinen Standpunkt zu verdeutlichen und den Leser auf hohem Niveau zu amüsieren.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 17.06.2009

Sibylle Birrer zieht zwar den Hut vor dem wagemutigen Unterfangen Ernst Halters, das ganze 20. Jahrhundert in wechselnden Stimmen, Reflexionen, Perspektiven und Beschreibungen einzufangen, sieht ihn aber an seinen überzogenen Ambitionen scheitern. Der Roman basiert auf einer Collage-Technik, die einzelnen Individuen oder Objekten immer nur zeitlich begrenzt durch den Lauf der Zeit folgt, erklärt die Rezensentin. Von so mancher "Binnengeschichte" beispielsweise einer Schweizerin, die einen deutsch-ungarischen Adligen heiratet, oder einem Fotograf, der sich zu Beginn des Jahrhunderts der Dokumentation der Armut verschreibt, hat sich die Rezensentin durchaus fesseln lassen. Umso bedauerlicher findet sie es dann, dass diese Geschichten abreißen und die Figuren in der "erzählerischen Heterogenität" untergehen. Einzelne Beschreibungen wiederum lobt sie als atmosphärisch dicht und berührend. Insgesamt aber hat sie das unangenehme Gefühl, der Autor habe hier schlicht seinen "Zettelkasten" ausgeleert und mitunter fühlt sie sich seiner "Flanier-, Imaginier- und Dozierlust" regelrecht ausgeliefert. Bleibt für Birrer die Frage, warum sich ein Autor überhaupt an so eine schier unlösbare Aufgabe macht, mit der er Schiffbruch erleiden müsse.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.05.2009

Rezensent Gustav Falke ist mit Ernst Halters Roman "Jahrhundertschnee" nicht recht glücklich geworden. Der Schweizer Autor will darin das "Wesen" des letzten Jahrhunderts fassen und lässt dafür einen leicht als Alter Ego zu erkennenden Fotografen, eine in den kakanischen Adel eingeheiratete Schweizerin sowie eine hochkarätig besetzte Gesellschaft zur "Pflege eines fiktiven nationalistischen Autors" zu Wort kommen, wie der Rezensent erklärt. Er stört sich insbesondere am polyphonen Stimmengemenge des Romans. Denn seiner Ansicht nach muss Vielstimmigkeit als literarisches Verfahren unterschiedliche Perspektiven und Interpretationen vorstellen. In Halters Roman dagegen gebe es nur eine Position: die des Autors. Auch unterbreche der Autor den Erzählfluss häufig für theoretische Erörterungen, die sich aber meistens durch wenig ergiebige "Leerformeln" auszeichnen, wie Falke moniert. Dass Halter auch noch ständig zeigen muss, was für ein "toller Hecht" er ist, verstimmt unseren Rezensenten ebenfalls. Er hätte sich aber mit dem Roman gar nicht so intensiv auseinandergesetzt, wenn dieser nicht auch einige "schöne Funde" bieten würde, wie er einräumt.
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