Götz Aly

Im Tunnel

Das kurze Leben der Marion Samuel 1931 - 1943
Cover: Im Tunnel
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2004
ISBN 9783596163649
Taschenbuch, 150 Seiten, 7,90 EUR

Klappentext

Marion Samuel starb im Alter von elf Jahren in Auschwitz. Die "Stiftung Erinnerung" benannte nach ihr einen Preis, um dieses junge Mädchen stellvertretend für die vielen Tausend im Holocaust untergegangenen Kinder vor dem Vergessen zu bewahren. Im vergangenen Jahr wurde dieser Preis dem Historiker Götz Aly für seine wissenschaftliche und publizistische Tätigkeit verliehen. Für seine Dankesrede recherchierte er in zahlreichen Archiven und fand dort zunächst nur kalte Behördendokumente. Doch schließlich gelang es ihm, zwei überlebende Mitglieder der Familie zu finden, die ihm wichtige Dokumente und sogar Familienfotos anvertrauten. Eine ehemalige Mitschülerin, die Aly über eine Anzeige ausfindig machte, erzählte ihm von einer Begegnung mit Marion Samuel im Jahre 1938: "Plötzlich fing Marion an zu weinen und erzählte, sie hätte Angst. Ich war verwundert, denn sie sagte: 'Da gehen Menschen durch einen Tunnel im Berg, und da ist auf dem Weg ein großes Loch, und alle werden hineinfallen und sind weg.'"

Im Perlentaucher: Rezension Perlentaucher

Als Götz Aly im November 2002 mitgeteilt wurde, er solle den Marion-Samuel-Preis erhalten, wusste er nicht, dass Marion Samuel 1943 im Alter von zwölf Jahren vergast worden war. Niemand wusste das. Der Historiker - ganz ohne Zweifel einer der besten Erforscher des Nationalsozialismus, aber ohne Lehrstuhl, ja ohne festes akademisches Engagement überhaupt - nahm das als eine - wenn man so sagen darf - sportliche Herausforderung und begann den spärlichen Lebensspuren der Marion Samuel nachzugehen...
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.10.2004

Beeindruckt zeigt sich Rezensent Hans-Jürgen Döscher von Götz Alys Buch über das "kurze Leben der Marion Samuel 1931-1943", die im März 1943 in den Gaskammern in Auschwitz-Birkenau ermordet wurde. Auf der Grundlage von Recherchen in diversen Archiven sowie der Befragung von Angehörigen der Familie Samuel in den Vereinigten Staaten und einer ehemalige Mitschülerin von Marion zu finden, habe Aly die Leidensgeschichte der Familie Samuel in den Jahren 1933 bis 1943 "sachkundig rekonstruiert" und "einfühlsam aufgezeichnet": von der Flucht aus der Provinz in die Anonymität der Großstadt Berlin über die Zwangsarbeit in der Rüstungsindustrie, die Verhaftung und Enteignung bis zur "fahrplanmäßigen" Deportation nach Auschwitz. Das Buch bringe, fokussiert auf die Tochter einer jüdischen Familie, das "ganze Ausmaß der menschenverachtenden Politik des NS-Regimes zum Ausdruck". "Die erschütternde Darstellung ihrer Lebensgeschichte", so der Rezensent, "sei insbesondere jüngeren Lesern empfohlen."
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 17.06.2004

Ein "Pflichtexemplar für jede Schulbibliothek" ist das Buch von Götz Aly für Rezensent Hans-Martin Lohmann. Der Autor und Zeithistoriker zeichne mit "sensibler Hand" die Geschichte des kurzen Lebens der Jüdin Marion Samuel und ihrer Familie nach, dem im März 1943 in der Gaskammer von Auschwitz-Birkenau ein Ende gemacht wurde. Mit "Energie und Zielstrebigkeit" hat sich Götz Aly auf die Suche nach Spuren dieses Kindes gemacht, als er von seiner bevorstehenden Ehrung mit dem Marion-Samuel-Preis - ein Symbol für die Kinder, die von den Nazis umgebracht wurden - erfuhr. Mit seiner "anrührenden" Geschichte ist es ihm gelungen, ein "individuelles Gesicht" mit dem allgemeinen Geschehen zu verbinden, lobt der Rezensent. Ein Werk, das unter all den "leicht" wiegenden Büchern von heute dem Leser die Schamesröte ins Gesicht treibe. Und ein Buch, das man "lesen muss".

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 24.04.2004

Die Rezensentin Franziska Sperr erklärt erst einmal, wie es überhaupt zu diesem Buch kam: Vom jüdischen Mädchen Marion Samuel waren bislang nur die Lebensdaten bekannt, und dass sie 1943, mit elf Jahren, in Auschwitz vergast wurde. Aufgrund dieser "nackten Eckdaten" wurde der von der "Stiftung Erinnerung" vergebene Preis nach ihr benannt, stellvertretend für die von den Nazis ermordeten jüdischen Kinder. Als Götz Aly besagter Preis verliehen wurde, begann er sich für Marion Samuel zu interessieren und unternahm daraufhin die biografischen Recherchen, die zum vorliegenden Band geführt haben. Anhand der wahnhaft peniblen Dokumente der NS-Bürokratie, die in den Archiven der zuständigen Behörden zu finden sind, rekonstruiere Aly "den detaillierten Lebensablauf eines Kindes und seiner Familie". In diesen "Belegen fortgesetzter Entwürdigung" begegne dem Leser nicht nur die gewundene NS-Terminologie, sondern auch schiere "Absurdität", etwa ein Vermerk der städtischen Gaswerke über die Rückzahlung von 2,01 Mark. Den offiziellen Quellen stehe das Zeugnis einer ehemaligen Klassenkameradin gegenüber, die Aly über eine Suchanzeige ausfindig gemacht hat, und die sich an ihre letzte Begegnung mit Marion erinnert: "Plötzlich fing Marion an zu weinen und sagte, sie hätte Angst. Ich war verwundert, denn sie sagte: 'Da gehen Menschen durch einen Tunnel im Berg und da ist auf dem Weg ein großes Loch und alle werden hineinfallen und sind weg'." Insgesamt, so die Rezensentin, zeigt dieser Band, indem er preisgibt, "wie bürokratische Korrektheit im Mordsystem der Nazis ins Groteske gesteigert wurde", den "Zynismus" und die "Menschenverachtung" des NS-Systems auf.
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