Hans Ulrich Gumbrecht

Diesseits der Hermeneutik

Über die Produktion von Präsenz
Cover: Diesseits der Hermeneutik
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004
ISBN 9783518123645
Kartoniert, 190 Seiten, 10,00 EUR

Klappentext

Aus dem Amerikanischen von Joachim Schulte. Dass die Geisteswissenschaften systematisch blind sind gegenüber jenen Schichten kultureller Welten, die nicht zur Dimension von Sinn und Bedeutung gehören und durch Interpretation zu erschließen sind, macht den Ausgangspunkt und die polemische Spitze dieses Buches aus. Was der Hermeneutik entgeht, sind Phänomene der Präsenz: "Dinge der Welt" setzen zu können. In diesem Sinn werden philosophische Begriffe entworfen und diskutiert, die über eine Rückwendung zu Phänomenen der Präsenz unser Verhältnis zur ästhetischen Erfahrung und zum Lernen neu bestimmen sollen und in einer Alltagswelt, die Jean-Francois Lyotard einmal als im Status "allgemeiner Mobilmachung" befindlich beschrieben hat, vielleicht dem Wunsch nach Momenten der Gelassenheit Raum schaffen.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 31.03.2005

Andreas Dorschel lässt keinen Zweifel an seinem Unmut gegenüber Hans Ulrich Gumbrechts "Diesseits der Hermeneutik". Ein Ärgernis ist dem Rezenten die "technoide Sprache", mit der der Autor die Aufwertung einer "Produktion von Präsenz" in den Geisteswissenschaften fordert, genauso wie er sich über die "Verschwommenheit" seiner Thesen mokiert. Die "Präsenz der Kunst", um die es Gumbrecht zu tun ist, bleibt eine "abstrakte Phrase", die selbst nicht begründet, sondern immer schon vorausgesetzt wird, so Dorschel unwillig und er wirft dem Autor vor, seine These in Ermangelung handfester Grundierung selbst in ein "Sacrificium intellectus" zu verklären. Dem Autor gehe es mit seinen Ausführungen zur Präsenz offenkundig vor allem um seine "eigene Präsenz im akademischen Betrieb", merkt Dorschel spitz an.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 18.11.2004

Gumbrecht scheint es in diesem Buch um etwas sehr Einfaches und zugleich sehr Kompliziertes zu gehen: Entnervt über die Produktion an Sinn, Abstraktion und Diskursen in den Geisteswissenschaften, so möchte man Knipps etwas verklausulierter Kritik entnehmen, möchte Gumbrecht zurück zu einfachen Empfindungen und Äußerungsformen, die weniger vom Jargon überformt sind. Knipp zitiert etwas ironisch, bei welchen Gelegenheiten Gumbrecht derart einfach empfindet, beim Anblick schöner Frauen natürlich, und bei Steilpässen im Fußball. Aber Knipp meint, dass sich Gumbrecht in seine eigene Argumentation verstrickt: Denn auch Gumbrecht unterwerfe sich dem Dogma der Trennung von Zeichen und Bezeichnetem. Gumbrechts Zitat seines Kollegen Jean-Luc Nancy, der einen "gewaltigen Zorn" über die Flut Sinnbestimmungsversuchen äußert, nimmt Knipp zum Anlass, eine grundsätzliche Beobachtung zur Lage der Geisteswissenschaften anzubringen: Allen "theoretischen Finessen" zum Trotz, könnten die meisten geisteswissenschaftlichen und dabei vor allem die literaturwissenschaftlichen Publikationen ihre Weltferne und daraus sich ergebende Belanglosigkeit nicht verbergen. Bei allem Verständnis für Gumbrechts akademischem Eskapismus ist es aber wichtig für Knipp, zu betonen, dass das "Hantieren mit und am Sinn" auch in Zukunft die Hauptaufgabe der Philologie bleibt.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 07.10.2004

In seinem neuen Buch ist es dem Literaturwissenschaftler Hans Ulrich Gumbrecht darum zu tun, die "Dinge" jenseits ihres Zeichencharakters wieder in ihrer sinnlichen "Präsenz" wahrzunehmen, erklärt Rezensent Niels Werber. Statt den "Dinge dieser Welt" also einen "tieferen Sinn" zuzuschreiben, wie es der Tradition des Abendlandes seit 2000 Jahren entspricht, plädiert der Autor dafür, sich auf das unmittelbare Erleben der Dinge einzulassen, so der Rezensent weiter. Zwar ist sich der Rezensent über den "akademischen Nutzen" solcher Übungen durchaus nicht sicher, dennoch ist er überzeugt, dass sie zumindest wohltuende "psychophysischen" Wert haben, und das weiß Weber durchaus zu schätzen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.08.2004

Jürgen Kaube ist von Hans Ulrich Gumbrechts "Diesseits der Hermeneutik" nicht recht überzeugt. Zwar leuchtet ihm ein, dass der Stanforder Romanist erschöpft ist von der Unzahl von Veröffentlichungen, die ein immer wachsender, immer rastloser werdender akademischer Betrieb provoziert und produziert und die drohen, jedes ästhetische und sinnliche Empfinden des Besprochenen - in der Regel das Sinnlichste überhaupt: Kunstwerke - zu verschütten. Aber kann die Antwort darauf sein, dass man den Studenten beibringt, lieber mal einen Steilpass im "Football" zu genießen oder den knackigen Körper einer jungen Frau in der romanistischen Seminarbibliothek beziehungsweise ein gelungenes Gedicht? Sollten "Creative Writing"- durch "Intensive Feeling"-Kurse ergänzt werden? Sollte man, ganz vormodern, nach dem Ding-an-sich in all dem Diskursgewese suchen? Da ist Kaube skeptisch. Er schlägt ein ganz materialistisches Mittel gegen die Textflut vor: "weniger Publikationen".
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