Herrad Schenk

Wie in einem uferlosen Strom

Das Leben meiner Eltern
Cover: Wie in einem uferlosen Strom
C.H. Beck Verlag, München 2002
ISBN 9783406493225
Gebunden, 376 Seiten, 22,90 EUR

Klappentext

Als sie sich im Jahr 1930 zum ersten Mal begegnen, ist er ein 19jähriger Student aus ärmlichen kleinbürgerlichen Verhältnissen, jedoch mit großem Ehrgeiz, und sie eine 22jährige Abenteurerin aus deklassierter großbürgerlicher Familie, die gerne Schriftstellerin wäre. Als sie 1940 heiraten, hat er Karriere bei den Nazis im SD gemacht, und sie will nun vor allem viele Kinder, eine richtige Familie. Von 1940 bis 1944 leben sie im Osten, mitten im Zentrum der Judenverfolgung. Nach Kriegsende entzieht er sich der Internierung, nimmt Hilfsarbeiterjobs an und schlägt sich in wechselnden Quartieren durch, während sie im Haus der Mutter Unterschlupf gefunden hat und fünf Kinder versorgt. Herrad Schenk erzählt die Geschichte ihrer Eltern. Sie spürt den Idealen und Hoffnungen nach, die ihre Eltern bewegten.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 10.03.2003

Ein Thema, das man "jahrzehntelang den Heimatvertriebenenverbänden" überlassen hatte, wird nun nach und nach auch von Schriftstellern und Wissenschaftlern aufgegriffen, bemerkt Elke Nicolini. Neben Autoren wie Günter Grass und dem Historiker Jörg Friedrich hat sich Herrad Schenk über das Tabu hinweggesetzt, über das "Leid der Deutschen" während des Krieges und des Nationalsozialismus zu schreiben. Laut der Rezensentin beschäftigt sich Schenk mit Fragen der Schuld, des Wegschauens während des Krieges und der "Scham danach", ohne den Rahmen eines Familienromans zu verlassen. Nicolini bemerkt, dass die Autorin durch die intensive Einbeziehung einer Arbeit Dieter Pohls, über die Judenvernichtung in Galizien, zu dem schmerzlichen Schluss kommt, dass der eigene Vater, welcher der SS angehörte, "niemals die Wahrheit gesagt haben konnte, wenn er vor Gerichten behauptete, von der systematischen Vernichtung der Juden in Osteuropa nichts mitbekommen zu haben." Die unbeantwortet bleibende Frage wie der Vater seine Arbeit verrichten konnte, ohne "sich voller Grauen abzuwenden", belastet die Autorin spürbar. Diesen inneren Disput - mit welcher Leichtigkeit scheinbar "unter bestimmten Bedingungen weggeschaut werden kann anstatt die notwendige Kraft aufzubringen, "entschlossen gut zu handeln" - bekomme der Leser eindringlich vor Augen geführt, versichert die Rezensentin.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 23.01.2003

Merkwürdig wohlmeinend äußert sich Michael Wildt zu Herrad Schenks Versuch, die Wahrheit über ihren Vater herauszufinden, der von 1941 bis 1944 als SS-Offizier den SD (Sicherheitsdienst) im besetzten Galizien befehligte. Denn wenn auch Werner Schenk gegenüber seiner Familie keinen Hehl aus seiner Mitgliedschaft beim SD gemacht hatte, berichtet Wildt, sei die Frage nach seiner Beteiligung am Judenmord tabu gewesen. Doch ganz schlau wird man aus Wildt verklausulierter Kritik nicht. Der Autorin gesteht er an einer Stelle zu, ihrem Vater gerecht zu werden und nichts beschönigen zu wollen, stellt aber andernorts fest, dass die Nähe sie zu blenden scheint. So bezeichnet er denn das Buch als "aufrichtig" und "sich um Ehrlichkeit bemühend", obwohl es die Frage nach Walter Schenks Täterschaft am Ende unbeantwortet lasse. Dafür erzähle es viel über das "lähmende Schweigen" und die "geschwätzige Verantwortungslosigkeit" in den Familien Nachkriegsdeutschlands. Es beschleicht einen der Eindruck, dass dieses Lob auch ein ordentlicher Verriss hätte werden können.