Dan Diner, Norbert Frei, Saul Friedländer, Jürgen Habermas, Sybille Steinbacher

Ein Verbrechen ohne Namen

Anmerkung zum neuen Streit über den Holocaust
Cover: Ein Verbrechen ohne Namen
C.H. Beck Verlag, München 2022
ISBN 9783406784491
Kartoniert, 94 Seiten, 12,00 EUR

Klappentext

Ein Genozid wie jeder andere? Ist es ein neuer Historikerstreit? Die Erinnerung an den Holocaust in Deutschland steht plötzlich in der Kritik. Was eben noch als eine politische und gesellschaftliche Errungenschaft galt, verstehen manche nun als einen "Katechismus", der den Deutschen aufgezwungen sei und über dessen Einhaltung "Hohepriester" wachten. Seine wahre Funktion sei es, andere historische Verbrechen auszublenden und dem Mord an den Juden eine übertriebene Rolle im kollektiven Gedächtnis der Deutschen einzuräumen. Dieser Band tritt solchen Thesen entgegen. Saul Friedländer, Norbert Frei, Sybille Steinbacher und Dan Diner zeigen aus jeweils unterschiedlichen Perspektiven, warum das Argument der Präzedenzlosigkeit des Holocaust historisch gut begründet ist. Zugleich machen sie deutlich, dass die Erinnerung insbesondere an die Kolonialverbrechen einen größeren Platz erhalten sollte, ohne deshalb die kritische Auseinandersetzung mit dem Holocaust beiseitezuschieben. Mit einem kurzen Text "Statt eines Vorworts" eröffnet Jürgen Habermas den Band. Die Debatte um den Holocaust kommt nicht zur Ruhe Ein Genozid wie jeder andere? Über Holocaustvergleiche und koloniale Gewalt

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 26.02.2022

Rezensentin Tania Martini lässt sich von den Historikern Saul Friedländer, Norbert Frei, Sybille Steinbacher und Dan Diner die blinden Flecken der postkolonialen Theorie beleuchten und den Historikerstreit 2.0 rekapitulieren. Die in Zeitungen erschienenen und um Texte von Steinbacher und Habermas ergänzten Aufsätze im Zusammenhang mit dem Streit findet sie allesamt klug. Resümiert wird laut Martini nicht nur der wachsende Judenhass in den USA, sondern auch die Präzedenzlosigkeit der Shoah und inwiefern ein als Kolonialmacht verstandenes Israel gemeint ist, wenn die Holocaustforschung angegriffen wird. Geeignet, die Kernthesen der Postkolonialismus-Shoah-Debatte zu überblicken, ermöglicht der Band laut Martini auch eine Einordnung der diversen "postkolonial inspirierten" Verunglimpfungen Israels. Erinnerung und historische Aufklärung haben kein Ende, niemals, versteht die Rezensentin.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 08.02.2022

Unverzichtbar nennt Rezensent Matthias Arning diesen Band, mit dem einschlägige Autoren zum Historikerstreit 2.0 Stellung beziehen und deren Beiträge Arning referiert. Jürgen Habermas zufolge verschieben sich die Gewichte im historischen Gedenken, der Holocaust bleibe der Zivilisationsbruch, aber an seine Seite trete mehr und mehr auch die Aufarbeitung kolonialer Verbrechen. Dagegen warnt Norbert Frei vor einer Verdrängung der Schuld und Relativierung des Holocaust. Saul Friedländer wendet sich gegen eine Umdeutung von Israel zur Kolonialmacht, was historisch in Palästina schließlich die Osmanen und Engländer gewesen seien.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.01.2022

Patrick Bahners bespricht den vorliegenden Band zum "Historikerstreit 2.0" nur sehr kurz und kursorisch, aber nicht ganz ohne ironische Anmerkungen. Er findet hier nur Gegenargumente, "die Argumente muss man erschließen, wie die verschollenen Schriften heidnischer Philosophen aus ihrer Widerlegung durch die Kirchenväter". Der kurze Text von Habermas zum neuerlichen Streit um den Holocaust, dessen Einzigartigkeit diesmal von links, aus postkolonialer Perspektive in Frage gestellt wurde, reicht Bahners als Einleitung des Bandes merklich nicht aus. Ihm fehlt ein editorischer Text über die Kriterien der Auswahl und wohl auch eine deutliche Positionierung zur Debatte. Vom Verlag C.H. Beck, der ersten Adresse für Historiker, die sich ans breite Publikum wenden, hätte er sich mehr erwartet.
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