Michael Wildt

Zerborstene Zeit

Deutsche Geschichte 1918 bis 1945
Cover: Zerborstene Zeit
C.H. Beck Verlag, München 2022
ISBN 9783406776601
Gebunden, 638 Seiten, 32,00 EUR

Klappentext

Deutschland zwischen 1918 und 1945 - ein Zeitraum von knapp dreißig Jahren, in dem gleich zweimal für Millionen Menschen eine "neue Zeit" anbricht: 1918 nach dem Ende des verlorenen Ersten Weltkriegs und 1933 mit der Machtübernahme durch Adolf Hitler. Als eine "zerborstene Zeit" schildert Michael Wildt diese Jahre in seiner atmosphärisch dichten Darstellung, die die Ereignisstränge der "großen" Geschichte mit den Erfahrungen und Lebenswelten der Zeitgenossen verbindet. Die Straßen Berlins in den Tagen der Novemberrevolution, das Ruhrgebiet 1923 während des Einmarschs der französischen Truppen, Varieté-Shows, die schwarze Community in Deutschland, Lemberg 1941 und Hamburg beim Bombenangriff am Altjahrsabend 1944 - das sind nur einige der Orte, an die Michael Wildt uns in seinem neuen Buch mitnimmt.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 10.05.2022

Rezensent Cord Aschenbrenner scheint gut klarzukommen mit der etwas anderen Geschichtsschreibung des Berliner Historikers Michael Wildt. Wie Wildt, chronologisch zwar, aber recht knapp und unter besonderer Berücksichtigung von zeitgenössischen Stimmen (von Beckett über Klemperer bis zur deutschnationalen Lehrerin Luise Solmitz) eine andere deutsche Geschichte festhält, reißt Aschenbrenner mit. Lebendig in seiner Unvollständigkeit erscheint ihm, was Wildt über die Zeit von 1918 bis 1945 erzählt, von Josephine Baker und einem renitenten Gastwirt in der Eifel.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 06.05.2022

Jetzt, wo wir mal wieder in einer Gegenwart leben, in der man sich fragt, ob man ihre Vorzeichen ausreichend wahrgenommen hatte, empfiehlt sich die Lektüre dieses Buchs ganz besonders, schreibt Harry Nutt in einer sehr eindringlichen Empfehlung. Statt die Jahre 1918 bis 45 nochmals chronologisch nachzuerzählen, agiert der Historiker Michael Wildt hier mit dem "erklärten Willen zum Fragment", erzählt Nutt, und gerade das Bruchstückhafte beschert ihm einen Reichtum der Erkenntnisse. Besonders etwa empfiehlt Nutt vor dem Hintergrund des jetzigen Ukraine-Kriegs das Kapitel über die Stadt Lemberg/Lwiw/Lwow, das einen Blick in eine uns viel zu unbekannte Gewaltgeschichte Osteuropas gestatte. Auch die ausführliche Lektüre von Tagebüchern erlaube Wildt, vergangene Gegenwart aus den Schemata nachträglicher Sinngebung zu befreien. Man wird das Buch gerade jetzt lesen müssen.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 11.03.2022

Rezensent Wolfgang Schneider entdeckt zwar einige Unausgewogenheiten in Michael Wildt "konzisem" Geschichtsbuch, etwa wenn von 130 Seiten 100 vom Holocaust handeln, am positiven Gesamteindruck der Lektüre ändert das für ihn aber nichts. Wildts Ansatz einer offenen Geschichte von unten, d. h. erzählt aus zeitgenössischen Quellen wie Tagebuchaufzeichnungen, scheint Schneider gewinnbringend, da der Autor auf "moralische Quintessenzen" verzichtet und lieber die Hitler-Begeisterung einer mit einem Juden verheirateten Lehrerin Anfang der 1930er dokumentiert oder die Symbolpolitik der Nazis in einer rheinländischen Kleinstadt. Als Gesamtdarstellung aber taugt der Band laut Schneider mitnichten, schon da er sich mit sehr unterschiedlichen Themen befasst, die den Leser etwa auch nach Lemberg oder Äthiopien führen oder ihn mit dem zur Weimarer Zeit neuen Typus der weiblichen Angestellten konfrontiert.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08.03.2022

Rezensent Stephan Speicher stolpert über die Uneinheitlichkeit dieses Buches von Michael Wildt. Der Autor möchte Deutschland 1918-1945 aus den Wahrnehmungen von Zeitgenossen darstellen. Ein schönes Ansinnen, meint Speicher. Allein der Autor müsste den Stoff auch ordnen und ab und zu bewerten, findet er. Genau das aber macht Wildt zu wenig, kritisiert der Rezensent. Schon die Frage nach der Repräsentativität der ausgewählten Quellen, etwa Tagebuchaufzeichnungen von Oskar Maria Graf bis Friedrich Ebert, scheint Speicher zufolge nicht geklärt. Interessante, gut erzählte Passagen über die Ernährungsfrage in der Weltwirtschaftskrise wechseln sich laut Speicher ab mit weniger durchdachten Exkursen zum Schicksal schwarzer Menschen im "Dritten Reich". Mehr Systematik hätte dem Band außerdem gut getan, glaubt Speicher.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 31.01.2022

Der Historiker Dietmar Süß ist ein Fan von Michael Wildts "Geschichte von unten". Das neue Buch des Berliner Zeithistorikers scheint ihm nicht nur originell in seinem Ansatz, Brüche und Verwerfungen der Geschichte des 20. Jahrhunderts anhand von Zeitzeugendokumenten wie Tagebüchern aufzuzeigen, sondern auch präzise, indem es sich an entscheidenden politischen Wegmarken orientiert, an der Außenpolitik der Weimarer Republik, am Antisemitismus der Nationalsozialisten oder am Zusammenbruch des "Dritten Reiches". Besonders anregend jedoch findet Süß die herangezogenen Aufzeichnungen Viktor Klemperers, Luise Solmitz' und Willy Cohns oder den Exkurs über Josephine Baker, der Süß schließlich zu der Frage führt, was "deutsche" Geschichte sei.
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