Christiane Hoffmann

Alles, was wir nicht erinnern

Zu Fuß auf dem Fluchtweg meines Vaters
Cover: Alles, was wir nicht erinnern
C.H. Beck Verlag, München 2022
ISBN 9783406784934
Gebunden, 279 Seiten, 22,00 EUR

Klappentext

Christiane Hoffmanns Vater floh Anfang 1945 aus Schlesien. 75 Jahre später geht die Tochter denselben Weg, 550 Kilometer nach Westen. Sie kämpft sich durch Hagelstürme und sumpfige Wälder. Sie sitzt in Kirchen, Küchen und guten Stuben. Sie führt Gespräche - mit anderen Menschen und mit sich selbst. Sie sucht nach der Geschichte und ihren Narben. Ein sehr persönliches, literarisches Buch über Flucht und Heimat, über die Schrecken des Krieges und über das, was wir verdrängen, um zu überleben.Deutschland in den 1970er Jahren. Unter dem Tisch sitzen die Kinder. Oben seufzen die Erwachsenen, essen Schnittchen und reden über die verlorene Heimat. Sie geben ihre Verletzungen und Alpträume weiter an die nächste Generation. Nach dem Tod des Vaters kehrt die Tochter in das schlesische Dorf mit dem malerischen Namen zurück, nach Rosenthal, das jetzt Rózyna heißt. Am 22. Januar 2020 bricht sie auf und geht noch einmal den Weg seiner Flucht. Was bleibt heute vom Fluchtschicksal? Wie gehen Familien, wie gehen Gesellschaften, Deutsche, Polen und Tschechen mit der Vergangenheit um? Christiane Hoffmanns Buch holt die Erinnerung an Flucht und Vertreibung ins 21. Jahrhundert, es verschränkt ihre Familiengeschichte mit der Historie, Zeitzeugenberichte mit Begegnungen auf ihrem Weg.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 17.05.2022

Rezensent Kurt Kister empfiehlt Christiane Hoffmanns Buch über eine Wanderung auf den Spuren ihres Vaters durch Schlesien und Tschechien. Was die Autorin beim Abschreiten der Flüchtlingswege des Kriegswinters 1945 erlebt, empfindet und aufschreibt, ergibt laut Kister zwar kein Geschichtsbuch, auch kein Wanderbuch, sondern eine Art Selbsttherapie mit atmosphärischen Reportageelementen. Für den Leser fallen laut Kister sowohl völkerpsychologische Einsichten ab als auch solche, die die Sprachlosigkeit der Kriegsgeneration erhellen. Als Sachbuch über Flucht und über Deutschland und seine östlichen Nachbarn taugt der Band auch, findet Kister. 
Lesen Sie die Rezension bei buecher.de

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.03.2022

Rezensent Stephan Wackwitz folgt Christiane Hoffmann auf ihrer Wanderung von Opole nach Plauen. Was die Autorin erlebt und aufschreibt, während sie den Fluchtweg ihrer Großeltern und Eltern von 1945 "nachgeht", scheint Wackwitz lesenswert nicht nur vor dem Hintergrund heutiger politischer Ereignisse und Fluchterfahrungen, sondern auch als gelungenes Beispiel für die Erkundung der kindlichen Psyche und von Familien-Traumata, die zwar zu keiner psychologischen Reinigung führt, wie Wackwitz erkennt, aber zu eindringlichen Porträts von Menschen in Polen, Tschechien, Deutschland und zu einer authentischen "Erwanderung" der eigenen (verborgenen) Geschichte.
Lesen Sie die Rezension bei buecher.de

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 17.03.2022

Rezensent Andreas Kossert folgt interessiert dem Fluchtweg von Christiane Hoffmanns Vater aus Schlesien, den sie nach seinem Tod abgelaufen ist, was sie in ihrem Buch "Alles, was wir nicht erinnern" beschreibt. Die 1967 geborene Journalistin zeigt darin auf, was Flucht und Heimatverlust für Betroffene und deren Hinterbliebene bedeuten, auch mit Blick auf die Frage nach der Identität, erklärt Kossert. Nebenbei wird so auch noch die Geschichte des polnischen Rosenthal, heute Różyna, erzählt. Letztendlich verschmelzen die Erzählungen Hoffmanns dem Rezensenten zufolge zu einer erstaunlichen Mischung aus individuellem Erlebnis und kollektiven Fluchterfahrungen und Heimatverlust. Ein eindrucksvolles Buch, schließt Kossert.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 12.03.2022

Ob Christiane Hoffmann den Krieg Russlands gegen die Ukraine hat kommen sehen, muss sich Rezensentin Andrea Seibel fragen, wenn Hoffmann etwa von der "Glut" spricht, die immer noch unter all der Asche des letzten europäischen Krieges schwelt. Die Hitze dieser Glut hat die Autorin und Journalistin zu spüren bekommen auf ihrer Wanderung von Rosenthal, das heute in Polen liegt, nach Deutschland, lesen wir. Es ist der Fluchtweg ihres Vaters, den sie geht, und von dem sie erzählt, und damit das "einzige Familienerbe" pflegt, wie sie schreibt. Seibel liest davon gespannt, aber auch angespannt in Anbetracht der Aktualität dieses Berichts. Dass schon vor dem Angriff Russlands, vom Westen weitestgehend ignoriert, ein "Geschichtskrieg" im Osten wütete, wird in diesem Buch deutlich. Angesichts dieser Brisanz kann Seibel es der Autorin leicht verzeihen, wenn sie sich hier und da zum moderaten Kitsch hinreißen lässt.  

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 04.03.2022

Rezensentin Katharina Teutsch liest mit Christiane Hoffmanns "Alles, was wir nicht erinnern" ein persönliches Erinnerungsbuch, das trotzdem mehr ist als nur die Aufarbeitung der eigenen Familiengeschichte. Hoffmann erzählt darin vom "Schmerz einer Weltregion", wie Teutsch es ausdrückt, in der seit vielen Jahren ein Krieg um die Deutungsmacht über die Vergangenheit und die Verteilung historischer Schuld herrscht. Teilweise, lesen wir, ist Hoffmanns Buch als Brief an den toten Vater verfasst, in anderen Teilen berichtet die Autorin von ihren persönlichen Erfahrungen während ihrer Wanderung auf jenem Weg, auf dem vor Jahrzehnten ihr Vater aus der Ukraine nach Deutschland floh. Dabei umgeht sie gekonnt die vielen ideologischen Fallen, lobt die Rezensentin und stellt mit einem Schaudern fest, welche Aktualität das, wovon Hoffmann hier schreibt, insbesondere vor dem Hintergrund des russischen Krieges gegen die Ukraine 2022 gewinnt.