Karl Heinz Bohrer

Mit Dolchen sprechen

Der literarische Hass-Effekt
Cover: Mit Dolchen sprechen
Suhrkamp Verlag, Berlin 2019
ISBN 9783518428818
Gebunden, 493 Seiten, 28,00 EUR

Klappentext

Gerade in letzter Zeit hat der "Hass"-Begriff eine Karriere an öffentlicher Bedeutung hinter sich gebracht. In der publizistischen und sozialhistorischen Kritik an der in Deutschland und Europa verbreiteten Reaktion auf die Flüchtlingskrise rückte er gemeinsam mit Begriffen wie "Identität" und "Rassismus" in die vorderste Linie des Diskurses. Doch Karl Heinz Bohrers Studie in zwölf Kapiteln sucht im literarischen Hasseffekt etwas ganz anderes. Nicht um den Hass als die begleitende Emotion eines politisch-weltanschaulichen Programms geht es ihm, sondern einzig um den literarischen Ausdruckswert, um die Rolle des Hasses als eines Mediums exzessiv gesteigerter Poesie. Dabei zeigt sich eine privilegierte Rolle von Charakteren des Hasses und ihres Ausdrucksvermögens in der Literatur, an deren Vorbild sich die Expressivität literarischer Sprache selbst entwickelt. Bohrers Studien führen vom Beginn der Neuzeit, von Shakespeare, Kyd und Marlowe, über Milton, Swift, Kleist, Baudelaire, Strindberg und Céline bis in die Gegenwart: zu Sartre, Bernhard, Handke, Jelinek sowie Brinkmann und Goetz. Und zu Houellebecq, in dem die bösartige Affirmation des Hassenswerten, eine Zeitgenossenschaft ohne Hoffnung, kulminiert.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 28.01.2020

Sarah Pines lernt mit Karl Heinz Bohrer den Hass zu achten, den literarischen aber nur, denn der schafft laut Autor "erhabene Bilder" und verachtet das Mittelmäßige, Hate Speech etwa, wie Pines erfährt. Wie Bohrer Welt, Text, Kunst und Leben unter dem Aspekt des Hasses betrachtet, wie er Texte von Marlowe, Houellebecq, Baudelaire, Handke und Jelinek untersucht, findet die Rezensentin aufschlussreich. Dass Hass in der Literatur auch Ausdruck von Einsamkeit, von Regression und von Zeitlosigkeit, führt Bohrer laut Pines anschaulich vor.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 16.01.2020

Der hier rezensierende Literaturprofessor Steffen Martus liest lieber Kleist, Céline, Strindberg, Baudelaire als den neuesten Lifestyle-Roman. Darin bestärken ihn Karl Heinz Bohrers "emphatische Lektüren" auf die "poetologische Signifikanz" des Hasses in Texten dieser und anderer Autoren. Was die Poesie durch "schöne Aggressivität" an Ausdruck hinzugewinnt, vermag ihm der Autor an Beispielen darzulegen, wobei er laut Martus unterscheidet zwischen "diskursiver" und "imaginativer" Hassrede. Dass Bohrer die rhetorische und die sozialhistorische Dimension außer Acht lässt, geht für Martus in Ordnung, jedem Gedankengang des Autors muss der Rezensent aber nicht folgen, zumal Bohrer sich wiederholt, wie Martus feststellt, und den "Eigensinn des Ästhetischen" etwas zu schematisch betont. Die "Hässlichkeit aggressiver Rede" hätte Bohrer stattdessen ruhig auch mal aufs Korn nehmen dürfen, findet Martus.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 26.10.2019

Rezensent Eberhard Geisler bescheinigt dem Autor "einige Chuzpe", da er sich traut, in der heutigen Agitationsgesellschaft über den Reiz der literarischen Hass-Rede zu schreiben. Von Shakespeare über Kleist, Baudelaire und Thomas Bernard bis hin zu Michel Houellebecq analysiert er sprachmächtige Verwünschungen, Morddrohungen und dergleichen, so Geisler. Neben der interessanten These, dass die Publizistik des 20. Jahrhunderts weit weniger abstoßend geworden wäre, wenn Wut in der Literatur des 19. Jahrhunderts weniger unterdrückt worden wäre, hat das Buch dem Kritiker zufolge aber nicht viel zu bieten, weil Bohrer sich in seinen Augen zu wenig Gedanken über die Wahrhaftigkeit der Rhetorik macht. Damit entgeht ihm das Pathos, das beispielsweise bei Hölderlin gerade durch die Zerstörung der ästhetischen Sprachkonventionen entsteht, bedauert Geisler.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 05.10.2019

Michael Braun erkennt Karl Heinz Bohrers Wunsch, mit seiner Studie in den Hass-Diskurs einzugreifen. Bohrers Literaturgeschichte des Hasses spricht er allerdings nur begrenzten Erkenntniswert zu. Am besten gefällt ihm Bohrers kenntnisreiches Eintauchen in literarische Gewaltfantasien von Shakespeare über Kleist bis Houellebecq, auch wenn mit Elfriede Jelinek nur eine Frau vorkommt. Ob die hier eruierte "poetologische Signifikanz" des Hasses für die Herleitung einer negativen Ästhetik ausreicht, lässt Braun offen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.09.2019

Von Hass, Hass-Rede, Hass-Kommentaren ist ja derzeit viel die Rede. Alle sind dagegen, bis auf Karl Heinz Bohrer. Aber der interessiert sich nicht für politischen Hass, in seinem streckenweise "fulminanten" Buch, so Rezensentin Martina Wagner-Egelhaaf, sondern für den Hass in der Literatur. Oder vielmehr für die Sprache, mit der Literatur Hass ausdrückt. Denn so wie sich Verrisse oft amüsanter und interessanter sind als Lobpreisungen, so sind auch Hasstiraden in der Literatur oft um einiges sprachgewaltiger als Liebeserklärungen, lernt die Rezensentin bei Bohrers jede Sekundärliteratur verschmähendem Streifzug durch die Literaturgeschichte von der Antike bis zu Houellebecque. Man nehme nur Miltons Satan in "Paradise Lost" - rhetorisch um einiges überzeugener als Gott, lernt die amüsierte Kritikerin. Hass in der Literatur ist immer auch ein Angriff auf sprachliche Konventionen, erkennt sie hier. Ob er aber immer so leicht zu trennen ist von politischen und gesellschaftlichen Umständen, wie Bohrer nahezulegen scheint, bezweifelt sie. Doch anders als sein hässlicher Zwilling bleibt er am Ende immer "in der Sprache", glaubt sie.
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