Kathrin Schmidt

Du stirbst nicht

Roman
Cover: Du stirbst nicht
Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln 2009
ISBN 9783462040982
Gebunden, 348 Seiten, 19,95 EUR

Klappentext

Helene Wesendahl weiß nicht, wie ihr geschieht: Sie findet sich im Krankenhaus wieder, ohne Kontrolle über ihren Körper, sprachlos, mit Erinnerungslücken. Ihr Weg zurück ins Leben konfrontiert sie mit einer fremden Frau, die doch einmal sie selbst war. Kathrin Schmidt packt ihre Leser diesmal durch die Beschränkung, und zwar im wörtlichen Sinne. Mit den Augen ihrer erwachenden Heldin blicken wir in ein Krankenzimmer, auf andere Patienten, das Pflegepersonal und den eigenen Körper, der plötzlich ein Eigenleben zu führen scheint. Und wir erleben die mühsamen Reha-Maßnahmen mit, die Reaktionen der Familie, den aufopferungsvollen Einsatz ihres Mannes - und die bruchstückhafte Wiederkehr ihrer Erinnerung.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 25.09.2009

Für Rezensentin Meike Fessmann steht dieser Roman zu Recht auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises. Angst, Scham und Wut einer Klinikpatientin – Kathrin Schmidt vermittelt diese Gefühle nüchtern und mit "leichter Komik", und Fessmann erkennt, dass sich Leiden auch ohne Pathos darstellen lässt. Die biografischen Daten des Textes entgehen der Rezensentin zwar nicht, dem Genre der Betroffenheitsliteratur jedoch, versichert Fessmann, entkommt die Autorin mit ihrer kargen Sprache und einer Innenperspektive in der dritten Person. So regt sich bei der Rezensentin Mitgefühl, vor allem aber fordert der Text ihre Vorstellungsgabe. Ein herausragendes, wahrhaftiges Buch in dieser Hinsicht, findet Fessmann. Die eigentliche Geschichte um die erkrankte Heldin falle dagegen "merklich ab", schreibt sie.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 09.07.2009

Sehr beeindruckt ist Rezensentin Beatrice Eichmann-Lautenegger von dem neuen Roman Kathrin Schmidts, "Du stirbst nicht". Die Protagonistin des Buches, Helene Wesendahl, erleidet im Alter von 44 Jahren eine Hirnblutung und dadurch verändert sich ihr Leben, Umfeld – einfach alles. Die Autorin Kathrin Schmidt weiß, wovon sie spricht, denn sie selbst erlebte vor wenigen Jahren einen ähnlichen Schicksalsschlag und hat sich Schritt für Schritt von der Krankheit erholt, erfahren wir. Die "Innenansicht der Vorhölle" beschreibt sie demnach entsprechend lebensnah und authentisch. Die Rezensentin fühlt sich durch die Lektüre gefordert: Keine plakativen Rührseligkeiten, sondern direkte, ehrliche, ungenierte Gefühlsetappen der Patientin, die sich ihre Autonomie langsam zurückerobern muss und dabei offenbar viel Mut zeigt. Weniger gelungen findet Eichmann-Leutenegger nur die Rückblicke auf die Zeit vor der Krankheit. An diesen Stellen scheint Kathrin Schmidt etwas zu viel Stoff in ihre Geschichte gepackt zu haben. Den positiven Gesamteindruck der Rezensentin scheint das aber nur wenig gemindert zu haben.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 04.06.2009

Unter die Haut ist Rezensent Helmut Böttiger dieser Roman gegangen, in dem Kathrin Schmidt ihren Sprach- und Gedächtnisverlust nach einer Gehirnblutung literarisch verarbeitet hat. Und zwar nicht nur, weil er darin fast physisch vermittelt sieht, wie das "Sprengen des Panzers des Körpers" zu Literatur wird, sondern auch auf Grund der Sprache, in der dies geschieht. Denn knapp, neugierig und mitleidlos beschreibe Schmidt die Selbstwahrnehmung ihrer Protagonistin. Aber auch die Rückaneignung ihres Lebens und ihrer Geschichte beeindruckt ihn sehr. Auch die enigmatische Liebesgeschichte, die im Roman aufblitzt, fasziniert ihn, sowie die Art, in der Kathrin Schmidt die existenzielle Erfahrung von Todesnähe und den Zusammenhang von Sprache und Körper verarbeitet hat. Wie ihre literarische Imagination schließlich auf konkrete biografische und gesellschaftliche Erfahrungen zurückgeführt wird, zum Beispiel "eine ungeahnte Variante von Genderstudies und Geschlechterrollen" in "östlich-verhangener Atmosphäre".

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 25.04.2009

"Ein Nullpunktbuch, Roman einer Neuaneignung der Welt", der im Autobiografischen gründe, sich aber nicht darin erschöpfe, schreibt Rezensentin Maja Rettig beeindruckt. Denn die Protagonistin dieses Romans weist starke Ähnlichkeiten mit der Autorin auf, die 2002 durch eine Gehirnblutung wesentliche Sprach- und Körperfunktionen eingebüßt und wiederzuerlernen hatte. Das Ungeschönte der Schilderung von körperlichen Schäden bewegt Rettig ebenso wie die Radikalität, mit der Kathrin Schmidt das vegetative Moment ihrer Gefühlswelt beschreibt. Aber auch die "prekäre Liebesgeschichte" der Protagonistin mit ihrem Mann, die einen wichtigen Erzählstrang des Romans ausmache, scheint den intensiven Eindruck dieses Buchs noch zu unterstreichen. Als souverän wird auch die sprachliche Gestaltung des Romans gelobt: die Beschreibung der sprachlichen Versehrung mit den bildreichen, bildsicheren Mitteln der Lyrikerin ebenso wie die Art, wie aus den "anfangs kurzen, isolierten Momentaufnahmen" längere Erzählbögen werden.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.04.2009

Man muss gar nicht wissen, dass die Autorin hier ihr eigenes Schicksal erzählt, meint die Rezensentin Anja Hirsch - dieses Werk funktioniert als fiktive Geschichte auch so. Dennoch: .Mit knapp über vierzig überlebte Schmidt ein geplatztes Aneurysma nur knapp, musste sich alles, ihre Erinnerung, die Sprache erst wieder erarbeiten. So ergeht es auch ihrer Heldin, der Schriftstellerin Helene Wesendahl, der erst nach und nach ihre eigene Vergangenheit dämmert, ehebedrohliche Affäre inklusive. Völlig überzeugend wird der Roman für die Rezensentin zu einer Studie über den "Zusammenhang von Sprache und Identität". Zwar hält Hirsch manche sprachliche "Kapriole" der Autorin für nicht völlig geglückt, dies aber sei ein vergleichsweise sehr geringer Makel dieses beeindruckenden Buchs.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 09.04.2009

Petra Kohse ist sehr beeindruckt von diesem Roman, so viel wird klar. Allerdings hält sich Kohse irritierend lange mit dem Ausdruck "Keine Sentimentalitten" - ohne "ä" - auf, den sie eher für poetische Verdichtung als einen Tippfehler hält. Trotzdem: Wie Kathrin Schmidt hier über eine Frau, über sich selbst, schreibt, die nach einem geplatzten Aneurysma im Krankenhaus aufwacht, ohne ihren Körper beherrschen zu können, ohne sich an ihr Leben und ihre Familie erinnern zu können, das lässt die Rezensentin nicht mehr los. Die Beschreibung über den hilflosen, sabbernden, verschlauchten Körper nehmen Kohse zwar mit, doch hat sie bei aller radikalen Intimität auch eine poetische Klarheit gefunden, die sie staunen macht darüber, wie Kathrin Schmidt hier von der Krankheit erzählt und dabei zugleich DDR-Biografie, Alltag und Künstlertum vereint.