Louis-Sebastien Mercier

Pariser Nahaufnahmen - Tableau de Paris

Cover: Pariser Nahaufnahmen - Tableau de Paris
Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2000
ISBN 9783821844862
Gebunden, 365 Seiten, 29,65 EUR

Klappentext

Ausgewählt, übersetzt und mit einem Nachwort von Wolfgang Tschöke. Mit Fotografien von Eugène Atget und Hippolyte Bayard. Fünf Minuten vor der Französischen Revolution taucht in der Menschenmenge der Metropole ein Mann auf, der von sich sagt: »Ich lebe nur aus Neugier«. Mercier ist der erste Großstadt-Reporter der Geschichte. 1781 erscheint die erste Lieferung seines Bestsellers, der es auf zwölf Bände mit mehr als tausend Kapiteln bringen wird. »Noch niemand vor mit hatte sich daran gemacht, das Gesamtbild einer Riesenstadt wiederzugeben«, behauptete er, und er hat recht. Woran andere sich hielten, an die Salons, den Hof, die Sehenswürdigkeiten, das interessierte ihn am wenigsten. Mit einem gewaltigen Appetit, der an Balzac erinnert, stürzte er sich ins Gewühl und schilderte die Wasserträger und die Schuhputzer, die Wucherer und die Metzger, die Huren und die Findelkinder, stieg in den Untergrund der Stadt, studierte Gefängnisse und Klos, und untersuchte die Straßenbeleuchtung und das Beerdigungsgeschäft. Soviel sich auch seitdem geändert hat: Paris hielt lange Zeit zäh an seinen Gewohnheiten und an seinen Eigenarten fest. Zumindest bis 1900 hielten sich die Spuren jener Milieus, de Mercier als erster beschrieben hat. In einem Akt des gezielten Anachronismus wird in diesem Band auf die bekannten Kuperstiche verzichtet. An ihrer Stelle sollen Fotografien aus dem 19. Jahrundert zeigen, wie irritierend viel Haussmanns Zerstörungswerk vom alten Paris übriggelassen hat.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 19.10.2000

Mutige vor, fragt Ursula Pia Jauch, wer will schon alle Rundgänge Merciers durch das Paris des 18. Jahrhunderts wirklich lesen? Stadtbummel hat etwas mit Müßiggang zu tun, räsoniert die Rezensentin und rät dazu, sich die Auswahl-Übersetzung des Eichborn-Verlages zu Gemüte zu führen, die hundertzehn der ursprünglich über 1000 Tableaus enthält. Mit Gemütlichkeit haben diese Miniaturen allerdings wenig zu tun: weder das portraitierte Paris ist besonders anheimelnd, stattdessen "dampft, röchelt, stinkt und stirbt" es an allen Ecken und Enden, noch nahm sich Mercier besonders viel Zeit zum Schreiben: er war Reporter und schrieb für Zeitungen. Mercier sah sich als "unbeteiligten Beobachter", sagt Jauch, und sie beschreibt seinen Stil als sachlich, realistisch, unterkühlt, was ihn aber nicht davon abgehalten habe, einen Sinn für Situationskomik zu entfalten und Missstände beim Namen zu nennen. Politisch brachte ihm das Ärger ein und zwang ihn für ein paar Jahre ins Exil.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 04.09.2000

Eberhard Rathgeb sieht in den ausgewählten Beobachtungen aus dem Paris des 18. Jahrhunderts weniger eine analytisch-theoretische Studie als das Ergebnis einer Sammelleidenschaft. Der Autor habe wie ein Ethnograph, der ein fremdes Volk erforscht, seine eigenen Landsleute und die Stadt in der sie leben genau betrachtet, er "guckte hin". Dabei habe er weder eine "Theorie der Stadt" angestrebt, noch politische Rücksichten genommen, sondern vielmehr Verbesserungsvorschläge gemacht, wie in seinen Überlegungen zur Hygiene deutlich werde. Allerdings bemängelt der Rezensent, dass die Auswahlkriterien des Herausgebers nicht erklärt werden, und er vermisst Hinweise auf die Entstehungszeit der einzelnen Texte. Zudem findet er die beigegebenen Fotografien überflüssig. Die Übersetzung aber lobt er, wenn auch etwas lapidar, als "schön", und so bekommt man den Eindruck, er ist alles in allem sehr angetan von diesem Buch.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 23.03.2000

Dieter Borchmeyer geht in seiner Besprechung ausführlich auf die Gründe ein, warum Louis-Sébastien Mercier als "Rousseau der Gosse" geschmäht wurde. Denn Mercier hat sich weit weniger für die Paläste und Bürgerhäuser als vielmehr für die Gassen, Gossen, Gruben und Gräben seiner Heimatstadt Paris interessiert, sozusagen im wahrsten Sinne des Wortes ein anrüchiges und abgründiges Bild der Stadt gezeichnet. Sein "Tableau de Paris" besteht aus insgesamt 1000 Kapiteln, von denen Wolfgang Tschöke etwa ein Zehntel übersetzt und ausgewählt hat. Borchmeyer moniert allerdings, daß der ansonsten wunderschönen bibliophilen Neuauflage dieses Buches Fotos (von Atget und Bayard) zur Seite gestellt wurden, die das Paris des späten 19. statt des 18. Jahrhunderts zeigen. "Einen Gewinn" findet er hingegen den Abdruck eines Fragment gebliebenen, dramatischen Versuchs Schillers, dem Merciers "Tableau" als Vorlage gedient hat.