Martin Caparros

Wir haben uns geirrt

Roman
Cover: Wir haben uns geirrt
Berlin Verlag, Berlin 2010
ISBN 9783827008398
Gebunden, 336 Seiten, 22,00 EUR

Klappentext

Aus dem Spanischen von Sabine Giersberg. Caparros hat über ein längst nicht aufgearbeitetes Kapitel argentinischer Geschichte geschrieben. Der Erzähler Carlos - gebrochen, zweifelnd, mal ätzend scharf, mal melancholisch im Ton - ist ein faszinierender, vielschichtiger Antiheld. Seine Geschichte ist die einer (nicht nur argentinischen) Generation, die daran glaubte, die Welt zu verändern, am Anfang eines gerechten Zeitalters zu stehen, und kläglich gescheitert ist. Carlos' Kampf fand 1977 jäh ein Ende, als seine Frau verhaftet wurde. Ihr Schicksal ist seitdem ungeklärt. Resigniert sieht er zurück, zweifelt an den alten Idealen. Richtet er seinen Blick auf das heutige Argentinien, packt ihn ohnmächtige Wut. Die Frage nach dem Sinn politischer Militanz und Utopien, nach Aussöhnung oder Vergeltung lassen ihn nicht los. Er trifft sich mit den Tätern von damals - vermeintliche Sieger, die dennoch nicht unbeschadet aus dem Krieg hervorgegangen sind. Dann stößt er auf die Geschichte eines Pfarrers, der den Folterern all abendlich den Segen erteilte ...

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.12.2011

Wir haben uns geirrt? Und wie! Rezensent Walter Haubrich kann eigentlich niemanden entdecken, der sich nicht geirrt hätte in diesem Roman des Ex-Montoneros Martin Caparros. Caparros spart keinen aus: Das argentinische Militär, die Kirche, die Reichen, und sogar unter den Guerrilleros benennt er die, die idealistisch die anderen ins Feuer schickten. Dass hinter der Hauptfigur, die diese Abrechnung vornimmt, der Autor selbst steckt, bleibt Haubrich nicht verborgen. Dem Versuch, zu klären, was bei so vielen revolutionären Strömungen falsch läuft, steht das offenbar nicht im Weg. Exemplarisch erscheint Haubrich, wie der Autor eine idealistische Utopie, ihr Scheitern und die darauffolgende Melancholie beschreibt, manchmal überzeichnend, doch meistens glaubhaft repräsentativ und leider immer noch höchst aktuell.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 05.10.2010

An der Kulissenhaftigkeit des Sozialen, der Kargkeit der gesellschaftlichen Realität in diesem Roman des Argentiniers Martin Caparros stört sich Christian Thomas nicht. Als eine mehr Fragen als Antworten provozierende Rekonstruktion von Schuld und Sühne vor dem Hintergrund der barbarischen Junta im Argentinien der 70er versorgt ihn das Buch im Gegenzug mit jeder Menge suggestiven Momente und Ereignisse in effektvoll inszenierten Passagen. Die Figur des Rächers erscheint hier als zwanghaft Getriebener, Moral generell abwesend. Und doch, bei aller Drastik: Die von Caparro beschriebene Selbstgerechtigkeit in der Suche nach Wahrheit hält Thomas für moralisches Dynamit in den Erinnerungsdiskursen Argentiniens.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 04.10.2010

Andreas Breitenstein bewundert den Mut und die Kunst von Martin Caparros, dem es laut Rezensent mit diesem Roman eine vielschichtige Auseinandersetzung und eine Revision der Zeit der argentinischen Militärdiktatur gelingt. Nicht wie so oft als Kampf Gut gegen Böse inszeniert der Autor die Geschichte, sondern als Aporie aus lauter unbeantworteten Fragen. Dass der Text den Mythos verlässt und zu einer Beurteilung kommt, die beiden Seiten, der Revolution wie dem Staatsapparat, Machtwillen unterstellt und sie so einander annähert, öffnet dem Rezensenten die Augen. Umso mehr, als Caparros keinen Thesenroman verfasst hat, wie Breitenstein erleichtert feststellt, sondern die dialogisch kunstvoll entwickelte Geschichte einer Erkenntnis, mit einem Helden auf der Fährte von Geschichtsverfälschung und Sinn und Sinnlosigkeit im Tod und in der Rache. Gegen die Versuchung, der Figur, die zu verstehen versucht, revisionistische Tendenzen zu unterstellen, so erklärt uns der Rezensent, legt der Autor seinen Text als "offenes System" an und den historischen Komplex neu frei.