Martin Walser

Muttersohn

Roman
Cover: Muttersohn
Rowohlt Verlag, Reinbek 2011
ISBN 9783498073787
Gebunden, 512 Seiten, 24,95 EUR

Klappentext

Wovon handelt dieser Roman? Es ist leichter zu sagen, wovon er nicht handelt. Er handelt also von allem. Er handelt von 1937 bis 2008, kommt nicht aus ohne Augustin, Seuse, Jakob Böhme und Emanuel Swedenborg, handelt aber vor allem von Anton Percy Schlugen, von ihm und mit ihm und durch ihn. Seine Mutter tauft ihn Anton, nennt ihn Percy, selber heißt sie Josefine Schlugen, wird Fini genannt. Sie ist Schneiderin, lebt, auch als sie mit einem Mann zusammenlebt, allein. Jahrelang schreibt sie Briefe an Ewald Kainz, der auf den Stufen des Neuen Schlosses in Stuttgart eine politische Rede hielt. Die Briefe schickt sie nicht ab, sie liest sie ihrem Sohn vor und vermittelt ihm so, dass zu seiner Zeugung kein Mann nötig gewesen sei. Mit diesem Glauben lebt Percy.
Er wird Krankenpfleger im psychiatrischen Landeskrankenhaus Scherblingen, wird gefördert von Professor Augustin Feinlein, der das Krankenhaus leitet und der seinerseits aus der Aussichtslosigkeit einer nicht geglückten Liebe in den Glauben flieht. Als Patient wird, nach einem Selbstmordversuch, Ewald Kainz eingeliefert. Der ist nach einer deutlich politischen Biografie Motorrad-Lehrer geworden. Percy ist inzwischen berühmt, weil er keiner Weltvernunft zuliebe verzichtet auf die von Mutter Fini in ihn eingegangene Botschaft vom Kind ohne leiblichen Vater. Er will, was er glaubt, nicht verbreiten, aber er will glauben dürfen, was er glaubt. Er sucht keinen Vater, aber er findet mehr als einen.
Und er wird auch berühmt, weil er zu den Menschen sprechen kann, wie zu ihnen noch nicht gesprochen wurde. Als er von Professor Feinlein zum ersten Mal aufgefordert wird, öffentlich zu reden, sagt er: "Aber vorbereiten tu ich mich nicht. Das fänd ich gemein, vorbereitet zu sprechen zu unvorbereiteten Menschen." Der Professor sagt ihm, da könne er sich auf Sokrates und Christus berufen. Dieses ungeschützte, ganz aus dem Augenblick stammende Sprechen macht Percy berühmt in einer Welt, in der alles in Vorbereitung und Konservierung untergeht.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 19.07.2011

Etwas ungläubig und nicht wirklich froh blickt Roman Bucheli auf die jüngsten Erweckungs- und Erlösungsfantasien in Martin Walsers neuem Roman. Im Zentrum dieses Buches steht der angeblich vaterlos gezeugte Percy, der als Krankenpfleger in einer psychiatrischen Klinik seine Patienten in Verzückung bringt, erfahren wir. Walser lässt seine messianische Hauptfigur ziemlich viel reden und mitunter kommt dabei vor allem Geplapper heraus, so der Rezensent wenig beeindruckt. Dafür sieht er sich vom auktorialen Erzähler dazwischen mit packenden Lebensgeschichten und Charakterbildern der anderen Figuren beschenkt, was ihn für mancherlei mystizierendes Gerede entschädigt. Trotzdem scheint ihm alles in allem Walser in diesem Buch ziemlich entrückt, und er sieht ihn in "ungeahnten Argumentationshöhen" entfleuchen, die nicht nur die "analytische Vernunft", sondern schließlich auch die "Poesie" zum Schweigen bringt, wie er unfroh konstatiert.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 15.07.2011

Judith von Sternburg hat Martin Walsers "vorläufiges großes Alterswerk" in den Händen gehalten, dessen Umfang und verwickelt  Handlung eine ausführliche Nacherzählung erfordern: Held des neuen Walserschen Großwerks ist Percy Anton Schlugen, mit dem uns Walser einen Christus und Parzival in einem sendet. Einen heiligen Tor, dessen Mutter steif und fest behauptet, sie habe keinen Mann gebraucht, um ihn zu bekommen, der in Talkshows predigt und seinen Vater und Erkenntnis in der Psychiatrie sucht: bei Patienten und Ärzten gleichermaßen. Sternburg lässt keinen Zweifel daran aufkommen, das dies alles sehr anspielungsreich erzählt ist, auch wenn sie dann die Botschaften etwas einfach findet (Talkshows sind blöd, Jasagen besser als Neinsagen, die Kenntnis christlicher Mystiker fördert die Ausgeglichenheit), kommt sie dann zu einer überraschenden Volte: Walsers Such nach einem liebevollen Helden ging ihr schon immer ein bisschen auf die Nerven, aber in dieser gesteigerten Form sei das nicht "impertinent", sondern - ja - "genial".

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 14.07.2011

Eine Sonderstellung innerhalb des Walserschen Werkes weist Burkhard Müller diesem Roman zu: Als "Altersapokryphe" versteht er das Buch, das seiner Auffassung nach weniger die Öffentlichkeit als den Autor selbst adressiert. Eine gehörige Portion Mystizismus sieht Müller hier ins Werk gesetzt und zur Schau gestellt, was dem Rezensenten doch sehr missfällt. Das dem dritten Teil des Romans vorangestellte Jakob-Böhme-Zitat (sinngemäß: Man brauch mich nicht zu verstehen, denn ich schreibe für mich) interpretiert der Rezensent als Walserschen Gestus der Überheblichkeit und des Trotzes, aber ebenso als tadelnswürdigen Versuch der "Unbelangbarkeitserschleichung". Die Romanhandlung betrachtet Müller ausgehend von einem Rückblick auf Walsers frühe Anselm-Kristlein-Trilogie. Denn eine der Hauptfiguren, der Anstaltsleiter Prof. Dr. Augustin Feinlein, sei gewissermaßen eine von allen notorischen Zwängen befreite Variation Anselm Kristleins. Für zentraler aber hält der Rezensent die Figur des Percy Anton Schlugen, den titelgebenden Muttersohn, bei dem es sich um einen modernen Jesus handle. Walsers um ihre biblische Patina beraubte Version der christlichen Heilsgeschichte kann der Kritiker allerdings bloß als "ziemlich banalen Menschenkitsch" abtun, während er das Buch insgesamt als "nicht gelungen" einstuft.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 14.07.2011

Bei bester Laune hat Rezensent Adam Soboczynski Martin Walser in diesem Roman erlebt, denn wenn auch andere Autoren im Alter zu formaler Strenge neigen, pflege Walser eher die menschenfreundliche Heiterkeit. Sehr verspielt geht es also bei "Mutttersohn" zu, biografisch und sehr anspielungsreich. Der Roman erzählt vom "anmutigen und würdevollen" Percy Anton, der angeblich ohne Vater gezeugt wurde und in seiner edlen Einfalt sowohl einem Talkshow-Publikum wie auch den Patienten in der Nervenklinik, in der er als Pfleger arbeitet, Trost und Glauben spendet. Um diesen Percy Anton herum baut Walser etliche Ärzte und Patienten, deren psychische Probleme Walser freudig entfaltet, wie sich Rezensent Soboczynski freut, denen er aber auch das "Glück gnädiger Vernebelung" zuteil werden lässt.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 09.07.2011

Sichtlich beeindruckt ist Felicitas von Lovenberg von diesem jüngsten Großroman Martin Walsers. Einerseits lässt sich dieses "Hauptwerk voller Hauptfiguren" (Lovenberg) offenbar ganz gut entlang seiner in typischer Walser-Manier mit leicht bizarren und sprechenden Namen versehenen Protagonisten sortieren: Da ist zum einen Anton Parcival ("Percy") Schlugen, Therapeut, der durch Anwesenheit heilt, Sohn einer Mutter, jedoch angeblich keines Vaters. Nicht Herzeloyde freilich ist der Name der Mutter, sondern Josefine, Fini genannt. Die sieht Lovenberg zwar im innersten Zentrum des Werks, jedoch sei Percy die der Leserin und dem Leser stärker ans Herz wachsende Figur. Dann gibt es noch Professor Augustin Feinlein, den man aus der vorausgekoppelten Novelle "Mein Jenseits" schon kennt, sowie einen Herrn Ewald Kainz als "der Verneinte". Groß sind die Themen (Mystik, "Massensterben", Arno Schmidt), auch geht es irgendwie gegen die Walser nicht freundlich gesinnte Kritik. Zu deren Vertretern Felicitas von Lovenberg sicher nicht zählt: "Als Evangelium stellt dieses Werk keine Frage - es ist."
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