Maylis de Kerangal

Eine Welt in den Händen

Roman
Cover: Eine Welt in den Händen
Suhrkamp Verlag, Berlin 2019
ISBN 9783518428573
Gebunden, 269 Seiten, 22,00 EUR

Klappentext

Aus dem Französischen von Andrea Spingler. Eine junge Frau, Paula Karst, entschließt sich, ihre Heimatstadt Paris zu verlassen und nach Brüssel umzusiedeln: Dort besucht sie die Akademie für angewandte Kunst und lernt, auch die schwierigsten Aspekte der Wirklichkeit mit der Hand täuschend nachzuahmen. Da solche Fähigkeiten in einer Zeit, die sich mit Surrogaten zufriedengibt, en vogue sind, ist sie ständig mit der termingerechten Erfüllung ihrer Aufträge beschäftigt: Mal ist ihre Kunst in Russland gefragt, mal soll sie in Paris die entsprechend luxuriösen Apartments illuminieren, schließlich bricht sie nach Rom auf, in das Reich der Cinecittà, um an der Illusion von Wirklichkeit zu arbeiten.Doch die Serienproduktion von geschäftlichen Erwägungen dienenden Nachahmungen ist ihr nicht Herausforderung genug: Deshalb beschließt sie, sich bei den Nachbildungen der berühmten Höhlen von Lascaux (Entstehungszeit: zwischen 17000 und 15000 v. Chr.) in der Dordogne zu engagieren. Die Aufgabe unterscheidet sich zunächst in nichts von den gängigen, den Effekt der Realität erzeugenden Zeichnungen. Während der Arbeit an der millimetergenauen Rekonstruktion der berühmten Wandmalereien drängen sich ihr allerdings unabweisbare Fragen auf: Kann man als Gegenwartsmensch prähistorische Gemälde reproduzieren, müsste man sich dafür nicht in einen Urzeitmenschen verwandeln? Oder ist umgekehrt die Rettung der Zeichnungen durch Vortäuschung das einzige Gegenmittel zum die (Um-)Welt zerstörenden Lebensstil? Ist eine Welt, die jederzeit und überall zuhanden ist, nicht notwendigerweise dem Untergang geweiht? Gibt es überhaupt noch einen eindeutigen Unterschied zwischen Realität und Nachahmung, zwischen harten Fakten und inszenierten Illusionen, zwischen Nachrichten und fabrizierten Meldungen?

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 26.10.2019

Über das Unterscheiden von Echtheit und Simulation lernt Joseph Hanimann eine Menge in Maylis de Kerangals Roman. Ihr Thema reizt die Autorin in ihrer Darstellung eines Künstlerinnenlebens in alle Nuancen "zielsicher" und "souverän komponiert" aus, meint er. Dass die Figur im Buch, die ihr Leben der Kunst des Trompe-l'oeil widmet, differenziert erscheint, liegt für Hanimann an der empathischen Figurenzeichnung. Die Motivführung findet er ebenso überzeugend. Dass einige Episoden konstruiert wirken, findet er dagegen verzeihlich.
Lesen Sie die Rezension bei buecher.de

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 19.07.2019

Rezensent Roman Bucheli kommt beim Lesen von Maylis de Kerangals Roman nicht nur die malende Heldin mit dem doppelten Blick zusehends abhanden, auch das Sehen scheint plötzlich zweifelhaft. Was die Wirklichkeit, was die Illusion ist, wird im Text, wird der Figur und wird dem Rezensenten nicht unbedingt deutlicher, warnt Bucheli. Die Geschichte einer begabten Malerin mit Extropie erzählt die Autorin laut Bucheli subtil, elegant, virtuos und mit spürbarer Liebe zur Kunst. Die Übersetzung von Andrea Spingler findet Bucheli souverän.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 27.06.2019

Rezensentin Meike Feßmann hat mit Maylis de Kerangals "Eine Welt in den Händen" die ideale Urlaubslektüre gefunden. Paula heißt die Hauptprotagonistin, sie ist seit ein paar Jahren mit der Schule fertig und will nun Dekorationsmalerei studieren, lesen wir. Auf der Universität lernt sie Jonas und Kate kennen, mit denen sie noch lange eine enge Freundschaft verbinden wird. Gemeinsam üben sich die Drei im Umgang mit Farbe, Material und Gegenstand, gleichzeitig werden sie mit der zunehmenden Proletarisierung des Kunsthandwerks im Zeitalter der Digitalisierung konfrontiert. Auf diese Weise so Feßmann verhandelt der Roman die Frage nach dem "Stellenwert der Nachahmung" sowie ihres Erschaffers, des Kunsthandwerkers. "Eine Welt in den Händen" ist jedoch nicht nur eine Geschichte über das Erwachsenwerden und das internationale Kunstprekariat, sondern auch über die Naturgeschichte und ihre Kontaktpunkte zur Kunst des Menschen. Feßmann findet es geschickt, wie Kerangal diese drei Ebenen miteinander verbindet. Alles in allem fühlt sich die Rezensentin gut unterhalten und geistig gerade genug gefordert, um diesen leichten, flüssig geschriebenen und elegant übersetzten Roman als angenehme Lektüre für den Strand zu empfehlen.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 21.06.2019

Zunächst einmal lernt Rezensent Christoph Vormweg die Welt der Dekorationsmaler kennen in diesem Roman der französischen Autorin Maylis de Kerangal. Denn Kerangal hat die Angewohnheit die von ihr eroberten Lebenswelten detailreich zu beschreiben, freut sich der Kritiker, der hier das erste Mal von "Wimmerwuchs" und "Maserknolle" hört. Er folgt hier der jungen Paula, die das "behütete" Zuhause verlässt, um sich in Brüssel zur Dekorationsmalerin ausbilden zu lassen, erfreut sich an alten Fresken oder den prähistorischen Wandmalereien der Höhlen von Lascaux und vernimmt immer wieder auch die Töne der "existentiellen Suche", die den Roman grundieren. Nicht zuletzt bewundert er den Rhythmus und die assoziationsreiche Sprache, die Andrea Spingler seiner Meinung nach grandios ins Deutsche übertragen hat.