Mela Hartwig

Das Weib ist ein Nichts

Roman
Cover: Das Weib ist ein Nichts
Droschl Verlag, Graz - Wien 2002
ISBN 9783854206156
Gebunden, 189 Seiten, 19,00 EUR

Klappentext

Mit einem Nachwort von Bettina Frails. Hinter dem provokanten Titel, der den Tagebüchern Friedrich Hebbels entnommen ist und die rückschrittlichsten Theorien etwa Otto Weiningers zu unterstreichen scheint, verbirgt sich ein eigentümlicher, fiebriger Roman (erstmals erschienen 1929): Bibiana geht durch die Hände verschiedener Männer, die sie jeweils völlig neu formen, die ihr eine vollständig andere Identität verleihen, vom Namen bis zu ihrem Auftreten. In vollkommener Passivität nimmt sie diese unterschiedlichen Schicksale an, läßt sie diese Einschreibungen über sich ergehen. Krass wie in einem Kolportageroman sind diese Existenzen: sie ist nacheinander das Werkzeug eines Hochstaplers, die Muse eines armen Komponisten, die Geliebte eines reichen Geschäftsmannes und die Gefährtin eines sozialistischen Arbeiterführers.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.01.2003

Spannend und doppelbödig findet die Rezensentin Gisa Funck diesen 1929 erstmals veröffentlichten Roman. Sie entdeckt in der Erzählung um die Protagonistin Bibiana und ihre schwierigen Männerbeziehungen Ebenen, die in früheren Kritiken des Buches eher wenig Beachtung fanden. Dem Titel entsprechend wurde sie in den damaligen Rezensionen oft als Opfer dargestellt, doch Funck findet, dass dieser Ansatz nur die halbe Wahrheit ist: "Tatsächlich übt sie unter dem Deckmantel unterwürfiger Sorge auf ihre Geliebten entscheidenden, ja geradezu fatalen Einfluss aus." Die Anpassung von Bibiana bleibt nach Ansicht der Rezensentin vordergründig. Doch Funck spart auch nicht mit Kritik: um dem Motiv der Besessenheit, das sich durch das Buch zieht, Ausdruck zu verleihen, habe sich Mela Hartwig oft "schon damals abgegriffener Bilder" bedient. Die Geschichte "strotzt vor Superlativen", was dem Roman oft einen kitschigen Anstrich gibt, meint Funck. Und doch findet sie das Buch am Ende durchaus lesenswert: "Dem Sog dieser höchst beunruhigenden Parabel auf die zerstörerische Macht männlicher Manipulation aber kann man sich nur schwer entziehen."
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 14.01.2003

Mela Hartwig, Wiener Jüdin, arbeitete zunächst als Schauspielerin, bis sie auf Vermittlung von Alfred Döblin mit ihrem Erzähldebüt "Ekstasen" für Furore sorgte, informiert Rezensentin Yvonne Gebauer. Auch Hartwigs erster Roman "Das Weib ist ein Nichts" von 1929, der nun wieder aufgelegt wurde, war ein solcher Erfolg, dass MGM schon überlegte, ihn mit der Garbo zu verfilmen. Wie wir von Gebauer erfahren, erzählt die Autorin darin die Geschichte vom nichtigen Weib, das - gepflegt, eitel, schwach - gleichbleibend naiv seinem Spiegelbild und seinem unentrinnbaren Schicksal (Männern) zulächelt. Doch zunehmend wandelt sich das Spiel dieser Figurine vor dem Hintergrund des wirtschaftlich, moralisch, politisch tief in der Krise steckenden Europas ins Monströse, wie die Rezensentin zusammenfasst, der "Ausbruch aus dem Puppenheim" missglückt. Gebauer kann dieser unbehaglichen Beschreibung von Männerfantasien und Frauenrollen zwar sehr viel abgewinnen, doch hätte sie sich von diesem allzu tödlichen Roman etwas mehr Subversion gewünscht - oder wenigstens ein wenig mehr Bejahung.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 14.01.2003

"Ein Frauenroman gegen die Frau" befand das Neue Wiener Journal nach Erscheinen des Buchs, und auch die Rezensentin Dorothee Wenner meint, der Roman eigne sich bestens, um sich mit der besten Freundin darüber zu streiten. Das Buch ist schnell gelesen, so Wenner, verfasst im atemlosen Stil der zwanziger Jahre, mit einer flotten Handlung versehen, die wenig Raum für atmosphärische Eindrücke, Stimmungen, innere Betrachtungen lasse. Hartwig hat mehr Typen als Charaktere geschaffen, behauptet Wenner. Das sei nicht weiter schlimm, sondern der eigenen Erkenntnis eher zuträglich, da Hartwig über einen "Röntgenblick" verfüge, vor allem was die Beziehungen zwischen Geschlechtern angeht. Die Protagonistin des Romans wandert von einem Mann zum nächsten, fasst Wenner die Handlung zusammen, und jeder dieser Männer versuche sie zu formen, während sie sich "lustvoll" in die "Selbstaufgabe" begebe. Ein Phänomen, das für Wenner auch heute noch häufig zu beobachten ist. Die Rezensentin berichtet vom Schicksal der 1938 nach England emigrierten Autorin, die dort als Schriftstellerin nie Fuß fassen konnte und bis zu ihrem Tod 1967 keinen Verlag mehr fand.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 14.11.2002

Hans-Peter Kunisch muss sich bei der Kritik dieses 1929 erstmals erschienenen Romans erst einmal Ärger von der Seele schreiben: "peinlich, irreführend" sei es, dass auch in dem Nachwort dieses Romans nirgends erklärt wird, dass die Autorin keineswegs die Tochter des bekannten Zionisten Theodor Herzls ist, als die man sie im Nachwort des wiederaufgelegten Romans "Bin ich eine überflüssige Frau" ausgegeben hatte. Dann wendet er sich dem Romanerstling der Autorin zu, und hier zumindest findet er Interessantes, wenn auch Irritierendes. Die Geschichte der Bibiana, die sich verschiedenen Männern unterwirft und am Ende erkennt, immer nur Geliebte gewesen zu sein, findet der Rezensent zwar "oft unerträglich exaltiert" und in ihrem expressionistischen Sprachgestus schon zur Zeit ihres Erscheinens überholt. Trotzdem lobt Kunisch das Buch als "lesenswert" und bezeichnet es gar als "erstaunliches, irritierendes Ereignis". Das liegt vor allem daran, dass die Protagonistin nicht von Anfang an die Erkenntnis "vor sich her trägt", durch ihre Hingabe an verschiedene Männer nie zu sich selbst gekommen zu sein, sondern erst leidvoll durch alle ihre "ekstatischen Demutsfantasien" hindurch muss, von denen in dem Roman die Rede ist. Also trotz aller "stilistischen Patzer" und dieses letztlich "verhobenen" ersten Romans eine "zu Recht wiederentdeckte" Schriftstellerin, so der Rezensent überzeugt.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 12.10.2002

Als 1929 der Roman "Das Weib ist ein Nichts" der 1893 in Wien geborenen Schriftstellerin Mela Hartwig erstmals erschien, wurde er mit großer Beachtung zur Kenntnis genommen, berichtet Christiane Zintzen. Die Rezensentin zeigt sich erfreut darüber, dass das Werk Hartwigs nach und nach von verschiedenen Verlagen wiederaufgelegt wird. In diesem "expressiven Reißer" sucht die Autorin laut Zintzen das Leben und Leiden einer Frau mit Namen Bibiane zu illustrieren. Die geht im Laufe ihres Lebens "als willfähriger Hohlkörper" Beziehungen mit vier Männern ein und entsprechend unerkannt darin auf. Die "Wesenlosigkeit" dieser Bibiane erinnert die Rezensentin an die Theorien des Philosophen Otto Weininger, und zwar so sehr, dass ihr dieses Buch beinahe wie eine nähere Beschreibung zu Weiningers Studie "Geschlecht und Charakter" von 1903 erscheint. Allerdings, hält Zintzen der Autorin zugute, werde hier "konturiert", nicht "diskutiert". Politisch "brisant" findet die Rezensentin außerdem, dass das Ende der Bibiane in einer Straßenschlacht stark an den Brand des Wiener Justizpalastes im Jahr 1929 angelehnt sei und Hartwig damit "lesens- und bedenkenswerte" "historische Chiffren" gesetzt habe.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 09.10.2002

Die besondere Qualität dieses 1929 erstmals erschienenen Romans von Mela Hartwig über eine Frau, die ganz in ihren verschiedenen Beziehungen mit Männern aufgeht, sieht Hannelore Schlaffer gerade darin gegeben, dass er "mehrere" und einander "widersprüchliche" Lesarten, nämlich feministische, gesellschaftskritische, empathische und aggressive, geradezu "provoziert". Die Protagonistin, eine "Figurine", geht nacheinander, informiert die Rezensentin, Liebesverhältnisse mit einem Spion, einem Musiker, einem Unternehmer und einem Revolutionär ein und endet unter den Hufen von Polizeipferden. So "wesenlos" "Figurine" wirke, so sehr sieht Schlaffer diese "Wesenlosigkeit" als Konstrukt und Projektionsfläche für die Charakterlosigkeit der jeweiligen Männer. Alle vier stünden sie für die Verhältnisse in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen: für die Politik, die Kunst, die Wirtschaft und schließlich die Revolution. Die Rezensentin ist ob dieser Finessen beeindruckt und fest überzeugt, dass das "Diktum" dieses Werks nur eine grundlegende Prämisse erlaube: Zwar sei das Weib ein Nichts, aber nur deswegen, weil nichts sei als das Weib, sinniert Schlaffer.