Michail Schischkin

Venushaar

Roman
Cover: Venushaar
Deutsche Verlags-Anstalt (DVA), München 2011
ISBN 9783421044419
Gebunden, 560 Seiten, 24,99 EUR

Klappentext

Aus dem Russischen von Andreas Tretner. Warum haben Sie Asyl beantragt? Diese Frage muss der namenlose Erzähler mehrfach täglich ins Russische übersetzen. Er arbeitet als Dolmetscher für die Schweizer Einwanderungsbehörde bei Vernehmungen von Flüchtlingen aus der ehemaligen Sowjetunion. Doch beim Übersetzen des fremden Leids legt sich seine eigene Lebensgeschichte wie eine zweite Schicht um die Worte. Auch er ist ein Emigrant, der sich nach denen sehnt, die er nicht mehr um sich hat: nach seiner Frau und seinem Kind. Und plötzlich treten dem Dolmetscher neben seinen eigenen Erinnerungen und Gefühlen auch Geschichten aus anderen Welten und Zeiten entgegen. Schischkin erzählt ein Jahrhundert russischer Geschichte und bettet außerdem das Leben des Dolmetschers durch Verweise in einen Kosmos der gesamten Weltkultur ein.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 20.07.2011

Nach der Lektüre von Michail Schischkins Roman "Venushaar" fordert Rezensent Lothar Müller: dieser Autor sollte auch hierzulande unbedingt entdeckt werden. Denn Schischkin wandle nicht nur auf den Spuren Nikolai Gogols, sondern nehme den Leser auch mit auf eine Reise durch die russische Geschichte zwischen russischer Revolution und Tschetschenien-Krieg. Dabei beschreibe der Autor die Schrecken der Historie nicht realistisch, sondern setze ganz auf Vorstellungskraft. Vor den Augen des Protagonisten - aufgrund seiner Tätigkeit als Übersetzer der Einwanderungsbehörde nur "der Dolmetsch" genannt - werden in seinen Akten verschiedene Schicksale lebendig: mal berichten Zivilisten mit zerfetzten Gliedmaßen von Busexplosionen, mal schildern Soldaten die Grausamkeitsrituale des Zweiten Weltkrieges. Zugleich tritt aber auch eine russische Sängerin auf, die sich an das Russland Tolstois, an Theater und Kino und nicht zuletzt an ihre eigene, tieftraurige Liebesgeschichte erinnert. Der Aufgabe, diesen Stimmenchor zwischen Bibelsprache und Verhörprotokoll, elegischer Liebeserinnerung und "hart-vulgärem Landserton" ins Deutsche zu übersetzen, werde Andreas Treter mit Bravour gerecht, so der Kritiker.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.06.2011

Sabine Berking scheint ein bisschen orientierungslos. Die viel gelobte Komplexität dieses Romans des im Dostojewski-Ton schreibenden russischen Exilschweizers Michail Schischkin bereitet ihr nicht selten Kopfschmerzen. Es geht nicht nur um ein kafkaeskes Behördenlabyrinth, in das sich das Alter Ego des Autors im Zürcher Exil verirrt, um eine gescheiterte Ehe, eine Xenophon-Lektüre des Helden und die Tagebücher der russischen Gesangsikone Isabella Jurjewa. Beschwerlich wird das Lesen der Rezensentin zusätzliche durch die eigentlich gut gemeinten Anmerkungen des Übersetzers zu den vielen historischen und literarischen Anspielungen des Autors. Obgleich der Text "meisterhaft" übersetzt ist, wie sie schreibt, zeigt sich Berking von seiner Lektüre am Ende doch recht erschöpft.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 15.06.2011

Ziemlich anstrengend findet Rezensentin Christiane Pöhlmann diesen Text des russischen Autors Michail Schischkin, der sie für ihre Lektüremühen letztendlich auch nicht entschädigte. Ein Labyrinth aus Motiven, Szenen und Momenten errichtet Schischkin mit diesem Text, unzählige Figuren aus Mythos und Literatur treffen aufeinander, es geht um russische Flüchtlinge in der Schweiz, Paradiese und Nebenparadiese, Daphnis in der Moskauer Metro und Agatha Christies "Zehn kleine Negerlein". Aber wird das je mehr als Selbstzweck? Die Rezensentin ist sich da nicht sicher. Zur gekonnten Verflechtung all seiner Geschichten fehle dem Buch der "erzählerische Drive", immer behalte in diesem "literarischen Wimmelbild" die Form über den Inhalt die Oberhand. Negativ zu Buche schlagen für Pöhlmann auch Schischkins Hang zum Esoterischen und ein "ärgerliches Frauenbild".

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 12.03.2011

Für einen großen, als Romanschriftsteller hierzulande noch zu entdeckenden Autor hält Ulrich M. Schmid den in der Schweiz lebenden Russen Michail Schischkin. Nicht weniger als ein Meisterwerk ist, glaubt man dem Rezensenten, dieser komplex vielschichtige Roman "Venushaar". Im Zentrum steht eine "Dolmetsch" genannte Figur mit autobiografischen Zügen, ein Übersetzer, der im Auffanglager für russische Flüchtlinge im Schweizer Grenzort Kreuzlingen tätig ist und als solcher die oft drastischen, meist realen, wenn auch nicht immer von ihren Erzählern selbst erlebten Gräuelgeschichten weitergibt. Außerdem gibt es noch einen Strang, in dem das Leben einer Sängerin in fiktiven Tagebucheinträgen dargestellt wird. Hinzu kommt die offenbar sehr autobiografische Geschichte einer scheiternden Ehe, überdies als Paralleltext die "Anabasis" des Xenophon. All das aber verstehe der Autor auf faszinierende und raffinierte Weise miteinander zu verbinden. Darum handle es sich um einen "der wichtigsten Romane der russischen Gegenwartsliteratur".