Oleg Postnow

Angst

Roman
Cover: Angst
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2003
ISBN 9783871344541
Gebunden, 316 Seiten, 19,90 EUR

Klappentext

Aus dem Russischen von Ganna-Maria Braungardt. Ausgerechnet in einem Antiquariat in New Jersey stößt ein russischer Bücherfreund auf ein Manuskript in seiner Muttersprache. Der Text entpuppt sich als atemberaubendes Bekenntnis: ein Mann, der sich K. nennt, erzählt die Geschichte seiner dramatischen Liebe. Sie beginnt in einem Sommer im Herzen der Ukraine, als K. erst elf Jahre alt ist. Dem Jungen erscheint nachts eine Frau in Weiß. Sein Großvater schweigt sich über den Spuk aus, doch hört K. im Dorf allerlei Gerüchte und Legenden, die auf ein dunkles Familiengeheimnis verweisen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.07.2004

Edgar Allan Poe behauptete seinerzeit steif und fest, einmal in Sankt Petersburg gewesen zu sein, und Oleg Postnow nimmt ihm beim Wort. Russische Schriftsteller, meint der Rezensent Elmar Schenkel, haben ohnehin einen Riesenvorteil: Sie kennen den westlichen Kanon, was man umgekehrt nicht behaupten kann. Und so wimmelt es hier nur so von Verweisen auf Proust, Nabokov, Keats, Donne, Blake, Wilde, Hölderlin und Tieck, was aber nicht der Hauptgrund für den großen Lesegenuss des Rezensenten war. Denn "Angst", teilt er mit, ist vor allem eine intelligente, abgründige, literarische ambitionierte und dabei ausgezeichnet funktionierende - also angsteinflößende - Horrorgeschichte. Der ukrainische Erzähler, wohnhaft in New Jersey, beschäftigt sich mit Poe, stellt gespenstische Parallelen zu Gogol fest, denkt an Poes Sankt- Petersburg-Behauptung, erinnert sich an seine Kindheit in der Ukraine und ... eine alte Wunde öffnet sich erneut: "Die Wunde heißt Tonja und ist die Nichte einer ukrainischen Hexe." Und natürlich ist sie längst nicht geheilt. Postnow spanne "einen intertextuellen Rahmen auf, in dem das nun zu erzählende Geschehen in einem Zustand des Schwebens und Erinnerns gehalten wird", schreibt Schenkel und schwärmt von dem Verfahren der "dichten und poetischen Evokation", in dem Postnow Kindheitserinnerungen mit der Welt von Gogols ukrainischen Erzählungen - "jener farbig- gruseligen Exotik von Jahrmärkten, Zigeunern, weißen Frauen und uraltem Aberglauben" - verflicht. Und doch ist die Handlung sehr gegenwärtig: Der Erzähler wird Tonja wieder begegnen, und er wird der Lösung des Poe'schen Rätsel näher kommen. Und es wird nicht gut enden.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 08.05.2004

In Oleg Postnow hat die zeitgenössische russische Literatur wohl ihren "auffallendsten Sonderfall", bemerkt Rezensent Thomas Grob. Und seinen offensichtlichen Bemühungen, "möglichst unmodern zu sein", tue auch die vorliegende Erzählung "Angst" keinen Abbruch. Viel verraten möchte der Rezensent aber nicht von der phantastischen Geschichte um die geheimnisvolle Lebensgeschichte eines anonymen Erzählers, nur soviel, dass die Visionen aus seiner Kindheit - eine "weiße Frau" und Tonja, die Großnichte einer Hexe - sein Leben immer wieder durchziehen und bestimmen. Postnow liegt daran, so Grob, "an den Grenzen des Realen zu rühren". Dies findet der Rezensent allerdings nur bedingt gelungen: Zu "psychologisch" der Roman, zu "introvertiert und selbstbezogen" der Erzähler. Nicht zuletzt sei der Text durch und durch - und sogar in den intimsten Momenten - "gespickt mit literarischen Bezügen", die jedoch keinen wirklichen "Erkenntnisgewinn" bedeuten. Daraus ergibt sich für den Rezensenten aber auf einmal ein anderes Bild, in dem nicht die literarische Anspielung im Mittelpunkt steht, sondern in dem das "Verfangensein dieses Erzählers in der Literatur selbst zur Psychologie" wird. Daraus ergibt sich dann doch eine "packende Phantastik", die die "Faszination" des Lesers erzwingt, so der letztendlich doch sehr erfreute Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 12.11.2003

Thomas Fitzel sieht in Oleg Postnows Roman "Angst" eine äußerst gelungene Paraphrase auf Nabokovs "Lolita". Erzählt man den Romanstoff nach, dann klingt er banal und kitschig, bedauert Fitzel, beharrt aber darauf, dass es sich - wenn schon - um Kitsch im höheren Sinne handele und auf den höheren Sinn käme es eben an. Ersparen wir uns also die Nacherzählung der Romanhandlung, die Fitzel seltsam aus der Zeit gehoben vorkommt, als habe es die Sowjetunion nie gegeben. Geködert werden die Leser, verrät Fitzel, mit einem philologischen Fund (unerklärliche Motivparallelen bei Poe und Gogol), der auch den Skeptiker Feuer fangen lässt; einmal gefangen erliegt er den stilistischen Rückgriffen des Autors auf den romantischen Schauerroman ebenso wie dem Zauber alter Märchen und den Verlockungen des Nymphen-Themas. Mehr als geistreich unterhalten wolle Postnow gar nicht, meint Fitzel, und ebendies sei dem Autor hervorragend gelungen.