Steve Sem-Sandberg

Die Elenden von Lodz

Roman
Cover: Die Elenden von Lodz
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2011
ISBN 9783608938975
Gebunden, 651 Seiten, 26,95 EUR

Klappentext

Aus dem Schwedischen von Gisela Kosubek. In seinem Roman über das jüdische Getto in Lodz stellt Steve Sem- Sandberg die Frage nach den Mechanismen der Unterdrückung, dem Moment, in dem die Anpassung unerträglich wird. Auch für einen Verräter wie den starken Mann des Gettos, den Judenältesten Mordechai Chaim Rumkowski. "Die Elenden von Lodz" ist ein Roman mit vielen Stimmen. Er porträtiert neben der zentralen Figur Rumkowskis das Leben zahlreicher Gettobewohner und gibt ihnen so einen Namen und ein Schicksal.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 16.02.2012

Rezensent Ijoma Mangold stimmt ein in den Chor derer, die von Steve Sem-Sandberg Roman "Die Elenden von Lodz" so erschüttert wie bewegt sind. Der schwedische Autor erzählt darin die Geschichte des Gettos von Lodz, gestützt auf die vor einigen Jahren publizierte Chronik. Die kaum erträgliche Tragik der Geschichte besteht darin, dass die jüdische Selbstverwaltung, vor allem der Ratsälteste Chaim Rumkoswkis, der Propaganda der Nazis auf den Leim gingen und glaubten, Überleben zu können, wenn sie nur effizient genug arbeiteten. Dabei entwickelte Rumkowski eine Selbstherrlichkeit und Grausamkeit, die darin gipfelte, dass er die Kinder opfern wollte, um die Erwachsenen zu retten: "Gebt mir Eure Kinder!" Mangold versichert, dass Sem-Sandberg ein kluger und versierter Erzähler ist, der dank seiner ökonomischen Prosa jeder Gefahr entgeht, künstlerisch oder moralisch mit diesem fiktiven Holocaust-Roman zu scheitern.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 28.01.2012

Einen ambivalenten Eindruck hat Steve Sem-Sandbergs Roman um das Ghetto in Lodz bei Ulrich M. Schmid hinterlassen. Er macht sich zunächst einige grundsätzlichen Gedanken über die Legitimität der Fiktionalisierung des Holocausts. In diesem Zusammenhang hält er Sem-Sandberg zu Gute, einigen drohenden Gefahren entgangen zu sein: weder vereinnahme der Autor den Holocaust für seine Geschichte, noch mache er daraus ein Melodram oder eine Abenteuergeschichte. Im Mittelpunkt sieht Schmid die Frage nach der Selbstkorrumpierung der jüdischen Ghetto-Leitung. Die Umsetzung findet er allerdings nicht ganz überzeugend. Er moniert die zu starke Orientierung des Romans an der chronologischen Ghetto-Chronik. Dadurch entsteht bei ihm der Eindruck, dass die Schicksale der Protagonisten letztlich zu "Anschaungsbeispielen des allgemeinen Horrors degradiert" würden. Aber trotz dieser Problematik bietet das Werk in seinen Augen eine "erschütternde Lektüre".

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 14.10.2011

"Schmerzhaft gegenwärtig" hat Steve Sem-Sandberg dem Rezensenten Harry Nutt das Leben und Sterben im Getto von Lodz gemacht. Der schwedische Journalist und Autor Sem-Sandberg erzählt diese groß angelegte Geschichte zwischen Fiktion und Dokumentation wechselnd - aber nicht schwankend, wie Nutt betont -, und stützt sich dabei auf die mehr als tausend Seiten umfassende Gettochronik, die der Judenälteste Chaim Rumkowski in Auftrag gegeben hatte. Rumkowski ist auch die zentrale Gestalt des Romans, er glaubte, das Getto zu retten, indem er es produktiv halte, und half dabei, die Alten, Kranken und Kinder in den Tod zu schicken. Eine "epische Wucht" bescheinigt Nutt dem Roman, der mal lakonisch, mal voller Empathie von Leben und Sterben der Juden von Lodz erzählt.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 12.10.2011

Für Klaus Hillenbrand ist dieses Buch ein Denkmal für die Ermordeten von Lodz. Mehr als ein Roman ist es auch, weil der Autor sich realer Figuren bedient, Getto-Chroniken und die Reden der deutschen Schlächter montiert. Die zentrale Figur, Chaim Rumkowski, der Judenälteste in Lodz und damit oft Entscheider über Leben und Tod, erscheint Hillenbrand in der ganzen, der authentischen Gestalt eigenen Janusköpfigkeit. War er Erfüllungsgehilfe oder Retter? Beides, meint Hillenbrand, den der Text sichtlich mitgenommen hat. Mit dem Befreienden der Fiktion vermag das Buch nicht zu dienen, warnt er, auch nicht mit leichten Antworten, doch das "Panorama des Elends", das Peinigende, Verzweifelte des ohne Künstlichkeit Geschilderten und das Leid der Protagonisten kann es vermitteln.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 11.10.2011

Als "großen Wurf" feiert Rezensent Thomas Urban "Die Elenden von Lodz". Der Autor, der schwedische Journalist Steve Sem-Sandberg, stellt die ambivalente Figur des "Judenältesten" des Lodzscher Ghettos, Chaim Rumkowski, in den Mittelpunkt. Von den meisten Überlebenden als Verräter und Kollaborateur verurteilt, werde ihm heute auch von jüdischen Historikern zugestanden, dass er sich nach Kräften für das Überleben der Ghetto-Bewohner eingesetzt habe, erklärt der Rezensent. Auch für Sem-Sandberg, der hier historisch Belegtes mit Fiktion verbindet, ist Rumkowski eine zwiespältige Erscheinung, eitel und herrschsüchtig auf der einen Seite, verzweifelt bemüht, seine Schutzbefohlenen zu retten auf der anderen, legt Urban dar. Für ihn hat die klare, nüchterne Sprache des Autors den Effekt, das Grauen und Elend im Ghetto nur noch stärker zu akzentuieren. Sein Held lässt den Leser zwischen "Abscheu und Mitleid" schwanken, wie der Rezensent fasziniert feststellt. Zudem gelingt es Sem-Sandberg bis zuletzt, den Spannungsbogen zu halten und sogar noch zu intensivieren, lobt Urban, der dem schwedischen Autor einen besonderen Platz in der Holocaust-Literatur zuerkennt.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.09.2011

Nach der Lektüre von Steve Sem-Sandbergs in Schweden bereits 2009 erschienenem und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnetem Roman "Die Elenden von Lodz" bleibt Rezensent Andreas Platthaus bewegt, fast entsetzt zurück. Denn eines, das weiß Platthaus insbesondere nach einem Gespräch mit dem Autor, habe man während des Lesens immer im Hinterkopf: der hier am Beispiel des Gettos der polnischen Stadt Lodz in fiktionalisierter Form beschriebene Schrecken des Holocaust "musste damals als Alltag bewältigt werden". Die Detailgenauigkeit und die außergewöhnliche Vielstimmigkeit, die diesen Roman auszeichne, erreiche Sem-Sandberg durch seinen bewussten, auch stilistischen Rückgriff auf die Gettochronik, die die Bewohner des Gettos von 1941 bis kurz vor ihrer Deportation nach Auschwitz im Jahre 1944 verfassten. Zugleich, so der Rezensent, nehme sich der Autor die dichterische Freiheit, eigene Schwerpunkte zu setzen, um das Unbegreifliche vor allem psychologisch zu veranschaulichen: im Mittelpunkt des Romans stehe der Konflikt zwischen dem von den Besatzern mit absoluter Befehlsgewalt versehenen "Judenältesten" Rumkowski und seinem Adoptivsohn, der unter der Last, im Gegensatz zu anderen Kindern des Gettos durch die Position seines Vaters vor der Ermordung bewahrt zu werden, zerbricht.
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