Andrzej Bart

Die Fliegenfängerfabrik

Roman
Cover: Die Fliegenfängerfabrik
Schöffling und Co. Verlag, Frankfurt am Main 2011
ISBN 9783895612954
Gebunden, 259 Seiten, 19,95 EUR

Klappentext

Aus dem Polnischen von Albrecht Lempp. Ein geheimnisvoller Gast fordert einen polnischen Schriftsteller auf, in seine Heimatstadt Lodz zu fahren und als Beobachter an einem Gerichtsprozess teilzunehmen. Ein Teufelspakt? Es beginnt eine Wanderung zu einem Ort, an dem historische Gestalten in eine phantastische Welt treten. Angeklagt in einem fiktiven Prozess ist der Vorsitzende des Judenrats im Lodzer Ghetto, Chaim Rumkowski. Ein manischer Organisator, der im Glauben, die Lodzer Juden vor Auschwitz retten zu können, aus dem Ghetto ein prosperierendes Unternehmen machte, das nun zum Wohl des Dritten Reichs arbeitete - noch ein Teufelspakt? Der Stimmenchor der Zeugen und Opfer kreist um die Fragen nach historischer Schuld - denn letztlich bewahrte der selbst ernannte Retter niemanden, nicht einmal sich selbst, vor dem Tod: Was war Rumkowskis Motiv? Die Sorge um das Schicksal der Gemeinschaft oder Machtgier? Darf man Menschenleben gegeneinander aufrechnen?

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 03.08.2011

Rezensentin Katrin Hillgruber stellt wohlwollend diesen Roman des polnischen Autors Andrzej Bart vor, ohne aber ein explizites Urteil zu fällen. Er erzählt die dramatisch-tragische Geschichte Chaim Rumkowskis, des einstigen Königs des Ghetto von Lodz. Rumkowski gebärdete sich offenbar so herrisch, dass er - nach der Deportation aller Ghetto-Bewohenr nach Auschwitz - von seinen eigenen Leuten in den Verbrennungsofen gestoßen wurde. Bart inszeniert gegen Rumkowski nun einen Schauprozess, wobei er die schrecklichsten Gräuel immer wieder mit heiteren Episoden bricht und seinen aus der Rolle fallenden Portagonisten eine "Bunuelsche Eleganz" gewährt. An einen "dunkel oszillierenden Moire-Stoff" fühlt sich die Rezensentin erinnert, aber ob er ihr passt, das sagt sie nicht.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 07.05.2011

Tief bewegt ist Rezensent Andreas Breitenstein von Andrzej Barts Roman "Die Fliegenfängerfabrik" und der darin gestellten Frage: "Wie weit darf man gehen, um Menschen zu retten?". So weit etwa, wie der berüchtigte Textilfabrikant Mordechai Chaim Rumkowski, der das überfüllte Ghetto von Lodz in "Selbstverwaltung" nahm, um es als Produktionsstandort für Wehrmachtsausrüstung unentbehrlich zu machen? Der Pakt mit dem Teufel zeigt bald seine Konsequenzen, wie Breitenstein berichtet: Das Ghetto wird zum Zwangsarbeitslager, in dem sich unterernährte Menschen gegenseitig ausbeuten, Rumkowski wird von den Nazis gezwungen, Kontingente zur Deportation auszuwählen, schließlich wird das Ghetto 1944 endgültig geräumt. Wie Bart dieses "Kammerspiel um Schuld und Sühne" über die Grenzen des Wahrscheinlichen hinaus anordnet, ringt Breitenstein höchste Anerkennung ab: in einem furiosen "Showdown" wird Rumkowski ein "magisch-realistischer", multiperspektivisch geschilderter Prozess gemacht, in dem Bart neben einem gottgleichen Richter einen Chor von Experten, Opfern und Zeugen auftreten lässt, zu denen etwa die Philosophin Hannah Arendt oder der deutsche Ghetto-Verwalter Hans Biebow gehören. Nicht zuletzt Barts Gabe, das Apokalyptische immer wieder auch mit Heiterkeit zu verbinden, hat den Rezensenten fasziniert.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.02.2011

Schlichtweg großartig findet Rezensentin Marta Kijowska diesen Roman von Andrzej Bart. Der Versuchung, den Autor als polnischen Pynchon oder aber als Geheimtipp zu bezeichnen, entgeht sie, indem sie uns die Stärke und Faszination dieses Autors anhand seiner Fähigkeit beschreibt, eine ganze, geschlossene, wenn auch unmöglich erscheinende, doch reale Welt zu erschaffen. Barts spezielles Zeitverständnis (das Vergangene ist wesentlich) sowie sein freier Umgang mit historischen Personen scheinen der Rezensentin in dieser Geschichte eines fiktiven Prozesses um den Vorsitzenden des Judenrates im Getto von Lodz, Chaim Rumkowski, am rechten Platz zu sein. Vor Kijowskas Augen entsteht im Gerichtssaal ein traumartiger Mikrokosmos, das Jüngste Gericht, ein literarisches Welttheater, auf dem existentielle Fragen der Moral verhandelt werden, allerdings derart originell, wie sie findet, düster und doch unbeschwert, stilistisch brillant, mit humorvollen Dialogen, dass ihr Vergleichbares nicht einfällt.
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