Umberto Eco

Der Friedhof in Prag

Roman
Cover: Der Friedhof in Prag
Carl Hanser Verlag, München 2011
ISBN 9783446237360
Gebunden, 528 Seiten, 26,00 EUR

Klappentext

Aus dem Italienischen von Burkhart Kroeber. Der Italiener Simon Simonini lebt in Paris, und er erlebt aus nächster Nähe eine dunkle Geschichte: geheime Militärpapiere, die der jüdische Hauptmann Dreyfus angeblich an die deutsche Botschaft verkauft, piemontesische, französische und preußische Geheimdienste, die noch geheimere Pläne schmieden, Freimaurer, Jesuiten und Revolutionäre - und am Ende tauchen zum ersten Mal die Protokolle der Weisen von Zion auf, ein gefälschtes "Dokument" für die "jüdische Weltverschwörung", das dann fatale Folgen haben wird.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 22.10.2011

Durchwachsen findet Christiane Pöhlmann der neue Roman von Umberto Eco. Dass der Autor mit "Der Friedhof in Prag" nach eigenen Bekunden einen Roman mit "pädagogischer Absicht" geschrieben hat, scheint ihr ein wenig das Problem dieses Werks. Die Geschichte um den Mörder, Fälscher und Spitzel Simon Simonini, der sich zum willigen Werkzeug von mehreren Geheimdiensten macht und ihnen gefälschte Verschwörungen liefert, untersucht für sie auf der einen Seite gesellschaftliche Strukturen, auf der anderen die psychische Disposition des Protagonisten, der ein völliger Durchschnittstyp ist. Zwischen diesen beiden Ansätzen verliert sich nach Ansicht von Pöhlmann der Roman. Den Vorwurf des Antisemitismus, der dem Schriftsteller gemacht wurde, hält sie allerdings für absolut absurd. Nein, moralisch ist Eco in ihren Augen ohne jeden Fehl. Literarisch allerdings findet sie diesen Roman nicht so ganz gelungen. Den Grund sieht sie zum einen darin, dass Eco sich nicht zwischen Soziogramm und Psychogramm entscheiden kann, zum anderen darin, dass er dem Leser allzuviel vorkaut.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08.10.2011

Jürgen Kaube würdigt Umberto Eco als gelehrten, phantasievollen und witzigen Autor, von dem man ständig lernen kann. Dennoch muss der eingenommene Rezensent nach der Lektüre von "Der Friedhof in Prag" feststellen, dass auch ein Umberto Eco an einem Roman scheitern kann. Zunächst hat Kaube zwar viel über Verschwörungstheorien erfahren: Eco zeichne hier am Beispiel der 1903 in Russland erschienenen und bereits 1921 als Fälschung des Geheimdienstes entlarvten Hetzschrift "Protokolle der Weisen von Zion" historisch genau die Geschichte einer Dokumentenfälschung nach. Der Kritiker dringt dabei nicht nur tief in das Verdachtsmilieu des 19. Jahrhunderts ein und erfährt, wie gefährlich eine durch bloße Meinungen und Geistigkeit geprägte Welt ist, sondern lernt anhand der Tagebucheinträge des fiktiven Protagonisten Simonini viel über den irrsinnigen Alltag eines Fälschers - und auch einiges über das "creative writing". Nach dreihundert "profunden, moralischen und philologischen" Seiten erscheint Kaube das Buch allerdings nicht mehr als Roman, sondern vielmehr als "riesiger Anmerkungsapparat" voller Fußnoten zu Straßen und Personen, und nachdem im letzten Drittel der Erzählung wenig Neues passiert, muss der Rezensent gestehen, dass ihm Ecos Neuling schließlich "auf die Nerven" gegangen ist.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 08.10.2011

Ist gegen diesen Autor ein Kraut gewachsen? Wieder einmal reißt Umberto Eco die Kritikerzunft in seinen Bann. Auch Steffen Richter ist ihm weitgehend erlegen. Mit herkömmlicher Literaturkritik, räumt er ein, ist dem nicht beizukommen. Weil, ein Eco sei ein Event, der Autor eine Firma mit ausgeklügelter CI und Allroundkompetenz. Im neuen Eco also, der sich diesmal aufs 19. Jahrhundert und die professionelle Verfertigung von Verschwörungstheorien stürzt, stößt Richter auf die bekannten Ingredienzien wie Spionage, Satanisches, Obsessives, Bibliophiles etc. Und erzähltechnisch auf eine schön vertrackte Konstruktion, in der die Pariser Kommune und Kochrezepte prima zusammengehen. Oder doch beinahe, denn so bodenlos Ecos Zettelkasten dem Rezensenten erscheint, so gemacht kommt ihm der Roman auch vor, Projekt und Absicht spürt er allenthalben.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 08.10.2011

Schwerwiegend ist das Versagen dieses Romans, glaubt man Gustav Seibt, der sich in seiner Kritik viel Raum nimmt, um seine Argumentation zu entfalten. Denn der Roman sei selbst verschwörungstheoretisch, und er lasse die "Protokolle der Weisen von Zion" als Text eines einizigen Mannes, des "scheußlichen Helden" des Romanes erscheinen. Und er verkenne damit einen wesentlichen Aspekt an dieser folgenreichsten aller verschwörungstheoretischen Schriften: dass sie ein kollektives Werk ist und dass sie kollektiv wirkte. Aber Romane können auch groß scheitern. Seibt hätte sich sich nicht den Aufwand gemacht, wenn ihn der Roman nicht auch fasziniert hätte: Und das Faszinierende an dieser Fiktion ist, dass - bis eben auf die Hauptfigur - nichts daran erfunden ist. Je bizarrer der Roman ist, desto wahrer ist er. Es scheint überdies, als könne man den Roman zur Hand nehmen - und hätte dann ein verlässliches historisches Werk zur Enstehung der "Protokolle". Seibt empfiehlt dem Verlag übrigens, einen zweiten Band mit Quellentexten und Material herauszubringen.
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