Wladimir Sorokin

Telluria

Roman
Cover: Telluria
Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln 2015
ISBN 9783462048117
Gebunden, 416 Seiten, 22,99 EUR

Klappentext

Aus dem Russischen vom Kollektiv Hammer und Nagel. Eurasien, Mitte des 21. Jahrhunderts: Nach Religionskriegen, Revolutionen und Aufständen ist der Kontinent zwischen Atlantik und Pazifik in isolierte Kleinstaaten zerfallen. Russland ist in Tiefschlaf gesunken, Moskau steigt auf Kartoffelgas um, es herrscht ein aufgeklärt theokratisch-kommunofeudalistisches Regime, das Umland befindet sich in chinesischer Hand. In Köln wird nach drei Jahren Talibanherrschaft wieder Karneval gefeiert. Der Zwergstaat SSSR, Stalinische Sozialistische Sowjetrepublik, eine Oligarchen-Gründung, ist zum Paradies für Linksradikale jeglicher Couleur geworden. Das Sehnsuchtsland aber ist die Bergrepublik Telluria. Hier wird die Droge Tellur, andernorts als schweres Suchtmittel geächtet, zur Heilung eingesetzt. Um diesen Glücksstoff, der zu Nägeln gemacht und in die Köpfe gehämmert wird, dreht sich das Tun und Trachten aller Figuren des Romans, in denen wir uns selbst und die Akteure unserer Geschichte wiedererkennen.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 17.09.2015

Vladimir Sorokin erzählt in "Telluria" keine einzelne, zusammenhängende Geschichte, sondern entwirft in fünfzig kleinen Prosaskizzen ein fantastisches Bild einer unbestimmt entfernten Zukunft, erzählt Rezensent Helmut Böttiger. Erklärt wird dabei kaum etwas, so der Rezensent, nur schrittweise und wie ein Mosaik ensteht beim Leser das Bild einer Welt entsteht, in der Europa in Kleinstaaten zerfallen ist, die Gentechnik Mensch und Tier vereint, und in der Menschen sich Nägel in den Kopf hämmern lassen, um Glücksgefühle zu erfahren, fasst der Rezensent zusammen. Das ist alles sehr beeindruckend, gibt er zu, wiederholt sich aber irgendwann. Man gewinnt den Eindruck, Böttiger habe sich trotz aller Virtuosität, die Sorokin im Umgang mit der russischen Literaturtradition an den Tag legt, zum Ende hin doch ein wenig gelangweilt.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 16.09.2015

Als großen Hexenmeister der Postmoderne feiert Sonja Margolina den russischen Schriftsteller Wladimir Sorokin, der auch in seinem neuen Roman "Telluria" mit allen literarischen Mitteln der Auflösung der Welt beizukommen trachtet: Europa und Russland sind in Klein- und Kleinststaaten zerfallen, teils stalinistischer, teils christlich, teils islamischer Prägung; die Menschen nähren ihren Idealismus aus Tellur-Nägeln, die sie sich als Droge ins Hirn jagen lassen. Dass Sorokins Visionen oft genug Realität wurden, macht für Margolina nur einen Teil ihrer Qualität aus. Zum anderen speist sich ihre Faszination für diesen Autor aus seiner stilistischen Vielfalt - jedes Kapitel von "Telluria" entspricht einer anderen literarischen Gattung - und seiner Verankerung in der russischen Literaturgeschichte. Die vielen historischen und klassischen Verweise, Zitate und  Neologismen sind unmöglich bei einer Übersetzung zu retten, weiß Margolina, die trotz dieses Verlusts die Entscheidung richtig findet, den Roman vom Kollektiv Hammer und Nägel übertragen zu lassen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.08.2015

Keinen neuen Ulysses hat Martin Halter mit Vladimir Sorokins neuem Roman gelesen. Zu heterogen sind Kapitel, Orte, Figuren und Geschichten für den Rezensenten. Mit Sorokins Trank aus Märchen, Epos, Satire, Literaturtravestie, Karneval und Konzeptkunst (auf der Venedig Biennale posiert der Autor als Telluria-Kreuzritter) hat sich der Rezensent allerdings dennoch amüsiert. Dass die (postsowjtische) Zukunft kein Paradies bringt, kann ihm der Autor grimmig und wüst wie nie vermitteln, halluzinogen, provokativ, verwirrend, dystopisch, retrofuturistisch.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 05.08.2015

Tim Neshitov trauert ein wenig der kurzen Halbwertszeit der Helden bei Wladimir Sorokin nach. Was sie ihm noch alles hätten erzählen können! Über archaische Welten, Fabelwesen und die Droge Tellur. Oder aber, wie es dem Autor gelingt, aus fünfzig Kapiteln fast ohne Zusammenhang einen Roman zu machen. Wie Sorokin mittels überbordender Fantasie, scharfer Ironie und stilistischer Vielfalt und Meisterschaft den Leser fesselt. Oder warum das Buch trotz allem keine Dystopie ist, sondern, wie Neshitov schreibt, die Suche des Autors nach einem Neuen Mittelalter.
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Rezensionsnotiz zu Die Welt, 01.08.2015

Wenn die Zukunft so aussieht wie in Vladimir Sorokins neuem Roman, meint Stefanie Peter, dann können sich unsere Nachfahren auf jede Menge Aberwitz freuen. Das im russischen Original bereits 2013 erschienene Buch findet Peter nicht nur wegen seiner von sage und schreibe acht Übersetzern bezeugten Vielstimmigkeit spannend. Sorokins Dystopie liest sie als Trip durch Raum und Zeit und geistige Höhenflüge. Ins Eurasien in der Mitte des 21. Jahrhunderts entführt sie der Autor, in eine elektrifizierte Mittelalterwelt, in der die Geopolitik Kopf steht. Genau wie der Text, der laut Peter zwar ohne Handlungsfaden und Spannungsbogen auskommen muss, bei aller fantasievollen Gestaltung mit Riesen, Klonen und durchtechnologisierter Archaik aber einen wahren Kern besitzt, wie die Rezensentin versichert.
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