William H. Gass

Mittellage

Roman
Cover: Mittellage
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2016
ISBN 9783498025274
Gebunden, 608 Seiten, 29,95 EUR

Klappentext

Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl. Joey Skizzen ist ein kleiner, skurriler Assistenzprofessor für Musik an einer unbedeutenden Universität im Mittleren Westen der USA - erklärter Hypokrit und Menschenfeind, ein Ge- und Vertriebener des Jahrhunderts, dem er angehört: Sein katholischer Vater floh vor den Nazis aus Österreich, indem er sich als Jude ausgab, und ließ die Familie dann in London sitzen. Mit Mutter und Schwester emigriert Skizzen in den streng protestantischen amerikanischen Bible Belt, wo er seinerseits das Leben eines Hochstaplers führt, um seiner verhassten Durchschnittlichkeit Glanzlichter aufzusetzen. Er gibt sich als Schönberg-Spezialist aus und lügt erfolgreich über seine Ausbildung und Vergangenheit. Zu Hause richtet er, wenn er nicht gerade Dosen in eine Tonne an der Wand tritt, auf dem Dachboden ein "Museum der Unmenschlichkeit" ein, sammelt Zeitungsartikel und Gräuelbilder. Seine Angst, die Menschheit werde vielleicht nicht überleben, ist längst von der Angst abgelöst worden, sie könnte bestehen bleiben …

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 04.03.2017

Lothar Müller dankt Nikolaus Stingl für die virtuose Übertragung dieses Romans des 1924 geborenen amerikanischen Autors William H. Gass. Eine Leistung schon wegen des Humors, der Bildkraft, des Rhythmus und der "präzisen Zweideutigkeit", mit denen Gass seinen Text ausführt, findet Müller. Die humoristisch erzählte Bildungsgeschichte eines Hochstaplers aus vielen "hinreißenden Geschichten", die der Autor hier laut Rezensent formenreich als Collage entwirft, macht das Fehlen eines handlichen Plots für Müller wett. Das Buch hat die große Gelassenheit und den Witz eines Alterswerks, meint Müller.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 18.02.2017

Rezensentin Angela Schader liest William Gass' jüngstes Buch als Antwort auf seinen furiosen Roman "Der Tunnel" aus dem Jahr 1995. Hier wie dort bohre sich der Autor immer tiefer in die "Finsternisse" der Geschichte, der menschlichen Seele und der eigenen Persönlichkeit, erklärt die Kritikerin, die in diesem Roman dem Amateurpianisten und Musikwissenschaftler Joseph Skizzen auf seiner Identitätssuche folgt. Allerdings muss Schader bald gestehen, dass ihr die Erzählung um den misanthropischen Helden, der sich obsessiv an seinem Vater abarbeitet - einem Österreicher, der zunächst unter falscher jüdischer Identität mit der Familie nach England floh, um sich bald allein nach Amerika abzusetzen - mitunter ein wenig zu "konstruiert" erscheint. Neben einigen leidenschaftlichen Passagen entdeckt Schader in diesem Buch aber vor allem in den weiblichen Nebenfiguren Farbigkeit und Wärme.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 26.11.2016

Kaum ein Schriftsteller erschafft so einzigartige Misanthropen wie der inzwischen über 90-jährige Literaturprofessor William H. Gass, schwärmt Maik Söhler. Mit diebischer Freude liest der Kritiker die Geschichte um den übellaunigen College-Lehrer und Heuchler Joey Skizzen, der gemeinsam mit seiner Mutter in einer Kleinstadt in Ohio lebt und seine Freizeit damit verbringt, Zeitungsartikel über menschliche Niedertracht zu sammeln. Söhler staunt einmal mehr, mit welch "philosophisch-analytischem" Gespür Gass menschliche Abgründe und Gehässigkeiten auslotet, fast nebenbei Heidegger, Hegel, Nietzsche, Schopenhauer oder Kierkegaard bemüht und die Handlung dabei geradezu orchestral anordnet. Insbesondere aber bewundert der Rezensent das Vermögen des Autors, in all der geschilderten Kleingeistigkeit und dem "Konvolut aus Hasstiraden" den Humor nicht zu verlieren.