Wolfgang Hermann

Das Gesicht in der Tiefe der Straße

Momente einer Stadt
Cover: Das Gesicht in der Tiefe der Straße
Otto Müller Verlag, Salzburg 2004
ISBN 9783701310821
Gebunden, 158 Seiten, 16,00 EUR

Klappentext

"Dieses Gesicht in der Straßenschlucht, er kann es nicht behalten. Verschliffen zu feinem Staub von den Schritten der Tausend auf dem Gehsteig. Später begegnet es ihm in Bruchstücken, in der U-Bahn, auf der Terrasse des Cafes, aufgesplittert auf verschiedenen Schultern." Flüchtige Begegnungen, stumme Übereinstimmungen, Blicke auf der abfahrenden U-Bahn, die Wärme des Körpers nach der Wanderung von der Vorstadt ins Stadtzentrum. Die Stadt - ist es Paris? - als Kraftquelle, als großes Getriebe, von Menschen bewegt. Eine Geschichte reißt ab, verschwindet, wird von einem anderen Gesicht weitergetragen, taucht an einer anderen Ecke der Stadt wieder auf. Wie spricht man eine Stadt? Diese Frage beschäftigt Wolfgang Hermann bereits seit seinen ersten Büchern. In kurzen Prosaminiaturen folgt der Autor der inneren Topografie einer Stadt, schafft ein pulsierendes Geflecht aus Augenblicken, die einen Moment lang den Einzelnen aus seiner Anonymität heben. Die Metropole als verdichtete Skulptur, ausgedühnt an ihren Rändern, als Zeitbeschleunigerin, Geliebte und Gefängnis. Das Andere der Stadt wird zu Sprache gebracht, die Zonen der Leere, die Ödnis der Vorstädte, in denen alles vereinzelt - die Ausschusszonen sind es, denen der Autor eine Stimme gibt.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 04.08.2004

Für Wolfgang Hermann ist die Stadt das Hauptthema, das ihn und das er überallhin verfolgt, erläutert Rüdiger Görner. Die Stadt bilde eine Landschaft, umgekehrt sei die Natur stets von der Verstädterung bedroht. Hermanns "Momente einer Stadt" scheinen Görner zufolge Walter Benjamins "Prinzip Denkbild" einiges abgeschaut zu haben, wobei Hermann seines Erachtens das Aphoristisch-Paradoxe nicht unbedingt sucht, aber, sollte es sich ergeben, durchaus zulässt. Wichtig scheint dem Rezensenten, dass Hermann wie selbstverständlich davon ausgeht, dass die eigene Kultur von anderen durchsetzt, beeinflusst ist und nur so lebendig bleibt. Hermanns "Momente einer Stadt" ergeben sich ebenso in Paris, Tokio oder Salzburg. Ein solches Schreiben, meint Görner, birgt die Gefahr, dass die Straßen beliebig oder austauschbar würden, andererseits, hält er selbst entgegen, erweiterten sich die poetischen Räume dadurch "scheinbar wie von selbst". Der Verlag hat Hermanns sparsam-evokativer Prosa eine großzügige Edition gegönnt, lobt der Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 14.06.2004

Peter Henning ist schlichtweg begeistert von Wolfgang Hermann und nutzt seine Besprechung zu einer allgemeinen Preisung des "insgesamt viel zu wenig gelesenen" Autors und seiner Literatur. So treffe auf alle seit 1987 kontinuierlich erscheinenden Arbeiten des 1961 im österreichischen Bregenz geborenen Autor das Wort Marcel Prousts zu, wonach ein Buch ein optisches Instrument sei, das der Autor dem Leser reiche, damit er sich selber klarer zu sehen vermöge. Henning preist Hermann als hellwachen Beobachter und "verlässlichen Außenposten der deutschsprachigen Literatur", lobt die Ausrichtung seiner Literatur auf das "Ausschnitthafte und Zündfunkenhaft-Helle des Augenblicks", und erklärt, dass diese Literatur auch nur auf den ersten Blick "anti-erzählerisch" sei. Auch in diesem Buch zeige sich wiederum, dass sich in allen Miniaturen und konzis-knappen Bagatellen Hermanns einer artikuliere, der durchaus erzählt - nur eben "auf engstem, geradezu architektonisch scharf umrissenem Raum".
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