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Elf Jahre haben Jung Chang und Jon Halliday an ihrer Biografie "Mao" () recherchiert, und sie lassen nichts übrig vom verklärenden Bild des Großen Vorsitzenden und Steuermanns. Für den Spiegel war das Buch bereits Anlass für einen Mao-Titel. Denn wenn es stimmt, was die beiden Autoren zusammengetragen haben, meint auch die SZ, dann wird Chinas Geschichte "in entscheidenden Punkten neu erzählt" werden müssen. Chang, früher selbst Mitglied der Roten Garden, und der Historiker Halliday porträtieren den Gründer der chinesischen Volksrepublik als skrupellosen Machtpolitiker und pathologischen Egomanen, auf dessen Konto siebzig Millionen Tote gehen - eine Bilanz, die ihn an die Spitze der Massenmörder des 20. Jahrhunderts setzen würde. Die NZZ sieht in der Biografie eine "sorgfältige Sammlung der Schandtaten", die FAZ lobt auch die Lebendigkeit und Dichte, mit der sie geschrieben wurde. Die FR sieht in ihr allerdings eher eine Anklageschrift als eine um Nuancen bemühte Biografie.

Dan Diner geht in seinem Buch "Versiegelte Zeit" () der heiklen Frage nach, wie sich die kaum zu verhehlende Rückständigkeit der arabischen Welt erklären lässt. Dabei stützt er sich auf den Arab Human Development Report, der seit 2002 jährlich von den Vereinten Nationen herausgegeben wird und ebenso interessante wie brisante Befunde bereithält (zum Beispiel, dass in der gesamten arabischen Welt vier Buchübersetzungen auf eine Million Menschen kommen, gegenüber 519 in Ungarn und 920 in Spanien). Diner erklärt dies vor allem mit der Allgegenwärtigkeit des Sakralen, besonders in der arabischen Sprache und Schrift, das kaum Veränderung zulasse. Die SZ möchte seinen Thesen zwar nicht in den Einzelheiten folgen, versichert aber, dass es sich hier um ein "anregendes und intelligentes" Buch handelt.

Andre Glucksmanns Furor, mit dem er den Hass als Phänomen der Welt wiederbelebt, hat unter den Kritikern zu reger Diskussion geführt. Die NZZ findet Glucksmanns Bestreben, auf die reale Existenz des Bösen inmitten unserer modernen Zivilisation hinzuweisen, "ganz und gar richtig" und zugleich so drastisch, dass sie vor "Hass" am liebsten die Augen verschließen möchte. Das auf dem Medea-Mythos basierende Stufenmodell für die psychologische Entwicklung des Hasses hält die FR für die größte Leistung des Philosophen. Sie stößt sich aber ein wenig an seinem politischen Temperament, das ihn zeitweise ein wenig einseitig argumentieren lässt. Dass Glucksmann zum aktiven Kampf gegen den Hass aufruft, passt der Zeit dagegen wunderbar ins Konzept, während die SZ wiederum zur Gelassenheit mahnt.

Schließlich sei noch einmal auf Wolfgang Kraushaars Enthüllungen über "Die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus" () hingewiesen. Das Buch hat eine Riesendebatte ausgelöst. Was die Feuilleton-Gemüter erregt, ist nicht so sehr die Aufdeckung der Täterschaft Albert Fichters, sondern der von Kraushaar angedeutete Antisemitismus der Achtundsechziger. Die FR hofft auf einen Startschuss zur überfälligen Selbstaufklärung der Linken, die Berliner Zeitung weist auf die Rolle des Staates als Agent provocateur hin. Und Götz Aly konstatiert in der Welt. "Die deutschen Achtundsechziger waren ihren Eltern auf elende Weise ähnlich."

Diskussionen hat bei den Kritikern auch das Buch "Lolita lesen in Teheran" von Azar Nafisi ausgelöst, die bis zu ihrer Ausreise als Professorin in Teheran Literatur lehrte und mit ihren Studentinnen in kleinem Kreis die Klassiker der westlichen Moderne las. FR und taz sind begeistert, wie Nafisi die untergründige Kraft der Literatur beschwört und gleichzeitig die Lebensgeschichten ihrer Studentinnen erzählt. Die FAZ lobt das Buch als "vieldimensionales Werk über Identität und Befreiung". Die SZ dagegen stört sich an Nafisis menschelnder Art, die die "persische Tragödie wie in Watte", in einen "Bausch von Belanglosigkeiten" packe. Sehr beeindruckt sind taz und FR von dem Buch "Despoten vor Europas Haustür" (), in dem die beiden tunesischen Menschenrechtler Sihem Bensedrine und Omar Mestiri schildern, wie die Europäische Union im Zuge ihrer Einwanderungs- und Sicherheitspolitik die autoritären Regimes in Nordafrika stabilisiert - auf Kosten der Opposition und der Menschenrechte.

FAZ und taz konnten sich auf dieses Buch sofort einigen: Extrem lesenswert finden beide "Konsumrebellen" in dem Joseph Heath und Andrew Potter die vermeintlich antikapitalistischen Gegenkulturen entzaubern. All die Hippies, Punks, Attac-Anhänger und Möchtegern-Dissidenten, so die These der beiden kanadischen Autoren, nützen dem kapitalistischen System mehr als jeder konformistische Facharbeiter in seinem Reihenhaus. Denn zur eigenen Erneuerung braucht der Markt Differenz und attraktive Gegenkulturen. Auf Interesse ist auch Georg Franck mit seinem Buch "Mentaler Kapitalismus" gestoßen, allerdings auch auf Skepsis. In seiner politischen Ökonomie der Aufmerksamkeit bestimmt die erfahrene Beachtung den Wert eines Produktes und den Reichtum von Personen. Die taz hat viele "hübsche Beobachtungen" zur Rolle der Medien in dem Buch gefunden, die FAZ haben Francks Überlegungen zur Wissenschaft beeindruckt.

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