Bücher der Saison

Bücher der Saison 2014: Politische Bücher

Politische Bücher


Politik

25 Jahre nach dem Mauerfall war ein Buch wie Roland Jahns "Wir Angepassten" fällig. Gelobt wird es für seine protestantischen Qualitäten: Unnachgiebigkeit gegenüber DDR-Nostalgikern, einem Angebot zur Versöhnung in christlicher Tradition, aber besonders auch Selbstreflexion, eine Eigenschaft, die besonders Mechthild Küpper in der FAZ hervorhebt. Auch Marko Martin bewundert in der Welt, wie der einstige Stasihäftling den DDR-Staat nuanciert und komplex und nicht idyllisierend oder eifernd betrachtet.

An bemerkenswerten politischen Büchern war die Saison darüber hinaus nicht allzu reich. Doris Akrap empfiehlt in der taz Tilman Seidenstickers kleine Einführung in den "Islamismus" als informativ und nicht polemisch. Behnam T. Saids findet für sein aktuelles Buch über die Terrormiliz "Islamischer Staat" Applaus vom Elder Statesman des SZ-Journalismus, Rudolph Chimelli. Klaus Voß beschäftigt sich in "Washingtons Söldner" mit "verdeckten US-Interventionen im Kalten Krieg und ihren Folgen" und stößt auf großes Interesse in FAZ und SZ. Ein Heft von Transit wirft einen Blick zurück auf die aktuelle Ukraine-Krise.


Wirtschaft


Gab es in diesem Jahr ein Buch, über das mehr diskutiert wurde als über Thomas Pikettys "Das Kapital im 21. Jahrhundert" ? In Deutschland vielleicht die "Schlafwandler" von Christopher Clark, aber international überstrahlt der fulminante Erfolg dieses Werks die gesamte Sachbuchproduktion für die gebildeten Stäände - vor allem natürlich, weil es in den Vereinigten Staaten eine so leidenschaftliche Debatte um das Buch gab. "Pikettymania Must Stop", rief Danny Vinik im Mai in der New Republic. Er gibt einen Überblick und verweist etwa auf Paul Krugmans große Besprechung des Buchs in der New York Review of Books. Pikettys These, dass Reichtum heute eher duch Verzinsung auf Kapital als durch Leistung erzeugt wird, muss die Amerikaner in ihrem Selbstverständnis erschüttert haben! Die Debatte wehte auch nach Deutschland herüber - Thomas Meyer besprach in der SZ schon im Juni die englischen Ausgabe und konstatiert, dass die klassische Wirtschaftswissenschaft zum Problem der sich akzentuierenden Ungleichheit nicht viel zu sagen hat. Sehr beeindruckt waren auch die Kritiken der deutschen Ausgabe von Alan Posener in der Welt und Andreas Zielcke in der SZ.

Ein Gegenprogramm zu Piketty ist Jeremy Rifkins Buch "Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft" das in grenzenlosem amerikanischen Optimismus auf eine Ökonomie des Teilens und des "Zugangs", statt des Eigentums setzt. Besser zu Piketty passt - sozusagen als journalistische Illustration - George Packers Band "Die Abwicklung" mit Porträts erfolgreicher und weniger erfolgreicher Amerikaner aus der Ära des versagenden amerikanischen Traums. Die grundsätzlich pessimistisch gestimmte deutsche Journalistenschaft jubelte geradezu vor Leseglück über diese Elegie des Niedergangs. Hingewiesen sei auch noch einmal auf Sven Beckerts Geschichte des Kapitalismus am Beispiel der Baumwolle, "King Cotton"


Gesellschaft

Auch wenn nicht immer klar ist, was in "Aliyahs Flucht" von Güner Yasemin Balci Reportage und was Fiktion ist, ist das Thema, die Identitätsuche muslimischer Migranten zwischen Anpassungsdruck und Abschottung, ein reales, relevantes Problem. Von der jungen Kurdin Aliyah erzählt Balci hier, auf der Flucht vor Zwangsheirat und Ehrenmord, weil sie den Griechen Dimi liebt. Beklemmend und verstörend liest sich das, meint Hülya Özkan-Bellut in der FAZ, auch wenn sie sich etwas an Balcis mitunter allzu emotionaler und pädagogisch gefärbter Argumentation stört. Im Tagesspiegel würdigt Patrick Wildermann die Autorin für ihren Mut, mit dem sie sich sowohl bei strenggläubigen Muslimen wie auch "linken Kulturrelativisten" zum Feindbild macht.

Ebenfalls allgemein gelobt wird Daniel Schreibers Alkoholismus-Essay "Nüchtern" Als persönlich, aber nicht "bekenntnishaft" und vor allem "unerwartet schön" beschreibt Susanne Lenz das Buch in der FR. In der Zeit freut sich Ursula März, dass Schreiber es nicht auf ein simples Lob der Abstinenz abgesehen hat, sondern im Gegenteil der Sucht eine gesellschaftliche Funktion zuschreibt. Und in der NZZ urteilt Andrea Roedig: "ein mutiges Buch". Der Sinologe Wolfgang Kubin nähert sich dem Alkohol mit seinen Essays in "Die Geschichte eines Flachmanns" von einer anderen Seite, die dem überzeugten Apfelschorletrinker und FR-Rezensenten Arno Widmann fremd, aber dafür umso interessanter ist. Was geht vor, wenn man sich kollektiv besäuft, wieder und wieder, oder auch still und heimlich den Flachmann zückt? Da kann Widmann nur vermuten: Konzentration aufs Wesentliche? Verschwinden des Ichs? Er lobt die Essays jedenfalls als Meisterstücke teilnehmender Beobachtung.

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