Magazinrundschau - Archiv

The Guardian

383 Presseschau-Absätze - Seite 1 von 39

Magazinrundschau vom 28.02.2023 - Guardian

Francesca Carington beschreibt in einer Reportage die Vielfalt der Orchideen, die im New Yorker Botanischen Garten gezeigt werden - und die kriminellen Energien, die diese Pflanzen bisweilen freisetzen. Bei dem in lange Traditionen zurückreichenden Hobby des Sammelns, verrät sie, wurde beim Gewinn und Erwerb der Orchideen damals wie heute wenig Rücksicht genommen auf die mögliche Artenvielfalt und das Gesetz. Dass der Handel mit vom Aussterben bedrohten Pflanzen illegal ist, interessiert nicht alle Sammler, auch für den Zoll sind Tier- und Drogenschmuggel wichtiger, weiß Carington nun. Werden die Gewächse aber aufgefunden, müssen sie oft im Labor des Botanischen Gartens mühsam wieder hochgepäppelt und für eventuelle polizeiliche Ermittlungen aufbewahrt werden. Warum gehen Menschen diese Risiken ein, nur um die ästhetischen Reize dieser Blumen bewundern zu können, fragt sich die Autorin, und kommt zu folgender Antwort: "In botanischer Hinsicht sind Orchideen faszinierend. Viele Arten vermehren sich mithilfe optischer Täuschungen, ein Prozess, den man als 'Pseudokopulation' bezeichnet. Sie stellen weibliche Wespen oder Bienen nach, um die männlichen Artgenossen dazu zu bringen, sie zu bestäuben, ohne dem Insekt ihren Nektar zukommen zu lassen. Michael Pollan nennt die Orchidee 'die aufblasbare Sexpuppe der Pflanzenwelt.' Sexpuppen, sexuell suggestive Objekte, Geiseln des Imperialismus oder einfach nur schöne Blumen - Orchideen verkörpern alle Arten von Launen und Mythen." Damit sind sie von den Menschen nicht allzu weit entfernt, denkt sich Carington.
Stichwörter: Orchideen, Botanik

Magazinrundschau vom 21.02.2023 - Guardian

Mit der Verve und dem Zorn über die politischen Verhältnisse, die man von ihr kennt, beschreibt Arundhati Roy die innigen Beziehungen von Indiens Premier Modi zu dem Industriellen Gautam Adani, dessen milliardenschweres Unternehmen trotz kürzlich erlittener schwerer Verluste seit seinem Aufstieg tief in die Politik Modis verstrickt ist. Eine BBC-Reportage und eine Untersuchung der amerikanischen Hindenburg Research Group bringen für Roy Licht ins Dunkel der "indischen Twin Towers", wie sie die beiden nennt, doch eine weitere Aufklärung nicht nur der Finanzen und der Einflussnahme der Geldgeber wird verhindert, sondern auch der gewalttätigen Unruhen, die unter Modi aufgekocht sind. Gegen eine von Parlamentariern und Reportern angestrebte Untersuchung durch unabhängige Organe wehrt sich der Premier, vielleicht nicht nur, um die finanzielle Unterstützung seines Freundes zu vertuschen, sondern auch die Brutalität, die, wie Roy betont, unter seiner hindu-nationalistischen Regierung an der Tagesordnung ist: "Für die meisten Inder ist dies in unser tägliches Leben übergegangen: Waffenschwingende Mobs, safranfarben gekleidete Gottesfürchtige, die Tag für Tag nach dem Genozid an Muslimen verlangen, Massenvergewaltigungen an muslimischen Frauen, dass Hindus ungestraft Muslime auf offener Straße lynchen und sich dabei nicht nur filmen, sondern auch Lobpreisungen von Mitgliedern aus Modis Kabinett dafür erwarten können."

Magazinrundschau vom 31.01.2023 - Guardian

Mark O'Connell erzählt von einem Kulturkampf, der in dieser Unnachgiebigkeit wahrscheinlich nur auf der Isle of Wight geführt werden kann: Der Kampf um den Botanischen Garten von Ventnor. Vor zehn Jahren kaufte ihn der Bostoner Anwalt John Curtis, der seinen Stammbaum bis zu den ältesten Familien von Massachusetts und Connecticut zurückführen kann, den die Engländer der Kanalinsel aber nur als amerikanische Geschäftsmann verachten, seit er eine gärtnerische Praxis einführte, die er als Ventnor Methode anpreist: "Ohne die strenge Aufsicht eines typischen Botanischen Gartens dürfen die Pflanzen in Ventnor wachsen, wo immer sie sich selbst aussäen. Dank des Mikroklimas des Gartens können Arten, die in Australien, Südafrika und im Mittelmeerraum beheimatet sind und die auf dem britischen Festland zugrunde gehen würden, in Ventnor ohne große Eingriffe gedeihen. Und genau dieser Ansatz eines gewissen Laissez-faire bei der Pflege des Gartens ist der Kern der Kontroverse. Curtis und sein Team behaupten, dass sie von unnötigen Eingriffen absähen; seine Kritiker meinen, dass sie den Garten in Wirklichkeit furchtbar und katastrophal vernachlässigten und der Ort infolgedessen zu einem unansehnlichen Durcheinander verkommen sei. Letztes Jahr erklärte ein ehemaliger Kurator von Ventnor, die Anlage sei entwertet, dass sie 'den Titel botanisch nicht mehr verdiene'... Ziel der Ventnor-Methode ist es, so genannte 'synthetische Ökosysteme' zu schaffen, die einer natürlichen Umgebung ähnlicher sind als ein typischer botanischer Garten. Laub verrottet dort, wo es liegt; herabgefallene Äste werden, solange sie keine Stolperfallen für die Besucher darstellen, unberührt gelassen. Curtis und sein Chefgärtner, der Kurator von Ventnor, Chris Kidd, sagen, dass dies eine natürliche Methode sei, um dem Boden Nährstoffe zuzuführen. All dies geschehe im Namen der Nachhaltigkeit, denn der intensive Ressourcenverbrauch, den die traditionellen Methoden des botanischen Gartens erfordern, sei angesichts der sich verschärfenden Klimakrise nicht mehr vertretbar." Ganz abgesehen davon, dass diese Methode sehr viel weniger Personal braucht.
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Magazinrundschau vom 24.01.2023 - Guardian

Kaum etwas ist der Kommunistischen Partei heute so peinlich wie die Kulturrevolution, die Mao 1966 vom Zaun brach, um seine gefährdete Position abzusichern. Millionen von Teenagern hetzte er gegen ideologische Gegner und Intellektuelle auf, gegen alte Autoritäten und kulturelle Institutionen, und als selbst ihm die agitierten Horden unheimlich wurden, verfrachtete er sie aufs Land. Tania Branigan sieht in der Kulturrevolution den Schlüssel zum Verständnis des heutigen Chinas, in dem sich gnadenloser Konformismus und erbarmungsloser Individualismus verbinden: "Maos sprunghaftes Wesen, seine wechselnden Taktiken und absichtlich kryptischen Äußerungen, die politischen Intrigen an der Parteispitze, die widerstreitenden Interessen und Motive auf allen Ebenen der Bewegung, einschließlich kleinlicher Missgunst und banaler Ambitionen, die vielen Phasen, die sie durchlief, ihr schieres Ausmaß - all das macht es schwer, sie zu entschlüsseln. Selbst Chinas ideologische Brüder taten sich schwer, dieses Chaos zu verstehen: Nordkoreanische Kader verspotteten sie als 'großen Irrsinn, der weder mit Kultur noch mit Revolution zu tun hat'. In Teilen ähnelt sie den schrecklichen Völkermorden des 20. Jahrhunderts, obwohl hier die Menschen ihre eigenen Leute töteten - die Grenze zwischen Opfern und Tätern verschob sich von einem Moment zum anderen. In mancher Hinsicht erinnert sie an die stalinistischen Säuberungen, allerdings mit begeisterter Beteiligung der Massen. Im Gegensatz zu anderen Tragödien unter der Kommunistischen Partei Chinas war die Kulturrevolution allumfassend. Kein Arbeitsplatz blieb unangetastet, kein Haushalt blieb unschuldig. 'Komplizenschaft' ist ein zu kleines Wort - Genosse wandte sich gegen Genosse, Freund gegen Freund, Ehemann gegen Ehefrau und Kind gegen Eltern. Der persönliche Verrat und die abrupten Kehrtwendungen zerrissen das Gefüge Chinas, die konfuzianischen Ideale des familiären Gehorsams und die neueren kommunistischen Versprechen der Brüderlichkeit. Doch diese Ära, die das moderne China geprägt hat, ist heute weitgehend vergessen. In der Vergangenheit wurde sie zwar breiter diskutiert, aber nie frei. Die Berichte über die Schrecken dieser Zeit trugen dazu bei, die Abkehr von der sozialistischen Orthodoxie hin zum Markt zu rechtfertigen. Im Laufe der Zeit haben Angst, Schuldgefühle und offizielle Unterdrückung das Thema wieder in den Schatten gedrängt."

Magazinrundschau vom 13.12.2022 - Guardian

Die iranische Protestbewegung gibt einfach nicht auf, trotz der mittlerweile 450 Toten und fast zwanzigtausend Verhafteten. Christopher de Bellaigue, früher Iran-Korrespondent des Economist, bewundert Mut und Ausdauer der vor allem jungen Menschen, aber an ihren Erfolg kann er nicht ganz glauben: "Es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen denen, die im Iran leben, und denen außerhalb: Für die ungeduldigen Exilanten würden das Atomabkommen und die Aufhebung der Sanktionen einem Rettungsanker für die Islamische Republik gleichkommen - es wäre für sie inakzeptabel. Für die Iraner, die in der Islamischen Republik leben, würde es die Verbesserung der Lebensbedingungen bedeuten, die in den letzten Jahren unerträglich geworden sind. Die Aufrufe zu einem landesweiten Streik, der auch die Basare, die Lehrer und - ganz wichtig - die Ölarbeiter einschließen sollte, sind weitgehend unbeachtet geblieben. Dies kann nicht allein mit der Einschüchterung durch die Regierung erklärt werden. Es liegt auch an der Erhöhung von Gehältern und Zulagen, die die Regierung in den vergangenen Monaten den Angestellten des öffentlichen Dienstes und den armen Familien gewährt hat. Und es liegt daran, dass bei allem Heldentum der Demonstranten für den unwahrscheinlichen Fall, dass das Regime plötzlich zusammenbricht, niemand auch nur die geringste Ahnung hat, was dann kommen wird. Einem internen Bericht des Regimes zufolge, der am 25. November von Hackern, die sich Black Reward nennen, veröffentlicht wurde, wollen 51 Prozent der Iraner, dass der Hidschab eine Frage der persönlichen Entscheidung ist, und 56 Prozent erwarten, dass die Proteste weitergehen. Aber mit welchem Ziel? Eine Opposition ohne klare Führung hat den Vorteil, dass sie nicht enthauptet werden kann. Doch so vielfältig wie diese Opposition ist, würde jede Diskussion über eine Post-Islamische Republik Iran die mühsam aufgebaute Einheit gefährden. Unter den heutigen Revolutionären wird jeder, der die Frage aufwirft, wie es weiter gehen soll, wahrscheinlich mit Phrasen wie 'Jetzt ist nicht die Zeit für solche Diskussionen' und 'Alles ist besser als diese Bande' abgewimmelt oder der Komplizenschaft mit der Islamischen Republik beschuldigt und mit deren Taktik, Angst zu verbreiten, dass auf den Sturz des Regimes das Chaos folgen wird."

Magazinrundschau vom 02.08.2022 - Guardian

Der Schriftsteller Mohsin Hamid hat immer geglaubt, dass trotz Kriegen, Klimawandel und anderen Katastrophen die Welt im Grunde eine gute ist und sich immer weiter zum Positiven entwickeln würde. In letzter Zeit hat er Zweifel: "Die Maschinenwelt ist eine binäre Welt, und mir scheint, dass wir gelernt haben, diese Nullen und Einsen auf unser Denken anzuwenden und unseren Impuls zu verstärken, uns gegenseitig in Gleiche und Ungleiche einzuteilen, und zwar zu einem Zeitpunkt, der historisch gesehen der denkbar ungünstigste ist: zu einem Zeitpunkt, da das Imperium im Rückzug begriffen ist und wir bereits dazu neigen, übermäßig zu sortieren und Reinheitstests zu fetischisieren. Das Ergebnis ist, wie wir überall um uns herum sehen können, ein katastrophales Zusammentreffen von Polarisierung, Militarismus, demokratischer Dysfunktion und Missachtung der Umwelt. So wie der tödlichste Aspekt von Covid, bevor es Impfstoffe und pharmazeutische Behandlungen gab, eine Überreaktion unseres Immunsystems auf das Virus war - der gefürchtete Zytokinsturm -, der in einem übereifrigen Versuch, die Krankheit zu bekämpfen, gesundes Lungengewebe zerstörte, so ist die Herausforderung, vor der wir jetzt stehen, eine Überreaktion unseres gesellschaftlichen Immunsystems aufeinander. Es ist ruinös für uns, wenn wir diejenigen, mit denen wir in irgendeiner Weise nicht übereinstimmen, pauschal als Nullen bezeichnen. Es unterschätzt die menschliche Fähigkeit zu chaotischer und unerwarteter Plastizität. Es müssen dringend andere Ansätze gefunden werden, um eine bessere, integrativere und gerechtere Zukunft zu erreichen."

Magazinrundschau vom 05.07.2022 - Guardian

Dass Janet Malcolm und Joan Didion ihre Gesprächspartner wie japanische Geisha bezirzten, hatte nichts mit Charme zu tun, stellt Peter Conrad klar, es war die bevorzugte Kampftechnik dieser beiden Starjournalistinnen, die nun, nach ihrem Tod, in die ruhmreiche Reihe "The Last Interview" aufgenommen wurden: "Janet Malcom verdiente sich ihren Platz aufgrund der Kämpfe, die zu führen sie gewählt hatte. In einem Fall, der die Gerichte zehn Jahre lang beschäftigt hielt, war sie gleich zweimal von einem Psychoanalytiker wegen Rufschädigung verklagt worden, den sie in ihrem Buch über die Freud-Archive 'einen intellektuellen Gigolo' nannte. Am Ende freigesprochen, bedauerte Malcolm nichts: 'Die Freiheit, grausam zu sein', glaubte sie, gehört zu den unangetasteten Privilegien des Journalismus'. Als sie einem Interviewer ihre Wohnung beschrieb, wies sie anerkennend auf die Risse im Sofa, das ihre Katze 'böse zerkratzt' hatte. Joan Didion suchte nie die Auseinandersetzung wie Malcolm, sie verdankte ihren Ruhm auch ihren modischen Accessoires. Während sie in Malibu lebte und in Hollywood als Drehbuchautorin arbeitete, kreuzte sie am Pacific den Küsten-Highway in einer kanariengelben Corvette; später, mit achtzig Jahren, als sie hinter ihrer eulenhaften Sonnenbrille geradezu schmerzlich verwundbar aussah, ließ sie sich zum Gesicht der französischen Modemarke Celine machen. Didions Interviewer erwähnen die Blässe und Zerbrechlichkeit, doch sie bemerken auch alle die krallenhafte Stärke ihrer Hände und die Intensität ihrer blauen Augen. Diese kleine, schrumpfende Frau trotzte jeder Gefahr während ihrer Einsätze als Kriegsreporterin in El Salvador, und im 'Jahr des Magischen Denkens', das sioe nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes schrieb, enthüllte sie die sentimentale Selbsttäuschung hinter der Trauer. Mit derselben natürlichen Toughness, widersetzt sie sich Interviewern, die ihr berufliche Geheimnisse entlocken wollen: 'Ich weiß nicht', antwortet sie schulterzuckend auf Fragen nach existenziellen Sprüngen in ihren Romanen, um dann etwas offener hinzuzufügen: 'Das ist nichts, was ich zu genau untersuchen möchten.'"

Magazinrundschau vom 21.06.2022 - Guardian

Dayanita Singh, File Museum, 2012. © Dayanita Singh


Orhan Pamuk singt im Guardian ein Liebeslied auf Dayanita Singhs Fotografien von Indiens zerfallenden Papierarchiven, die gerade mit dem Hasselblad Award ausgezeichnet wurde. Wenn er sie ansieht, steigt ihm sofort ein Geruch aus Flussschlamm und Fischschleim in die Nase, der ihn in die Vergangenheit beamt: "Ich sah dieselben Schränke, riesigen Ordner und Berge von Akten in den türkischen Behörden, die ich in den 1960er Jahren mit meiner Mutter und meinem Bruder besuchte, wann immer wir Impfunterlagen oder Eigentumsurkunden abholen oder eine Geburt registrieren mussten. Schon als Kind spürte ich, dass der Zauber dieses riesigen und monströsen Gebildes, das wir 'den Staat' nannten, an diesen Orten eine viel stärkere Anziehungskraft ausübte als in der Schule, bei militärischen Zeremonien oder bei den Feiern zum Tag der Republik. Was den Staat in erster Linie zu einem Staat machte, waren nicht seine Soldaten und Polizisten, sondern diese Ordner, Akten, Dokumente und Papiere. ... Der strenge, herrische Ton, in dem die meisten Beamten in den Ämtern zu uns sprachen, sowie die Tatsache, dass nie etwas reibungslos ablief (es schien immer ein Fehler vorzuliegen oder etwas zu fehlen), verstärkten unsere Wahrnehmung, dass der Staat mächtig und wir schwach waren." (Eine Ausstellung von Fotografien Singhs ist derzeit noch bis 7. August im Berliner Gropius Bau zu sehen.)

Magazinrundschau vom 03.05.2022 - Guardian

Die jüdische Diaspora im Norden und Süden Afrikas ist bekannt, doch auch in vorwiegend christlich und muslimisch geprägten Ländern Afrikas wie Nigeria haben sich in den vergangenen Jahren Gemeinden gebildet, die in ihrer Tradition Gemeinsamkeiten mit dem Judentum sehen, was sie aus ihrer Sicht als Israeliten legitimiert, berichtet Samanth Subramanian, der einige dieser Gemeinden besucht hat. Israel erkennt sie nicht an, liberalere Rabbiner aus den USA sehen in ihnen jedoch eine Chance für das Judentum, sich vielfältiger weiterzuentwickeln und zu verbreiten: "Neun von zehn nigerianischen Juden sind Igbo, fragt man sie nach dieser fast schon totalen Übereinstimmung, geben alle die gleiche Antwort: Laut ihrer traditionellen Erzählung stammen die Igbo von Gad ab, einem der Söhne Jakobs und Anführer von einem der zehn verlorenen Stämme Israels. Als Beweis verweisen sie auch auf die Bräuche der Igbo, die jene der Tora widerspiegelten: die Beschneidung eines männlichen Kindes acht Tage nach der Geburt, zum Beispiel, oder die Regelungen, wann eine menstruierende Frau als 'rein' oder 'unrein' gilt. Ein Mann, den ich in Abuja traf, hatte eine Liste mit hunderten Igbo-Wörtern zusammengestellt, die ähnlich wie ihre hebräischen Synonyme klangen. Ein anderer zeigte mir ein Video eines traditionellen Igbo-Tanzes, in dem ein Mann einen blau-weiß karierten Umhang trug - die gleichen Farben wie der jüdische Gebetsmantel. Ben Avraham, dessen Bart an schwarze Stahlwolle erinnert und der seine Schläfenlocken bis über den Kiefer trägt, ist auch ein Igbo. Als seine Unzufriedenheit mit der Kirche wuchs, glaubte er, der Judaismus könnte sich ungehindert mit seiner Igbo-Identität verweben. Doch er musste noch herausfinden, wie das Judentum praktiziert wird, dafür war sein Timing perfekt. In den 1990er und 2000er Jahren verkleinerte sich die Welt so stark und schnell, dass Igbo-Juden mit Hilfe ferner Ratschläge und dem Internet in der Lage waren, sich selbst ihren erwählten Glauben beizubringen. Während Ben Avraham lernte, jüdische Websites studierte, E-Mails an Rabbis im Ausland sendete und sich mit jüdischen Besuchern in Port Harcourt befreundete, um sie nach Informationen auszufragen, fühlte er sich mehr und mehr zu Hause. Jüdisch werden, sagte er, ist für die Igbo 'keine Entdeckung. Es ist eine Rückkehr'."

Magazinrundschau vom 22.03.2022 - Guardian

Während die Welt mit Corona beschäftigt war, sah sich Kenia mit einem unerklärlichen Phänomen konfrontiert: Die Pegel der großen Seen des Landes steigen in enormer Geschwindigkeit, wie Carey Baraka berichtet: Lake Baringo, Nakuru oder Naivasha haben sich um bis zu 50 Prozent ausgebreitet, zehntausende Familien mussten bereits umgesiedelt werden. Ein Regierungsbericht macht die durch den Klimawandel gestiegenen Regenfälle verantwortlich, Geologen tippen auf tektonischen Verschiebungen im Rift Valley. Doch selbst der in der Wüste gelegenen Lake Turkana weitet sich auch: "In einem Dorf an seinen Ufern beklagten die El Molo das Ansteigen des Sees. Die Dorfältesten erzählten mir, dass sie gezwungen waren, ihr Dorf Luyeni umzusiedeln, indem sie ihre Strohhäuser vorsichtig entwurzelten und sie weiter vom Wasser entfernt aufstellten. Während wir sprachen, schwebten weiße Möwen träge über dem Wasser, wie von einem Zephir getragen. Die Ältesten hatten bemerkt, dass der See immer größer wurde, und durch ihre Fischzüge wussten sie, dass er auch immer tiefer wurde. Sie erzählten mir von einer Straße, die zuletzt vor zehn Jahren benutzt worden war, bevor sie unter dem Wasser versank, und sagten voraus, dass die Straße, die ich genommen hatte, um nach Luyeni zu kommen, ebenfalls bald unter Wasser stehen würde. Sie wussten auch, dass dies nicht nur ein Phänomen der Turkana ist; sie hatten gehört, dass dasselbe in anderen Seen des Rifttals, sogar in Kisumu, passierte. Die Ältesten hatten ihre eigenen Theorien darüber, was mit ihrem See, Mpaso, in der lokalen Sprache der El Molo, geschah. 'Vielleicht gibt es eine gebrochene Quelle im Boden, vielleicht sind die Felsen zerbrochen, so dass das Wasser hochschießt', sagte einer von ihnen. Vielleicht ist der Fluss Omo in Äthiopien derjenige mit dem Riss, schlug ein anderer Älterer vor."