Post aus der Walachei

Mein Garten, sozusagen

Von Hilke Gerdes
22.07.2005. Früher wollten alle in die Stadt Bukarest ziehen. Heute wollen alle raus. Ein kleines Panorama des Wohnens in Rumänien.
Jesus

Eine Fahrt vom östlichen Rand in die Stadt hinein: So weit das Auge reicht, erstrecken sich die zehnstöckigen sozialistischen Wohnbauten, die für den neuen Menschen der neuen Ära geschaffen wurden. Die soziale Durchmischung war Programm und besteht bis heute. In nachbarschaftlicher Enge müssen alle miteinander auskommen. Wie in der Berliner Mietskaserne geht es im Bukarester Block eher anonym zu. Man grüßt sich und lässt sich in Ruhe. Wer fremd ist, wird wahlweise mit Erstaunen oder Misstrauen betrachtet, wenn er einen Guten Tag wünscht. Nur die Kinder und Alten treffen sich draußen zum Spielen beziehungsweise zum Plausch.

Vor den Hochhäusern werkeln die Männer an ihren Dacias. Der überall übliche Blockhund, ein von den Bewohnern durchgefütteter Straßenhund, lungert am Eingang herum.

Je höher die Wohnung liegt, desto mehr Tageslicht kann ihr Bewohner genießen. Aber auch die stickige Hitze im Hochsommer. Den Souterrain- und Kellerbewohnern Bukarests geht es in dieser Jahreszeit besser.

Wie dem 65-jährigen Hausmeister eines kleinen Blocks aus den dreißiger Jahren, der sich im Heizungskeller des Hauses eingerichtet hat. Im Sommer abgeschaltet, dienen die großen Heizkessel als Abstellfläche für allerlei Krimskrams. Im Winter verströmen sie eine angenehme Wärme. Alle zehn Minuten springen sie dann mit lautem Getöse an. Der Hausmeister hat sich daran gewöhnt. Nur für eine Unterhaltung stellt er sie ab.

Über der freistehenden Badewanne liegt ein Brett, auf dem er Petersilie und Selleriekraut trocknet. Für den Winter, für die Suppe. Er macht starken türkischen Kaffee mit viel Zucker auf einem richtigen Gasherd, der neben den Heizkesseln steht. Auf dem Tisch liegt ein Buch über chinesische Medizin. Hinter einem Vorhang ist ein Bett zu erkennen. Mitten im Raum verläuft irgendein Abfluss. Er ist mit Teppichstücken abgedeckt.

Der Raum hat keine Fenster. In zwei Blumenkästen sind Kräuter zu erkennen. Ob die wachsen ohne Sonnenlicht? "Ich probiere es einfach aus", sagt er. "Es ist schön etwas Grünes zu haben. Das ist mein Garten, sozusagen."

Er hat immer als Hausmeister gearbeitet. Seine Frau ist seit langem tot. Er hat eine Tochter und zwei Enkel. Es klingt nicht so, als ob sie sich oft sehen würden. Nachbarschaftliche Kontakte gebe es kaum; die Leute aus dem Haus sprächen nicht viel miteinander. Ihm gegenüber seien sie distanziert, sagt er lakonisch. Wie demonstrativ kühl und herablassend Bukarester mit Geld Bukarester ohne Geld behandeln, ist hier leicht zu beobachten.

Das Leben sei schwer, aber was solle man tun? "Asta e" - so ist es nun einmal. Er seufzt und zeigt auf die Jesus-Figur in der Uhr, die auf einem der Heizungskessel steht. Das ist die Hoffnung. Die Zeiger der Uhr bewegen sich nicht. Mit einem Handkuss und "Sarut mâna" (Küss die Hand) verabschiedet er den seltenen Besuch in seiner "Wohnung".


Improvisiertes Wohnen

Der Heizungskeller ist nicht das schlimmste Wohnen, wenn die Temperaturen im Sommer auf 35 Grad ansteigen oder im Winter auf minus 15 Grad absinken. Es gibt andere Wohnformen, die sich bei den klimatischen Verhältnissen hier als äußerst ungünstig darstellen: die selbst zusammengezimmerten Häuschen, wie sie knappe 500 Meter von Ceausescus Palast entfernt zu sehen sind. Hat das aus Blech- und Holzplatten bestehende Dach kein Loch und fällt der Regen des diesjährigen Flut-Sommers nicht ins Haus, so darf sich der Bewohner schon glücklich schätzen. So wie er froh sein kann, wenn im Winter die Innenwände nicht vereisen.

Dies ist das einzige Problem, das die Straßenkinder, die in der kalten Jahreszeit in den Warmwasserschächten der Stadt leben, nicht haben. Doch die Plätze sind hart umkämpft. Und nicht jedes der etwa 3000 obdachlosen Kinder, die es hier geben soll, gewinnt den Kampf. Und nicht alle kommen zu den Hilfsorganisationen wie Concordia, die eine der guten Einrichtungen zu ihrer Resozialisierung ist.

Jugendliche des rumänischen Malteserverbandes in einer Kleinstadt nahe Kronstadt planen für Obdachlose alte Eisenbahnwaggons herzurichten. Das ist billiger als Unterkünfte zu bauen, zumal sich die meisten Obdachlosen sowieso nicht von ihren angestammten Plätzen an den Bahnhöfen vertreiben lassen. Die Idee kommt aus Ungarn, wie der Sprecher der Jugendorganisation betont. Jetzt wartet sie auf die Genehmigung.


Traditionelles Wohnen

Der Ortsfremde könnte auf die Idee kommen, dass die rumänischen Menschen das kommunikative Miteinander zu Hause besonders geschätzt haben, denn bei vielen Altbauwohnungen sind ein oder zwei der Räume Durchgangszimmer. Grund dafür ist allerdings weniger der Wunsch nach Geselligkeit als die traditionelle Parzellierung. Es gab hier Ende des 19. Jahrhunderts keine Blockbauweise mit entsprechenden Innenhöfen, sondern es wurde länglich parzelliert, so dass neben dem Haus ein kleiner Streifen für Gemüsebeete, die Hundehütte, die Hühner, Ziegen oder auch Schweine blieb. Bukarest war eine ländlich geprägte Stadt. Noch heute kann der aufmerksame Beobachter mit ein bisschen Glück in vorweihnachtlicher Zeit Zeuge eines Schweineschlachtens werden. Und auf struppig bewachsenen Brachen mitten in der Stadt hat jemand sein Pferd angepflockt und lässt seine Schafe grasen.

Das typische Wohnhaus aus dem 19. Jahrhundert ist einstöckig und sieht mit Dreiecksgiebel über der Haustür, Pilastern, Gesims und Fries aus wie ein klassizistisch dekorierter Schuhkarton. Durch die Stadt wandernd, sind diese Bauten in den zentralen Bereichen noch recht häufig zu entdecken. Putz bröckelt von ihren Fassaden. Und man spürt beim Anblick der Fenster, wie es in den Räumen zieht.

Das große Erdbeben 1977 bot den Vorwand und die Gelegenheit, abzureißen statt zu reparieren. Und so Platz zu schaffen für die Bauprojekte Ceausescus, die eine West-Ost-Achse in die historisch von Süden nach Norden gewachsenene Stadtstruktur schlugen.

Neben dem klassizistischen Schuhkarton haben sich große Villen erhalten, die im Zentrum und vor allem im feinen Stadtteil Dorobanti stehen. Sie sind im so genannten Brancoveanu-Stil errichtet, der westliche, östliche und lokale Bauformen vereint und auf den um 1700 die Walachei regierenden Fürsten Constantin Brâncoveanu zurückgeht. Mit ihren Türmchen, Loggien, Arkadengängen, byzantinischen Bögen und prächtigen Stein-und Terrakotta-Dekors erinnern diese Bauten an großbürgerliche Zeiten. Sind diese Villen heute saniert, ist dort entweder ein schickes Restaurant, eine Botschaft oder ein Ausländer eingezogen.


Begehrter Wohnort

Bukarest war während des letzten Jahrzehnts der Ceausescu-Regierung eine geschlossene Stadt geworden. Nur durch Eheschließung oder Sondergenehmigung konnte man in den besser versorgten Ort ziehen. In den letzten Jahren vor 1989 wurde nur noch wenigen Hochschulabgängern eine Stelle in Bukarest zugewiesen. Studenten, die sich in der Partei engagierten oder der Securitate nahe standen, bekamen einen Bonus auf ihre Abschlussnote und somit ein Vorzugsrecht für eine Arbeitsstelle in Bukarest.

1979 wurde es selbst den Vorstädtern unmöglich gemacht, den begehrten Hauptstadtausweis zu erhalten. Ceausescu ließ die Gemeinden, die zuvor zu dem Munizipium Bukarest gehört hatten, zu einem separat verwalteten landwirtschaftlichen Sektor Ilfov zusammenfassen.


Besseres Wohnen

Heute will nicht mehr jeder in die Stadt hinein, sondern lieber heraus. Vorzugsweise in den grüneren Norden, dorthin, wo die Seen liegen. Nahe am nördlichen Stadtrand ist ein bizarres Gemisch von Altindustrie, neuem Gewerbe, kleinen Altbauten in unbefestigten Straßen und flächendeckenden Wohnparks entstanden. Morgens und abends bewegen sich Dutzende von Bauarbeitern zu Fuß zwischen Bushalte- und Baustelle, während die Bewohner der fertig gestellten Häuser mit ihren Geländewagen an ihnen vorbeiziehen.

Hier wohnen Botschaftsangehörige, ausländische und einheimische Manager und Menschen, bei denen sich die Leute fragen, wie sie zu dem Geld gekommen sind, das man hier braucht. Die monatliche Miete für ein Haus beträgt in dieser Gegend leicht um die 4000 Euro. Auch die Kaufpreise sind hoch. Und wer kauft, bezahlt das meiste vom eigenen Geld, denn Kredite sind teuer. Von Zinsen unter fünf Prozent (wie in Deutschland) kann der Hausbesitzer hier nur träumen. Das Doppelte ist üblich. Einen schönen Einblick in das Bukarester Wohnen der Upper Class bietet die Website eines der größten Immobilienmaklers Rumäniens. Für Qualität geworben wird mit "deutscher Bautechnik" und "Buderus-Heizungsanlage".


Gedränge

Das große Geld mit Immobilien hat die alte Nomenklatura gemacht. Als Immobiliengesellschaften konnten sie in den ersten Monaten nach Ceausescus Sturz Häuser und Wohnungen zu Niedrigstpreisen erwerben. Auch heute noch aktivieren Politiker gern ihre verwandtschaftlichen Beziehungen, wenn es um günstige Gelegenheiten geht. So ergibt sich ein schönes Knäuel an Besitzverhältnissen, das zu entwirren selbst ein kritischer Justiziar seine Mühe hätte.

Inzwischen tummeln sich auch viele in- und ausländische Großinvestoren auf dem Markt. Keiner will die Chancen verpassen. Die Preise klettern nach wie vor, noch scheint der Höhepunkt nicht erreicht zu sein. Für diejenigen, die jetzt erst kaufen, sind die Traumrenditen allerdings vorbei. Zu überhitzt ist der Markt.

So mancher Wohnbau wird schnell hochgezogen, ohne Rücksichtnahme auf Bauvorschriften. Pech gehabt, wenn man in einem Haus wohnt, an das die Feuerwehr wegen verbauter Wege nicht herankommt. Oder wo nebenan eines schönen Tages ein mehrstöckiger Block errichtet wird, der einem die Terrasse verschattet.


Die Zukunft

Ein 5.000 Quadratmeter großer Komplex mit zwei Haustypen, die "einfachere" Variante mit 200 Quadratmeter Wohnfläche, die andere mit 350. Ein schmaler Grünstreifen vor dem Haus und großem Carport daneben. So sieht eine typische Wohnbauplanung im Jahre 2005 aus. In ihrer architektonischen Monotonie ähneln die Resultate amerikanischen Vorstädten oder deutschen Neubaugebieten. Auch so hochtrabende Namen wie "Ibiza Residential Park" können darüber nicht hinwegtäuschen. Dessen gleichförmige Häuser aus rotem Ziegelstein erinnern eher an die Tristesse norddeutscher Kleinstädte als an Mittelmeer-Heiterkeit.

Solche Wohnparks bieten hohen Wohnkomfort. Komplett eingerichtete Küchen, Marmorböden, Gemeinschafts-Tennisplatz und Swimmingpool. Wie Kraken breiten sie sich am Rand der Stadt aus.

In 15 bis 20 Jahren kann sich eine einfachere Version die bis dahin hoffentlich entstandene Mittelschicht leisten. Zu ihrem Wohl und zum Leidwesen der Stadtlandschaft. Wer den Westen kennt, sieht schon die monotonen Neubaugebiete vor sich, die lange Wege zur Arbeit bedeuten und damit noch mehr Staus. Neben denen der große Supermarkt liegt mit viel Parkplatzfläche, denn selbst für den Bewegungswilligen sind die Straßen so häßlich, dass er sie ungern zu Fuß geht.

Zersiedelung und Versiegelung kümmert den Einzelnen nicht. Wer es sich leisten kann, zieht raus aus der Stadt. Besonders, wer Familie hat. Denn Stadt bedeutet Lärm, Gestank und Hektik. Und es gibt für die Kleinen wenig Raum, um sich gefahrlos zu bewegen. Argumente für das Häuschen am Rande. Hier genauso wie anderswo. Und hier ist es ebenso schwierig, wenn nicht noch schwieriger, Alternativen zum Vorstadtteppich zu entwickeln und zu realisieren.

Während an den Rändern Neubauten entstehen, zerbröckeln die Häuser im Zentrum. Ihren Bewohnern fehlen die finanziellen Mittel für den Erhalt. Von städtischer Seite gibt es keinerlei Programme, die Sanierung zu fördern. Und private Kaufinteressenten gibt es wenige. Noch immer sind bei vielen Häusern die Eigentumsverhältnisse unklar. Wer steckt schon Geld in ein Haus, auf das jemand ein Anrecht hat, der sich noch nicht gemeldet hat, aber vielleicht doch noch auftaucht? In zwei Jahren ist die Meldefrist endgültig abgelaufen (falls sich die Gesetze nicht ändern). Dann kann es theoretisch losgehen mit der Restaurierung der Bukarester Altstadt ­- wenn nicht ein neues Erdbeben dazwischenkommt.