Post aus Seoul

Samt Gewehrkugel

Von John Lambert
11.09.2019. Japaner und Koreaner streiten  über die Vergangenheit. Die Beziehungen sind so vergiftet, dass Reisen zwischen den beiden Ländern seltener werden und sich die Konsumenten gegenseitig boykottieren. Wenn wir in Seoul bei Uniqlo einkaufen, ist das für uns von Vorteil.
Liebe Perlentaucher!

 Statue einer "Trostfrau" auf dem Gelände der Ehwa University, Fotograf: Seudo. Veröffentlicht unter CC-Lizenz in der französischen Wikipedia.

Einer der bewegendsten Anblicke, die man in Seoul zu sehen bekommt, muss die Statue der Wianbu - einer "Trostfrau" also, die eigentlich kaum älter als ein Mädchen ist - im Studentenviertel der Ehwa Frauenuniversität sein. Sie steht da, angezogen im traditionellen Hanbok, und guckt. Woran sie denkt, weißt man nicht. Alle aber wissen, woran sie erinnert, und zwar an die Leben, die von der Sexsklaverei der japanischen Armee vor und während des Zweiten Weltkrieges gebrochen wurden. Diese Erinnerungen sind hier hellwach: in den Zeitungen, in akademischen Kreisen, in Augenzeugenberichten, und und und.

Die Trostfrauenerinnerungsdebatte hat neulich sogar für einen internationalen Kunsteklat gesorgt. Anfang August wurde ein Werk, das ein neben einem leerstehenden Stuhl sitzendes koreanisches Mädchen zeigt, wegen angeblicher Sicherheitsbedenken aus der japanischen Aichi-Triennale entfernt. Prompt setzten sich Frauen weltweit hin und knipsten Bilder von sich selbst neben leeren Stühlen, die sie solidarisch unter dem Hashtag #aichitriennale twitterten. Zurecht, so empfindet man, denn die Koreaner sind nach wie vor stinksauer über die japanische Besatzung und vor allem über die mangelnde Reue seitens der japanischen Regierung - von einer ausgeprägten Erinnerungskultur ganz zu schweigen. (Die taz berichtete neulich über dasTthema, unser Resümee.)

Politisch geht es darum seit dem Sommer bergab zwischen den beiden Ländern. Japan erließ'Exportbeschränkungen auf Chemieprodukte und strich Südkorea von der weißen Liste vertrauenswürdiger Handelspartner und reagierte damit auf eine Verfügung eines koreanischen Gerichts, die japanische Unternehmen auffordert, Entschädigungen für Zwangsarbeit während des Zweiten Weltkriegs zu zahlen. Daraufhin entzog Korea Japan den bevorzugten Handelspartnerstatus und kündigte ein militärisches Geheimabkommen mit Tokio auf. Ein japanischer Politiker forderte nun gar wegen der umstrittenen Insel Dokdo im japanischen Meer - in Korea "Ostmeer" genannt - Krieg.

in der koreanischen Hauptstadt folgten riesige Demos, wo Protestler vorgedruckte "No Abe"-Schilder hochhielten und einen Boykott japanischer Produkte verlangten. Gesagt, getan: Bei der japanischen Klamottenkette Uniqlo, wo wir oft für unsere Kinder einkaufen gehen, müssen wir seit langem nicht mehr an der Kasse anstehen: weit und breit keine Kunden. Auch ist die Anzahl der Koreaner, die nach Japan fliegen, komplett eingebrochen. Ende August erklärte die japanische Billigfluggesellschaft Peach Aviation, mit der wir im letzten Jahr nach Okinawa flogen, dass sie mehrere Flugverbindungen nach Korea einstellt.

Wenn es dabei nur bleiben würde: Zeitungen berichten von Schildern, die den englischen Ausdruck "No Japs allowed" klanggetreu auf Koreanisch umschreiben und die vor mehreren Geschäften in Downtown Seoul hängen sollen. Die Reaktion auf japanischer Seite ließ nicht lang auf sich warten: Letzte Woche berichteten koreanische Zeitungen besorgteinen Drohbrief samt Gewehrkugel,der an die koreanische Botschaft in Tokio ging. "Ich bin auf Koreanerjagd" stand da.

Koreas Präsident Moon Jae-in blickt trotz der sich verschlechternden Verhältnisse positiv nach vorn. Am Tag der Befreiung Koreas Mitte August - dem einzigen Feiertag, der in beiden Koreas begangen wird - wiederholte er oft das Wort "Dongasia", welches für einen breit gefächerten Wirtschafts- und Kooperationsraum in Nordostasien steht. Worte der Zuversicht, die Tradition haben: In der 1919 ausgerufenen Unabhängigkeitserklärung - man musste also lange warten, bis sie verwirklicht wurde - hieß es (meine Übersetzung): "Unabhängigkeit für Korea wird nicht nur den Koreanern ein normales, wohlhabendes Leben erlauben; sie wird auch Japan aus dem Weg der Bosheit führen."

Ganz herzlich
John

John Lambert ist ehemaliger Perlentaucher-Mitarbeiter und war Chefredakteur des englischsprachigen, vom Perlentaucher bis 2010 herausgegebenen Kulturmagazins signandsight.com. Seit zwei Jahren lebt und arbeitet er als Übersetzer in Seoul.