Paul Feyerabend

Naturphilosophie

Cover: Naturphilosophie
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009
ISBN 9783518585146
Gebunden, 382 Seiten, 24,80 EUR

Klappentext

Herausgegeben und mit einem Vorwort versehen von Helmut Heit und Eric Oberheim. Paul Feyerabend, Philosoph, Physiker, Anarchist, war einer der unkonventionellsten Wissenschaftler seiner Zeit. Sein "Anything Goes" ist zum Label geworden. Wenig bekannt ist, dass Feyerabend über viele Jahre an einer auf drei Bände angelegten Naturphilosophie gearbeitet hat, die den Zeitraum von den frühesten Spuren steinzeitlicher Höhlenmalerei bis zur Atomphysik des 20. Jahrhunderts umfassen sollte - ein Projekt, das ihn, wie er in einem Brief an Imre Lakatos schrieb, fast um den Verstand brachte: "Damn the Naturphilosophie."
Das Manuskript des Buches galt lange als verschollen. Durch einen Zufall wurde nun im Archiv der Universität Konstanz ein Typoskript gefunden, das den ersten Band des geplanten Projektes umfasst. Feyerabend untersucht die Bedeutung der Mythen für die Frühzeit der Naturphilosophie und den Übergang von Homers "Aggregatuniversum" zu Parmenides' Einheitsdenken. Fokus seiner Überlegungen ist der - aus seiner Sicht verheerende - Aufstieg des Rationalismus in der griechischen Antike und die damit einhergehende Trennung des Menschen von der Natur.
Der Band enthält zahlreiche Abbildungen (u. a. von archaischen Kunstgegenständen) und eigenhändige Skizzen Feyerabends. Er wird ergänzt durch einige bislang unveröffentlichte biografische Dokumente, die das Gesamtbild des Denkers vervollständigen. Eine Einführung der Herausgeber klärt über die Stellung der Naturphilosophie im Denken Feyerabends auf.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 28.11.2009

Wie wenig das von der Mit- an die Nachwelt vererbte Klischee vom Philosophen Paul Feyerabend als Verfechter einer wissenschaftstheoretischen Beliebigkeit zutrifft, das werde in seinem postumen Werk noch einmal deutlich. Findet der Rezensent Cord Riechelmann, der dieses Buch zur "Naturphilosophie" gar als Feyerabends "bestes und aktuellstes Werk" lobt. Stets sei es dem Denker darum gegangen, in der Wissenschaft den Möglichkeitssinn lebendig zu halten - und nur deshalb insistierte er stets darauf, dass auch andere als die gängigen Methoden und Zugänge als denkbar präsent zu halten seien. In seiner "Naturphilosophie" beharrt Feyerabend darauf, dass klare Deutungen eines Kulturkreises, dem man nicht angehört, unmöglich seien und auch darauf, die scheinbar ewige Natur mit der Geschichte vermittelt zu sehen, so der Rezensent. Dafür greife Feyerabend in wissenschaftstheoretisch bis zu den Griechen zurück und bezweifele an anderer Stelle grundsätzlich den rein magischen Charakter der Höhlenmalerei. Gerade angesichts eines aktuellen Gefühls von "Alternativlosigkeit" kann Riechelmann eine neue Aufmerksamkeit für das Feyerabendsche Denken nur dringend empfehlen.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 29.09.2009

Der hier rezensierende, in Zürch Philosophie lehrende Michael Hampe hat diesen nachgelassenen Text Paul Feyerabends mit Gewinn gelesen. Den beiden Herausgebern Helmut Heit und Eric Oberheim ist er dankbar dafür, Feyerabends Entwürfe zu einer Propädeutik der Naturphilosophie aus der Achivkiste geholt zu haben. Herausragend ist das Buch für Hampe in seiner knappen Dokumentation einer Odyssee durch das europäische Denken über die Natur. Steinzeit, Homer, Gegenwart. Laut Hampe erkennt der Autor über den Blick zurück das Heraufziehen einer neuen, jedoch an sogenannte primitive Entwicklungsstufen anknüpfenden Naturphilosophie, in der Mensch und Natur nach dem Verschwinden objektivierender Wissenschaft eine Einheit bilden. Besonders beeindruckt zeigt sich Hampe von Feyerabends Analysen urzeitlicher Astronomie und den Navigationskünsten der Polynesier. Auch wenn ihm die Forschungen, auf die sich der Autor in seinem über zwanzig Jahre alten Text beruft, zum Teil überholt erscheinen. Feyerabends Plädoyer für den Relativismus in der Geschichte des Denkens, seine Lektion in "postkolonialer" Vergangenheitsbewältigung und der Ansporn zu einem neuen Naturverständnis, den der Rezensent aus der Lektüre mitnimmt, machen das Buch für ihn lesenswert.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 11.09.2009

Den Versuch der Wiederweckung des Archaischen kennt Willy Hochkeppel aus den Schriften Karl Poppers und Martin Heideggers. Derart frisch und frei von jeglichem Gelehrtenslang wie bei Paul Feyerabend, diesem enfant terrible der Wissenschaft, hat Hochkeppel sich die Armut unserer szientistischen Weltsicht allerdings noch nicht auseinandersetzen lassen. Zwar enthält der Band im Vergleich zu Feyerabends großen Arbeiten nichts wesentlich Neues. Die Vorzüge eines frühzeitlichen, mythischen Natur- und Menschenverständnisses lässt sich der Rezensent jedoch gern noch einmal so provozierend und dicht und literaturgeerdet wie hier vorführen. Am Ende erkennt Hochkeppel die Botschaft und auch die Crux von Feyerabends Perspektive: Schuld an der "Verhunzung" des abendländischen Denkens ist demnach die Metaphysik nach Parmenides. Eine Kombination aus moderner Wissenschaft und archaischem Denken, wie sie Feyerabend vorschwebt, kann sich Hochkeppel jedoch nicht vorstellen. Das hieße zurück auf die Bäume.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 28.05.2009

Rezensent Andreas Weber ist sehr froh, dass das verlorene, oder von Paul Feyerabend offensichtlich gezielt verschlampte Manuskript dieses Buchs von zwei Berliner Philosophen zufällig in einem Archiv wiedergefunden wurde. Denn es bringt für ihn einen Fehler in der rationalen Hintergrundmetaphysik auf den Punkt, die aus seiner Sicht unsere Zivilisation steuert und damit auch als Kommentar zur aktuellen Krise gelesen werden kann. In seiner Suche nach dem entscheidenden "Rationalitätsknacks" in unserer Zivilisation geht dieses Buch nach Ansicht Webers sogar noch weiter als das Werk, das bisher als Feyerabends Hauptwerk galt, "Wider den Methodenzwang" aus dem Jahr 1975. Besonders kann das Buch den Rezensenten mit der These einnehmen, dass das Sein niemals allein das Bewusstsein bestimme, sondern dass jede Kultur in einer Halluzination von der Wirklichkeit befangen sei. So sei die Welt Feyerabends im Gegensatz zu den Optimierungsökonomen, zu denen Weber auch Sprachwissenschaftler und Naturwissenschaftler zählt, unfassbar offen und deshalb genau das, was die Welt momentan brauche, um sich verändern zu können.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.04.2009

Rezensent Helmut Mayer begrüßt den nun vorliegenden ersten Band einer Darstellung der Naturphilosophie aus dem Nachlass des Wissenschaftsphilosophen Paul Feyerabend. Er erinnert an Feyerabend als einen "Star der Wissenschaftskritik", dessen Buch "Wider den Methodenzwang" in den 1970er Jahren den Wissenschaftsbetrieb gehörig aufgemischt hat. In vorliegender "Naturphilosophie" stößt er - wenig verwunderlich - auf Motive, die sich auch in anderen Werken Feyerabends finden. Besonders betont er in diesem Zusammenhang Feyerabends kritische Sicht auf die Etablierung des abendländischen Wissenschaftsideals, die mit Parmenides zum Durchbruch gekommen sei. Die Ausführungen zu urzeitlicher Kunst und Theorien des Mythos muten Mayer allerdings ein wenig wie "Literaturberichte" an. Mehr Profil gewinnt die Darstellung für ihn im letzten Kapitel, wo Feyerabend einen Überblick über "Odyssee des wissenschaftlichen Geistes" von Aristoteles bis zur Quantenmechanik gibt, der zugleich als eine Inhaltsangabe für die zwei weiteren geplanten Bände fungiert.
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