Andreas Maier

Kirillow

Roman
Cover: Kirillow
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005
ISBN 9783518416914
Gebunden, 352 Seiten, 19,80 EUR

Klappentext

Mehr als Freundschaft, fast so etwas wie Wahlbrüderschaft verbindet Frank Kober und Julian Nagel, die an der Universität in Frankfurt am Main studieren. Kein Fachgebiet scheint sie zu beschäftigen, sondern ganz prinzipiell die Frage, wie falsches und wahres Leben zu unterscheiden sind. Während Kober in jüngster Zeit still, ja beunruhigend schweigsam geworden ist, hält Julians Erregung ihn selbst und den Freundeskreis, zu dem neuerdings einige Russinnen und Russen gehören, mit Überraschungen und Provokationen in Atem.
Von einem Andrej Kirillow im fernen Chabarowsk, der Julian, mehr noch Kober ähneln soll, kursiert ein Manifest über den Zustand der Gesellschaft, das eifrig verteilt und besprochen wird. "Die Menschheit funktioniert wie ein Krebsgeschwür, und ihr Wachstumsauslöser ist das Streben nach Glück und Wohlbefinden." Bei einem Ausflug bringt Julian als Ausweg die Selbsttötung ins Spiel. Wenig später bricht die Gruppe zur alljährlichen Demonstration gegen die Castortransporte ins Wendland auf. Dort startet Julian zu einer verwegenen, nächtlichen Einzelaktion.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 20.04.2005

Nico Bleutge schätzt Andreas Maier als einen "klugen Autor", doch fürchtet er, dass Maier mit diesem Roman in eine selbst gestellte Falle getappt ist. Worum geht's? Ums Gerede, ums große Gequassel, wie Bleutge erklärt: Im undurchdringlichen Geflecht der "Meinungen, Erfindungen und kleinen Lügen" werde jede Erkenntnis unmöglich. Mit diesem Grundthema bleibe sich der Erzähler treu, obschon Setting und Erzählstruktur hier von Maiers vorangegangenen Werken auffälig abweichen. Nicht mehr in der Provinz lässt Maier seinen Roman, sondern in Frankfurt spielen. Eine Neuerung sei auch der "Prolog in der Hölle", der das "Knäuel aus Stimm- und Geräuschfäden" der beiden ersten Romane aufhebe und durch einen überlegenen Erzähler ersetze. Aber diese "moralische Instanz", wie Bleutge sagt, ist es, die es nach der inneren Logik der Erzählung gar nicht geben dürfte. So muss Andreas Maier sich von der Rezension den Vorwurf lassen, über "jene elementare Katastrophe" zu stolpern, "die auch seinen Figuren zum Verhängnis wird: die Inkonsequenz".

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 17.03.2005

Ulrich Greiner, der seine Besprechung von "Kirillow" in ein größeres Interview mit Andreas Maier einbettet hat, hält den Roman für "abgrundtief ernst und verzweifelt komisch", wobei er diese Haltung als der heutigen Lage für durchaus angemessen hält. Maier habe mit dieser Geschichte einer Gruppe Frankfurter Studenten, die sich über die "tiefsten Fragen" der Welt den Kopf zerbrechen und schließlich nur noch die Gewalt als Ausweg sehen, eine "neue Stufe seines Könnens" erreicht. Der Erzähler ist nicht fest, er springt von Person zu Person, und wie bei Dostojewskij erlebt der Rezensent, wie man tiefer und tiefer in die irreale Welt der "Sinnsucher und Kneipenschwätzer" eindringt, ohne dabei zu erfahren, was die reale Alternative wäre. Auch die "unmerklichen" Übergänge vom "Schwach- zum Tiefsinn" habe sich Maier bei dem großen russischen Vorbild abgeguckt. Wirklich "meisterlich" findet Greiner schließlich das "Anschwellen" der wirren Gedanken bis hin zu einer "Philosophie der unbedingten, abstrakten Tat, die aber zu nichts führt".

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 16.03.2005

Im dritten Roman von Andreas Maier wird vor allem "bramarbasiert" und gebechert, und das milieuübergreifend, stellt Ina Hartwig fest. Das Saufen verbindet "Spießer", Studenten, Russlanddeutsche und Umweltschützer, wobei der "Kontrollverlust Programm" ist, wie die Rezensentin vermutet. Sie kann sich nicht ganz entscheiden, ob sie es hier mit "Ernst oder Klamauk" zu tun hat, aber immerhin bescheinigt sie dem Autor eine "getriebene, obsessive" Schreibweise und stellt ihn dafür in eine Reihe mit Elfriede Jelinek und Arnold Stadler. Im Mittelpunkt des Romans steht der "unangenehme Narziss" Julian Nagel, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, "jeden brüskieren zu wollen", und seine Freunde Eva, Anna und Frank. Diese Gruppe junger Erwachsener schwankt zwischen Verzweiflung und Eitelkeit und vor allem die Männer werden von "Angst" beherrscht, so Hartwig weiter. Daneben spielt noch ein Traktat eines gewissen Andrej Kirillow - der Name ist Dostojewskis "Dämonen" entliehen - über den "Weltzustand" eine Rolle, außerdem fungieren die der Gruppe der Freunde gegenübergestellten Russen und Russlanddeutschen als "Dostojewski-Zitat", wie die Rezensentin erklärt. Die "Phrasen und Floskeln", in denen die Protagonisten kommunizieren, erlauben keine "Unterscheidung zwischen Schwachsinn und Scharfsinn, zwischen Ressentiment und hohem Gefühl", notiert Hartwig, die das zwar als "Methode dieser Art Volksliteratur", wie sie Maier hier betreibt, versteht, darin aber auch ein "Problem" sieht, was allerdings nicht näher ausgeführt wird.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 15.03.2005

"Die Idee war gut. Warum ist die Ausführung nur so missraten?" Not amused ist Thomas Steinfeld über die Mischung aus "Anmaßung und Renommiersucht", mit der Andreas Maier die Dämonen Dostojewskis auf eine Gruppe Studenten im heutigen Frankfurt am Main überträgt. Gewiss gebe es Analogien zwischen der Orientierungslosigkeit im zerfallenden Zarentum und im gegenwärtigen Deutschland, aber der Autor will zuviel und macht das dann auch noch falsch. Maier möchte den philosphischen Terrorismus in den verkleinerten deutschen Verhältnissen parodieren und zugleich die Ernsthaftigkeit des Vorbilds bewahren. Was dabei herauskommt sei ein "Verhau aus einer weltanschaulichen Tragödie und der absurd-komischen 'Trilogie des laufenden Schwachsinns' nach Eckhard Henscheid", schimpft Steinfeld. Dass alles im Geschwätz untergehen muss, identifiziert der Rezensent als "allzu deutliche" Botschaft des Buches. Aber: "Warum wird in diesem Roman so viel geschwätzt?" Entnervt vom "onkelhaften Humor" Maiers etikettiert der Rezensent ihn als "besonders hoffärtigen deutschen Schriftsteller", der nur vorgibt, "echten Sprengstoff" in der Hand zu halten.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 26.02.2005

Von unverhohlener Bewunderung zeugt Jörg Magenaus ausführliche Besprechung von Andreas Maiers jüngstem Roman "Kirillow", mit dem dieser sich laut Rezensent "in die vorderste Reihe der deutschen Gegenwartsliteratur" geschrieben hat. Wie schon in den "Dorf-Romanen" "Wäldchestag" und "Klausen" erweist sich Maier für den Rezensenten als Meister "der Macht des Gerüchts und der Angst vor Fremdem und Unbekanntem". In "Kirillow" sei es zunächst der Student Frank Kober, um den sich das Gerede seiner Hausmitbewohner "in endlosen Schleifen" spinne. Diese von "etceteras" strukturierte "Sermonhaftigkeit" verdeutlicht bereits, so Magenau, wie Maier Sprache und Welt zueinander stehen lässt: "Alles was ist, ist Geschwätz" und was geschieht, "wird weniger vollbracht als herbeigeredet". Dies gilt sowohl für den Mikrokosmos der Hausgemeinschaft wie für den Makrokosmos der Welt und der Politik, die sich seiner habhaft machen will. In genau dieser Welt der Politik bewegt sich auch der Student Kober und seine - eher redseligen als aktiven - radikalen Mitstreiter, die es schick finden, mit eingewanderten Russen zu sympathisieren. Und so wie Kober das geheimnisumwobene Zentrum des Treppenhausgeschwätzes ist, so wird ein gewisser, im entlegenen russischen Heimatdorf der Einwanderer lebender (und titelgebender) Kirillow, dessen Manifest gegen das Streben nach Glückseligkeit in aller Munde ist, zur sagenumwobenen "Leerstelle im Zentrum des Romans", beschreibt Magenau seine Lektüre. Und so lautet sein Fazit: "Mit 'Kirillow' vollbringt Andreas Maier das Kunststück, einen politischen Roman zu schreiben, der alle Möglichkeiten, politisch zu werden, lustvoll ironisch zerlegt und der doch nichts Resignatives ausströmt."