Per Leo

Der Wille zum Wesen

Weltanschauungskultur, charakterologisches Denken und Judenfeindschaft in Deutschland 1890-1940
Cover: Der Wille zum Wesen
Matthes und Seitz Berlin, Berlin 2013
ISBN 9783882219814
Gebunden, 734 Seiten, 49,90 EUR

Klappentext

Per Leo fragt nach den geistesgeschichtlichen Wurzeln von Rassismus und Judenverfolgung im Nationalsozialismus. Am Beispiel des charakterologischen Diskurses rekonstruiert Leo die Route, auf der das allgemeine Problem menschlicher Ungleichheit und die besondere Frage nach dem "jüdischen Wesen" ihren Weg aus dem 19. ins 20. Jahrhundert fanden. Indem er darstellt, wie ab 1900 die Charakterologie - mit dem Philosophen und Graphologen Ludwig Klages als Leitfigur - zu einem zentralen Orientierungspunkt in der deutschen Geisteslandschaft wurde, ermöglicht Leo auch eine neue Sicht auf die immer noch ungeklärte Frage, wie die deutsche Bildungsschicht im Dritten Reich ankommen konnte. War es nicht möglich, persönliche Individualität ebenso als Charakterform aufzufassen wie rassische Typizität? Musste das "Land der Dichter und Denker" in der Naziherrschaft wirklich untergehen?

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.02.2014

Anders als Götz Aly in seinem Buch "Warum die Deutschen? Warum die Juden?" bleibt Per Leo für Patrick Bahners nicht den Mustern der Volkscharakterkunde verhaftet, sondern versucht, aufklärerisch und mitunter durchaus aphoristisch zuspitzend, wie Bahners einräumt, in seiner Mentalitätsgeschichte des Nationalsozialismus Gedankenverbindungen und ihre Wirkungsweise zu analysieren. Wenn der Autor dabei die Charakterologie als wichtigen Bestandteil herausarbeitet, hat Bahners allerdings einen Einwand. Die Marginalisierung der Schriften Ludwig Klages' durch Leo versteht er nicht. Seiner Meinung nach verpasst der Autor damit eine Chance und unterschätzt Klages im Zusammenhang mit seinem Thema.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 02.12.2013

Thomas Steinfeld holt weit aus in seiner Besprechung dieser Studie des Historikers und Philosophen Per Leo zu den geistesgeschichtlichen Ursprüngen von Rassismus. Mit Leo erzählt er uns von der Graphologie und ihrem Untergang. Ohne das eingehende Lob für die Arbeit als einen literarisch verfassten Gesamtentwurf schmälern zu wollen, meldet Steinfeld allerdings auch Kritik an. Zum einen möchte er Leos Kontrastierung von Charakterologie und rationalem Denken widersprechen. Zum anderen vermisst er den Schluss aufs Politische, eine Antwort auf die Frage, wieso sich die im Buch behandelten sogenannten Unterscheidungslehren zu einem bestimmten Zeitpunkt radikalisierten. Dass die Charakterologie eine "weltanschauliche Brücke" zwischen dem deutschen Bildungsbürgertum und den Nationalsozialisten geschlagen habe, wie der Autor schreibt, kann Steinfeld jedenfalls nicht finden.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 30.10.2013

Dankbar ist Judith Leister dem Autor dafür, mit seinem Buch den Weg von der deutschen Weltanschauungskultur und Charakterologie, etwa in Goethes Morphologie oder bei Schopenhauer, zu Rassismus und Antisemitismus im Dritten Reich in Erinnerung zu bringen. Laut Leister schreibt Per Leo damit anhand verschiedener Denker und Autoren eine Denkgeschichte der bislang eher vernachlässigten Art. Interessante Diagnosen bietet der seinen Stoff souverän handhabende Autor der Rezensentin, so über den "gebildeten" Antisemitismus, der sich vom Judenhass abzusetzen trachtete.