Julia Encke

Augenblicke der Gefahr

Der Krieg und die Sinne. 1914-1934
Cover: Augenblicke der Gefahr
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2006
ISBN 9783770541430
Kartoniert, 285 Seiten, 36,90 EUR

Klappentext

Zu den Zeichen des Zeitalters, dessen Schwelle wir überschritten haben, gehört der gesteigerte Einbruch des Gefährlichen in den Lebensraum, schreibt Ernst Jünger 1931. Die Materialschlacht des Ersten Weltkriegs hat zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein völlig neues Spektrum von Gefahren hervorgebracht. So entsteht der Wunsch nach Panzerung und undurchdringlicher Abschirmung. Noch im Angesicht der Niederlage verkündet Jünger die Geburt eines gestählten Typus, der für den nächsten Krieg mobil macht und die militärischen Siege der Zukunft erringen soll. Julia Encke zeichnet in ihrem Buch nach, wie in Fotobänden und literarischen Texten der Zwischenkriegszeit diese Mobilmachung zum ästhetischen Programm wird: Der Mensch, der zur Unempfindlichkeit erzogen werden soll, wird mit planmäßig produzierten Schocks und Reizen überfallen. Man will ihn immun machen gegen die drohenden Gefahren eines zukünftigen Kriegs. Wie vergeblich das sein kann, davon erzählen die panischen Figuren bei Kafka, Robert Musils Fliegerpfeil und nicht zuletzt die Literatur zum Gaskrieg.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 05.04.2006

Oliver Pfohlmann preist die "materialreiche" wie "lebendig geschriebene" Dissertation von Julia Encke, in der sie die literarischen und psychologischen Mittel untersucht, die die Menschen im Ersten und Zweiten Weltkrieg auf den Krieg einschwören sollten, als höchst "instruktiv". Eingehend widmet sich die Autorin den Bildbänden und literarischen Arbeiten Ernst Jüngers und hier stellt sie die "überzeugende These" auf, dass Jüngers "Stahlgewitter", an dem er jahrelang arbeitete, keineswegs eine "rein ästhetische Angelegenheit" jenseits aller Ideologien war, wie Karl Heinz Bohrer argumentiert hat, sondern vielmehr ein "Schock-Training" für die Sinnesorgane der Leser, die auf die Art auf den Krieg vorbereitet werden sollten. Zu den stärksten Passagen dieses Buches aber gehören für den insgesamt sehr eingenommenen Rezensenten die "eindringlichen Beschreibungen" der Soldaten, die im Ersten Weltkrieg Stollen graben mussten, wobei der Hörsinn eine exponierte Rolle zu spielen begann. Demzufolge widme sich Encke in "luziden Interpretationen" literarischer Texte von Franz Kafka und Robert Musil, die darin die "Ambiguität des Hörsinns" beschreiben, die sich auf dem Schlachtfeld offenbarte, wie Pfohlmann informiert.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 04.04.2006

Gelungen findet Rezensent Conrad Beckmann diese Dissertation über die Wechselwirkungen zwischen dem Ersten Weltkrieg und den Sinnen, die Julia Encke verfasst hat. Ausführlich schildert Beckmann, wie Sehen, Hören und Riechen in den Schützengräben durch mediale Überformungen zur tödlichen Gefahr werden konnten. Als Beispiel sei die Kriegsfotografie genannt, die während des Ersten Weltkrieges ihren ersten großen Boom erlebte. "Um zu sehen, musste man sich sehen lassen", erläutert Beckmann, "fotografieren konnte man nur in dem Augenblick, in dem man nicht schoss". Er hebt vor allem den ersten Teil des Buches hervor, der sich mit der Ausbildung des Auges und der Entwicklung der Fotografie im Krieg befasst. Hier stelle Encke anhand zahlreicher Fakten und Forschungsansätze den Stellungskrieg dar. Beckmann würdigt dies als "große Leistung", zumal ihm das Buch "sehr lesbar" erscheint. Aber auch die weiteren Teile der Arbeit über die Geschichte des Ohres und die Entwicklung der akustischen Technologien sowie den Geruchssinn haben Beckmann überzeugt, auch wenn er sich diese Kapitel etwas ausführlicher gewünscht hätte.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 29.03.2006

Endlich bricht jemand den "Bann" und beschäftigt sich mit der "Historisierung" des Materialismus, freut sich Hans Ulrich Gumbrecht. Der Rezensent bescheinigt Julia Encke, dass sie für ihre Studie des Wandels der Sinne durch den Ersten Weltkrieg "größtenteils überraschende Texte und Bilder" analysiert hat. Besonders begeistert ist er von Enckes Interpretation von Kafkas Erzählung "Der Bau". Hier könne die Autorin "überzeugend" die "Genealogie" der Sprachbilder aus den Erfahrungen des Krieges zeigen, lobt der Rezensent. Dabei hat ihn besonders beeindruckt, dass Encke sich nicht vorschnell auf Pauschalurteile versteift, sondern stattdessen akribisch nachweist, welches militärtechnische Material Kafka kannte und für seine Erzählung nutzte. Gumbrecht preist die "Genauigkeit" und die "stilistische Eleganz" der Untersuchung und zeigt sich von der "energiegeladenen Geduld", mit der die Autorin endlich das "Forschungsprogramm" des "historischen Materialismus" umsetzt, sehr beeindruckt.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 13.01.2006

Beeindruckt zeigt sich Rezensent Gerd Krumeich von der Dissertation seiner Kollegin Julia Encke über den "Krieg und die Sinne", die der Frage nachgeht, was der Krieg aus unseren Sinnesorganen gemacht hat. Vor allem das Kapitel über das Hören im Krieg erscheint ihm überaus innovativ und aufschlussreich. Als "bestens informierend" lobt er Enckes Ausführungen über die verschiedenen Facetten des Schützengraben-Krieges und das Maulwurf-Dasein der Soldaten, über die neue Beanspruchung des Ohres, die Erfindung aller möglichen Hörhilfen und die Psychopathologie der Hörschädigungen durch Explosionen oder den Lärm der Geschütze. Aber auch in den Kapiteln über das Auge und das Sehen im Krieg sowie über die Nase und das Riechen findet Krumeich höchst informative und "glänzend geschriebene" Passagen. Insgesamt würdigt er die Arbeit als ein "mutiges und perspektivisches Buch", das die Forschung über den Ersten Weltkrieg und dessen mentale und kulturelle Nachwirkungen ein großes Stück weiterbringe.
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