Alain Ehrenberg

Das Unbehagen in der Gesellschaft

Cover: Das Unbehagen in der Gesellschaft
Suhrkamp Verlag, Berlin 2011
ISBN 9783518585610
Gebunden, 531 Seiten, 29,90 EUR

Klappentext

Aus dem Französischen von Jürgen Schröder. In seiner monumentalen Studie verfolgt Alain Ehrenberg diese Entwicklung und ihre diskursive Verarbeitung unter anderem anhand zweier großangelegter Fallstudien in Frankreich und den USA. Autonomie ist auf je spezifische Weise zum höchsten Wert dieser Gesellschaften geworden; zugleich kommt es in diesen Gesellschaften mit dem Scheitern am Ideal des selbstbestimmten Lebens zunehmend zu psychischen Pathologien. Diese individuellen Pathologien sind jedoch für Ehrenberg immer auch soziale Pathologien: Phänomene einer individualistischen und privatisierten, einer kranken Gesellschaft.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 09.07.2011

Tim Caspar Boehme schätzt dieses Buch über die Krise des Individualismus, das der französische Soziologe Alain Ehrenberg vorgelegt hat. In "Das Unbehagen in der Gesellschaft", der Titel spielt auf auf Freuds Klassiker "Das Unbehagen in der Kultur" an, sucht der Autor zu zeigen, dass in Gesellschaften, in denen Autonomie ein Überwert beigemessen wird, das Unbehagen am Größten ist. Boehme versteht das Buch als Fortsetzung von Ehrenbergs Untersuchung "Das erschöpfte Selbst", das den Zusammenhang von zu viel Eigenverantwortung und Freiheit einerseits und Depression andererseits darlegte. Das aktuelle Werk des Soziologen untersucht in seinen Augen nun die theoretischen Voraussetzungen dieses Befunds. Im Mittelpunkt sieht er dabei die Frage, wie Psychoanalytiker in den USA und in Frankreich die Leiden der Individuen als gesellschaftliche Pathologien diskutieren. Das Buch scheint Boehme nicht immer leichte Kost, bietet dafür aber erhellende Einsichten.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 22.06.2011

Nichts zu machen am Unbehagen in der Gesellschaft, so das niederschmetternde Fazit des Buches des Soziologen Alain Ehrenberg, das die Rezensentin uns freundlicherweise weiterleitet. Die aus einem Zuviel an Freiheit resultierenden Ängste des Individuums unserer Zeit, sie haben laut Autor ihren Grund in der demokratischen Gesellschaftsstruktur, sind nicht sozialpathologisch zu verstehen. Aua, sagt Stefana Sabin. Freut sich aber immerhin über die so mundgerechte Darstellung komplexer sozialwissenschaftlicher Tatsachen und eine vergleichende Darstellung französischer und US-amerikanischer Selbstreflexionsstile. Ehrenbergs Buch, als Fortsetzung der am leidenden Individuum ausgerichteten Analyse ins Soziologische, scheint's, macht wenig Hoffnung, das aber höchst gekonnt.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 31.05.2011

Hatte Alain Ehrenberg in seinem viel beachteten Buch "Das erschöpfte Selbst" Depression als Folge der gesellschaftlich geforderten Selbstbestimmung interpretiert, schlägt er in seinem jüngsten auf Deutsch erschienenen Buch nun eine andere Richtung ein, stellt Harry Nutt fest. Hier untersucht er nämlich durchaus kritisch die theoretischen Debatten um die gesellschaftlichen Gründe für psychische Erkrankungen und stellt dabei fest, dass es gravierende Unterschiede bei der Interpretation psychischer Phänomene und ihrer gesellschaftlicher Ursachen gibt. Sein Vergleich zwischen amerikanischen und französischen Befunden arbeitet heraus, dass während in Amerika im autonomen Ich ein einigendes Moment gesehen wird, französische Debatten es als spaltendes, weil die Institutionen in Frage stellendes Phänomen betrachten, legt Nutt dar. Er hält das hohe theoretische Niveau der Debatten, die Ehrenberg nachzeichnet, fest, und muss dabei zugeben, dass sich die Ausführungen nicht immer leicht lesen. Entschädigt aber sieht sich der Rezensent für diese Schwierigkeiten durch das "reiche Interpretationsangebot", das der französische Soziologe seinen Lesern mit der Analyse dieser Diskussionen zugänglich macht.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 24.05.2011

Hat Freud die Ursachen des "Unbehagen in der Kultur" noch in der "Triebunterdrückung" gesehen, macht Alain Ehrenberg sie in seinem neuen Buch in der Forderung an das Individuum fest, autonom und selbstbestimmt zu sein, stellt Stephan Speicher fest. Allerdings ist der französische Soziologe nicht an konkreten Krankheitsfällen, sondern an Diskursanalyse interessiert und vergleicht eingehend das Autonomieideal in Amerika und Frankreich, erfahren wir. Wo nach amerikanischer Perspektive in der Autonomie auch ein Beitrag zum Aufbau der Gesellschaft erkannt wird, sieht man in Frankreich allzu starkes Autonomiebestreben als gesellschaftliche Gefahr, erklärt der Rezensent. Ehrenberg diagnostiziere zwar ein Leiden an der Gesellschaft, glaubt aber selbst nicht recht an ihre gesellschaftliche Verursachung, bemerkt Speicher. Manches hätte sich der Rezensent etwas genauer und konkreter gewünscht, und er merkt an, dass Ehrenberg über den Zustand der Gesellschaft in seinem Buch nicht viel verlauten lässt.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 19.05.2011

Als "gewichtigen Beitrag zum höchsten Wert westlicher Gesellschaften" preist Rezensentin Elisabeth von Thadden diese Studie des französischen Soziologen Alain Ehrenberg, der sich mit seiner großen Studie "Das erschöpfte Selbst" Ruhm erworben hat. Während er darin schilderte, wie das Individuum von der ihm auferlegten Autonomie überfordert ist und depressiv wird, versucht er nun, eine Politik zu begründen, die dennoch auf die individuelle Autonomie baut. Wie Thadden erklärt, orientiert sich Ehrenberg dabei an Amartya Sen und Axel Honneth, die das Individuum nicht nur als konstituierend für eine Marktökonomie betrachten, sondern als Ursprung und Grund für sinnvolles soziales Handeln. Geradezu brillant findet Thadden, wie Ehrenberg das Verhältnis von Individuum und Institution in Frankreich und den USA untersucht, groß auch, dass Ehrenberg das Leiden in Frankreich als sozial beschreibt. Die Datenbasis hätte sich die Rezensentin bei einer solche großen Studie allerdings etwas umfangreicher und belastbarer gewünscht. Und auch der deutsche Titel lehnt sich ihrer Ansicht nach zu sehr an Freuds "Unbehagen in der Kultur" an, worum es darum doch genau nicht geht, das französische Original heiße nämlich "La societe du malaise".