Masha Gessen

Die Zukunft ist Geschichte

Wie Russland die Freiheit gewann und verlor
Cover: Die Zukunft ist Geschichte
Suhrkamp Verlag, Berlin 2018
ISBN 9783518428429
Gebunden, 639 Seiten, 26,00 EUR

Klappentext

Aus dem Amerikanischen von Anselm Bühling. Russland, 1980er Jahre bis in die Gegenwart: Ein Land, das sich öffnete, hat sich wieder verschlossen. Eine Gesellschaft, die zu Emanzipation, Freiheit und Selbsterkenntnis aufgebrochen war, leidet heute unter Bevormundung und Repression. Wie konnte es dazu kommen? Die Frage hat  Masha Gessen nicht losgelassen, und sie packt auch die Leser. Im Zentrum stehen vier Menschen der Generation 1984. Sie kamen in die Schule, als die Sowjetunion zerfiel, und wurden unter Präsident Putin erwachsen. Junge Leute aus unterschiedlichen sozialen und familiären Verhältnissen: zum Beispiel Zhanna, deren Vater Boris Nemzow, ein prominenter Reformer, mitten in Moskau erschossen wurde. Oder Ljoscha, der als schwuler Dozent seine Stelle an der Uni Perm verliert. Die große Erzählung von Aufbrüchen und gescheiterten Hoffnungen der Jungen wird flankiert von den Bildungsgeschichten des liberalen Soziologen Lew Gudkow, der Psychoanalytikerin Marina Arutjunjan und des rechtsnationalistischen Philosophen Alexander Dugin.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 02.04.2019

Ekaterina Makhotina erhebt Einspruch gegen Masha Gessens viel gelobtes und in Leipzig ausgezeichnetes Buch "Die Zukunft ist Geschichte", das anhand verschiedener Protagonisten den Weg des postsowjetischen Russlands zurück in die Unfreiheit nachzeichnet. Makhotina findet problematisch, wie die Autorin unbelegte Thesen und moralische Urteile miteinander vermengt, wenn sie die russische Bevölkerung als eine im Totalitarismus gefangene Gemeinschaft nostalgischer Sowjetmenschen beschreibt. Wie Gessen damit Menschen stigmatisiert und pathologisiert, gefällt der Rezensentin nicht, den Umgang mit den Begriffen Totalitarismus und Sowjetmensch findet sie zudem undifferenziert bis fahrlässig.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 18.03.2019

Tobias Lehmkuhl findet Masha Gessens etwas anderes Geschichtsbuch leicht lesbar. Die Fallbeispiele für das Leben im kommunistischen Sowjetrussland, die Gessen in ihrem Buch versammelt, vergegenwärtigen dem Rezensenten, wie Russland ab 1984 die Freiheit gewann und verlor. Aus politischer, psychologischer und vor allem soziologischer Perspektive werden die Mechanismen aufgezeigt, mit denen der Staat Veränderungen unterlief, und erläutert, wieso es am Willen zur Freiheit mangelte, erklärt Lehmkuhl. Optimistisch stimmt ihn die Lektüre nicht.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 19.02.2019

Sehr nachdrücklich empfiehlt ein leider nicht genannter Rezensent dieses Buch der amerikanischen  Journalistin Masha Gessen. Dass sie nur vier Protagonisten wählt, um an ihnen entlang die jüngere russische Geschichte zu erzählen, sollte niemandem Bedenken bereiten, meint der Rezensent. Gessen schaffe es, durch psychologische und historische Tiefenschärfe aus diesen Porträts ein gültiges Stück Zeitgeschichte zu kristallisieren. Auch dass Gessen nie in Schwarzweiß-Malerei verfällt und jede Polarisierung vermeidet, gefällt dem Rezensenten. Und dank eines geschickten Spannungsbogens, "grotesker Szenen und absurder Episoden" sowie einer prägnanten Übersetzung blieb die Lektüre von Anfang bis Ende kurzweilig. Den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung für Gessen findet er daher voll und ganz gerechtigfertigt.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 17.01.2019

Rezensentin Katharina Granzin trifft auf den weltoffenen Teil Russlands in Masha Gessens Buch. Dass die Autorin mit ihrem Versuch, die postsowjetische Geschichte anhand von ein paar ausgewählten Lebensläufen zu schildern, eine persönliche, radikal verengte Sicht einnimmt und keine politische Analyse bietet, ist Granzin klar. Die so entstehende Nähe der Geschehnisse findet sie allerdings packend, faszinierend und deprimierend zugleich. Ohne Erklärungsversuche, dafür mit dem Blick der wachen, in Totalitarismustheorien wie in psychoanalytischen Arbeiten bewanderten Berichterstatterin, so Granzin, schildert die Autorin das Leiden vernunftbegabter Menschen am heutigen Russland.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08.01.2019

Jörg Baberowski ist enttäuscht von Masha Gessens Buch. Auf die Frage, warum sich die Menschen in Russland nach 1991 wieder mit einer autoritären Ordnung arrangiert haben, gibt sie ihm keine Antwort. Bitter und trostlos findet er Gessens Darstellung über die Entwicklung nach dem Ende der Sowjetunion am Beispiel von Geschichten aus dem Leben der Psychoanalytikerin Maria Arutjunjan oder des Soziologen Lew Gudkow. Die Autorin gefalle sich in der Anklägerrolle, meint Baberowski und übersehe den Wunsch der Menschen nach Sicherheit und bescheidenem Wohlstand. Dass eine manipulierte Gesellschaft der einzige Grund für das Erstarken des Autoritarismus sei, wie Gessen dem Leser Glauben machen will, sieht der Rezensent ebenfalls anders: Menschen, denen in liberalen Gesellschaft keine Anerkennung zuteil werde, würden das Selbstwertgefühl zu schätzen wissen, das ihnen eine autoritäre Ordnung verleiht.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 10.12.2018

Die hier rezensierende Osteuropahistorikerin Franziska Davies sieht in Masha Gessen eine Russland-Expertin mit erstaunlichen erzählerischen Fähigkeiten. Wie die Autorin die Lebensgeschichten von vier jungen Russen und Russinnen mit der Analyse der Ursachen für den Aufstieg Putins und das Scheitern demokratischer Bemühungen im Russland der neunziger Jahre verknüpft, findet Davies gelungen, auch wenn sie Gessens Folgerung einer psychischen gesellschaftlichen Verfasstheit als Ursache nicht nachvollziehen kann. Für Davies in jedem Fall ein höchst anregendes Buch.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 08.12.2018

Barbara Kerneck zeigt sich fasziniert von Masha Gessens Geschichte des nachsowjetischen Russland. So wie die Autorin, nämlich historisch und persönlich, hat noch niemand den Bogen gespannt von der Perestroika bis Putin, meint sie. Wie Gessen vier HeldInnen des russischen Alltags mit dem Werdegang einer Psychotherapeutin, eines Soziologen und eines Philosophen verknüpft, um die geistige Situation in Russland zu erläutern, findet sie aufschlussreich. Allein die lebensnahe Schilderung der ab 2011 aufbrechenden Proteste in Russland findet Kerneck atemberaubend.